Der Ritter (Autor: Gene Wolfe; Mythgarthr Bd. 1)
 
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Der Ritter von Gene Wolfe

Reihe: Mythgarthr Band 1

 

Rezension von Christian Endres

 

Gene Wolfes »Der Ritter« ist wieder einmal eines dieser Bücher, das schon kurz nach Erscheinen der englischsprachigen Originalsausgabe (2004) so viel Lob und positive Kritiken von Fans, Kritikern und anderen Genre-Autoren abgestaubt hat, dass man sich bis zum Erscheinungstermin der deutschen Ausgabe regelrecht ein Loch in den Bauch freut. Obendrein ist der Name Gene Wolfe ein recht vielversprechender und sicherlich den meisten Fans anspruchsvoller phantastischer Literatur ein Begriff, und Klett-Cottas Fantasy-Label steht, sieht man einmal von Urgestein und Dauerbrenner J. R. R. Tolkien ab, eigentlich auch immer für hochkarätige Autoren mit innovativen Werken ...

 

Und trotzdem, ich kann mir einfach nicht helfen: Der Anfang von »Der Ritter« erinnert mich von den Grundzügen her stark an den ersten Teil von Roger Zelaznys Amber-Zyklus und hat auch noch eine Prise von Michael Moorcocks Elric-Saga abbekommen. Schwammige Erinnerungen an ein früheres Leben, Andeutungen wohin das Auge schaut, mehrere Welten/Ebenen, einiges an Verwirrung und eine eher einfache, schlichte Sprache. Letztere ruht im Fall von Wolfes vorliegendem Roman in erster Linie natürlich daher, dass die Geschichte aus der Ich-Perspektive erzählt wird (beziehungsweise geschrieben, denn »Der Ritter« ist im Endeffekt nichts anderes als ein einzig langer Brief der Hauptperson an seinen älteren Bruder, auch wenn Wolfe ungefähr ab Mitte des Buches kaum noch auf dieses Element zurückgreift und erst gegen Ende wieder verstärkt darauf eingeht).

 

»Der Ritter« ist, wenn man die ersten, vom Niveau her etwas schwankenden 200 bis 300 Seiten gut überstanden und den Punkt erreicht hat, da Sir Able of the High Heart nunmehr seinen Platz in der Welt Mythgarthr gefunden zu haben scheint, genau das, was der Titel verspricht: ein in jederlei Hinsicht phantastischer Roman über einen Ritter und dessen Suche nach seiner Ehre, einem Schwert, seiner großen, mystischen Liebe und seinem Stellenwert in der farbenfrohen Welt Mythgarthr, angereichert mit etwas Magie, feinem Humor und einer Vielzahl liebenswerter, ansprechend interagierender Charaktere, daraus resultierender Dialoge und Szenen, die ein stimmiges Gesamtbild ergeben und vieles von dem, was mir auf den ersten 300 Seiten nicht so gut gefallen hat, aufwiegen und wieder gut machen können.

 

Was mich dennoch nach wie vor ein wenig skeptisch macht, das ist die Art und Weise, wie Wolfe mit der von ihm gewählten Perspektive und seinen Ansätzen zu einem Multiversum umgeht. Ich meine, er hat sich offenkundig viel Mühe gegeben, ein Welten- und Ebenensystem zu konstruieren, und auch sieht man, dass er sich für eben dieses System einige farbenprächtige Wesen fernab der ausgetretenen Pfade des Genres ausgedacht hat – doch wieso vernachlässigt er sie (bis auf die Riesen und die Alfar-Damen, die Sir Able ohnehin begleiten) dann so straflässig? Keine Frage: Ab Mitte des Buches ist die Geschichte um Sir Abel of the High Heart eine prächtige, atmosphärische Rittergeschichte mit vielen guten Szenen und auch einem straffen roten Faden (der erst auf den letzten 50 Seiten wieder völlig verloren geht), doch fehlt mir in diesem besseren Abschnitt klar der Bezug zum ersten Teil des Bandes und auch einige grundliegende Erklärungen – was vor allem damit beginnt, wieso unser Held nicht versucht, wieder nach Hause zurückzukehren, und dass hier alles sehr, sehr nebulös bleibt. Hierbei baue ich stark auf den Folgeband. Denn so wie ich Wolfe kenne, hat er hier einen gewissen Grundstein gelegt und versucht, den Leser gegen Ende des Bandes auf die falsche Fährte zu locken, um ihn im Sequel dann wieder von Neuem zu überraschen, indem er ihm aber trotzdem auf bereits begonnene Wege zurückführt und diese erstmals endlich weitergehen wird ...

 

Auch wenn die Geschichte zu Beginn und auch zum Ende hin leider ein wenig schwächelt, so weiß die Aufmachung dafür um so mehr zu gefallen: Wieder einmal ein wunderschöner Schutzumschlag von Dietrich Ebert, ebenfalls sehr schöne, wenn auch nicht gar so abwechslungsreiche Innenillustrationen an den Kapitelanfängen, ein sauberes Druckbild und eine rundum technisch hervorragende Verarbeitung machen den Band zu einem bibliophilen Genuss, der ob er edlen Hardcover-Ausstattung mit partiziell lackiertem Schutzumschlag und Lesebändchen zweifellos sein Geld wert ist und den Freund sorgfältig produzierter Buchausgaben viel Freude bereiten wird.

 

Fazit: Der Klappentext hat mich in eine andere Richtung denken lassen: Weltentore? Ein junger Mann, der in eine fremde Welt kommt und dort Gefährten und Gefahren findet? Das alles hat mich doch auf ein eher klassisches Muster schließen lassen, und ich habe mich ehrlich gesagt darauf gefreut. Nun kämpf »Der Ritter« aber mit einem ziemlich schleppenden Anfang, ja und auch danach noch hatte ich einige Anlaufschwierigkeiten mit unserem Helden und seiner Erzählung/seinem Brief. Ehrlich gesagt haben mich nur die stets im rechten Moment aufblitzenden genialen Momente von Gene Wolfe und der Glaube an dessen schriftstellerisches Können sowie die Bemühungen um ein gerechtes Urteil davon abgehalten, die Geschichte um Sir Able schon voreilig abzuschreiben.

 

Und das Ausharren hat sich am Ende doch noch – zumindest teilweise – gelohnt. Für eine lupenreine Empfehlung reicht es aufgrund der eher schwachen ersten Hälfte des Buches sowie der mangelhaft genutzten Idee des vielversprechend konstruierten Universums leider immer noch nicht, da die Geschichte um Sir Able of the High Heart auch am Ende noch einmal geschwächelt hat, doch dürfte »Der Ritter« dem Freund gut geschriebener Fantasy-Literatur dennoch allemal einen Blick wert sein, da Wolfe zumindest in der zweiten Hälfte des Buches eine hübsche Rittergeschichte mit vielen klassischen Elementen, aber auch einigen schönen, neuartigen Ideen und tollen Charakteren erzählt, die in der vorliegenden Aufmachung sehr zu gefallen weiß.

 

Der abschließende Band der Mythgthr-Saga – »Der Zauberer« – wird im Herbst dieses Jahres erscheinen, und wer weiß: Vielleicht wird Wolfe dort, da es wohl recht magisch zugehen dürfte, noch tiefer in seine Welt eintauchen, deren Potential endlich in vollen Zügen ausschöpfen und vor allem auch die fallen gelassenen, aber nicht genutzten Andeutungen aus der ersten Hälfte von »Der Ritter« aufnehmen und zu einem gelungenen Finale/Ende führen. Und natürlich fehlt uns noch die Auflösung aus Band eins, die wir unterbrachen, um uns mit einem Drachen anzulegen und ein Schwert zu finden ...

 

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Buch:

Der Ritter

Reihe: Mythgarthr Band 1

Autor: Gene Wolfe

Übersetzer: Jürgen Langowski

Gebundene Ausgabe, 565 Seiten

Klett-Cotta, Februar 2006

 

ISBN: 3608937757

 

Erhältlich bei: Amazon


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Erstellt: 05.03.2006, zuletzt aktualisiert: 24.03.2024 19:16, 1943