Der rote Marchese von F.C. Oberg
Rezension von Ramona Schroller
Klappentext:
Fünf vorzügliche, atmosphärisch dichte seltsame Geschichten um Spuk,
lebende Bilder und Todseher in der Tradition von E.T.A. Hoffmann,
Hanns Heins ewers, Karl Hans Strobl und Georg von der Gabelentz.
Rezension:
Wer denkt, phantastische Literatur sei eine moderne Erfindung, der
irrt. Es ist gut vorstellbar, daß bereits die Jäger und Sammler sich
gruselige Geschichten erzählten, vielleicht von der letzten Jagd oder
über Begegnungen mit verstorbenen Bekannten und Verwandten, wer weiß?
Überhaupt sind die Genre-Bezeichnungen, wie wir sie heute kennen, eine
moderne Erfindung. Und der Reiz des phantastischen besteht nach wie
vor, auch wenn die Leser sich gegen dieses Genre sträuben.
Der kleine aber feine Verlag Lindenstruth hat es sich auf die Fahnen
geschrieben, vergessene Perlen der internationalen Phantastik neu
aufzulegen und dafür seine Edition „Bibliotheca Arcana" gegründet,
dessen zweiter Band hier vorliegt.
Das Engagement des Verlegers sei hier noch einmal ausdrücklich gelobt.
Endlich kommt man als Interessierter an älteren phantastischen Werken
recht billig und ohne mühevolle, elend-lange Suche an Novellen und
Romane heran, die man vielleicht schon lange suchte. Oder aber man
wird auf Autoren aufmerksam, die schon zu ihrer Zeit fast vergessen
vor sich hinvegetierten, so wie im Fall F.C. Oberg.
Ob Männlein oder Weiblein ist nicht bekannt. Nur eine Handvoll
Erzählungen von Oberg gibt es überhaupt, erschienen zwischen 1910 und
1915. Alle Rechercheversuche des Vorwort-Verfassers Robert N. Bloch
verliefen ins Leere - was, nach der Lektüre des Bandes, wirklich sehr
schade ist. Wer auch immer Oberg war, er oder sie hätte es noch weit
bringen können ...
Aber zurück zum Buch. Fünf Erzählungen erwarten den geneigten Leser in
diesem Band, wobei zwei sich von der Thematik doch sehr ähneln, aber
vollkommen verschiedene Endungen besitzen. Aber fangen wir gleich mit
dem Anfang an:
„Der rote Marchese" ist die Titelgeschichte und gleichzeitig mein
erstes persönliches Highlight. Erzählt wird von einem merkwürdigen
Bild, einem Portrait, daß einen Mann zeigt, der dem Erzähler bereits
einmal über den Weg gelaufen ist. Allerdings hat der Fremde dieses
„Treffen" nicht überlebt. Der Erzähler spürt gleich, irgendetwas hat
das Bild mit diesem Mann zu tun. Zwar ahnt man als Leser relativ
schnell die Aufklärung des ganzen (wenn vielleicht auch nicht ganz so
gewaltig wie von Oberg letztlich angelegt), aber es ist und bleibt
eine hervorragende Erzählung über ein Thema, das in der Phantastik gar
nicht so oft vorkommt. Meisterhaft!
„Das Geschenk des Inders" ist nicht so ganz das, was Sir Henry
erwartet hat. Der Segen, den sein ehemaliger Diener ihm vor seiner
Abreise zurück nach Europa erteilte, erweist sich als alles andere als
leichte Kost. Erst als sein eigenes Leben bedroht ist, findet Sir
Henry einen Ausweg - und weiß fortan, wie er die seltene Gabe richtig
einsetzen kann. Es reicht zwar nicht ganz an den „Marchese" heran,
trotzdem, schon allein aufgrund des teils exotischem Settings, mein
zweiter Liebling. Sir Henrys Geschichte ist faszinierend und fesselnd
geschrieben.
„Der Schatten im Spiegel" ist das, was der junge Künstler Laurids
Brink meidet. Niemand weiß warum, und die meisten halten es für eine
normale Marotte eines aufstrebenden Künstlers. Doch tatsächlich steckt
wesentlich mehr dahinter, wie der Erzähler später erfährt. Und das
schlimmste, dieses „mehr" frißt langsam Laurids künstlerische Begabung
auf. Ein ähnliches Setting wie in der Vorgeschichte, nur daß Brink
wesentlich länger braucht, um begreifen zu können, was es mit seiner
Gabe auf sich hat. Obwohl nicht ganz so lang wie der „Inder", war es
mir persönlich etwas langatmig, wenn auch gut geschrieben.
Möglicherweise, weil zweimal das gleiche Thema hintereinander benutzt
wurde.
„Die Hand der Barbara Uth" bedroht die schwangere Marie. Ihre Freundin
versucht, hinter das Geheimnis zu kommen, das schon mehr als eine Frau
den Verstand oder gar das Leben gekostet hat. Eine klassische
Geistergeschichte, und, ein wenig verblüffend, aus der weiblichen
Sicht geschrieben - und das sogar sehr gut. Vielleicht kommt daher der
Zweifel, ob Oberg nicht doch eine Frau gewesen sein könnte?
„Die Tränen der Josephina" sind etwas ganz besonderes, ebenso wie die
Turmuhr im Park. Beides gemeinsam wirkt einen Fluch auf die Familie.
Doch kann ein fünfhundert Jahre alter Fluch noch wirksam sein? Das
dritte Highlight. Düstere Familienlegenden und volkstümlicher
Aberglaube, hervorragend geschrieben, klasse rübergebracht. Ein
wirkliches Schmankerl!
Eines aber muß ich dennoch zum Schluß noch loswerden, ehe ich mein
Fazit gebe: Wer auch immer dafür zuständig war, hätte das ganze noch
einmal gegenlesen lassen sollen. Das Buch strotzt leider nur so von
Druckfehlern (teilweise drei bis vier auf einer! Seite). Groß- und
Kleinschreibung sind dabei noch das kleinere Übel, sondern eher
fehlende oder überflüssige Worte, die den Lesefluß deutlich stören.
Hier ein dicker Punkteabzug.
Alles in allem bleibt ein hervorragender Lesegenuß für alle, die mal
über den Tellerrand der modernen Phantastik- und Horrorliteratur sehen
wollen. Es gibt auch Klassiker jenseits von Lovecraft und Poe, und sie
müssen nicht die schlechtesten sein.