Der Sandmann (Gruselkabinett 42)
 
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Der Sandmann

Hörspiel

Reihe: Gruselkabinett 42

 

Rezension von Oliver Kotowski

 

Rezension:

Es klopft an des Studenten Nathanaels Tür: Der feiste Italiener Coppola will ein Wetterglas verkaufen. Nathanael gerät außer sich und stößt den Hausierer beinahe die Treppe herunter. Sein Mitbewohner Siegmund ist ganz verblüfft ob des Verhaltenswandels. Nathanael hatte den Italiener wiedererkannt – vor vielen Jahren hatte er Nathanaels Vater ermordet. Der Student berichtet in einen Brief an seinen Adoptivbruder Lothar davon. Damals liebte der kleine Nathanael den Vater abgöttisch. Nach dem Abendessen kam jedoch stets ein Unbekannter und der Vater schickte die Mutter und den Jungen eilig ins obere Stockwerk, was die beiden ängstlich befolgten. Doch der Junge war neugierig, wer der Besucher sei, und fragte die Mutter und die Kinderfrau. Beide antworteten ausweichend und so reimte sich der Junge zusammen, dass es der Sandmann wäre, der nach der Kinderfrau ein grausamer Räuber von Kinderaugen sei. Nathanael spionierte dem Vater nach und stellte fest, dass der Sandmann der widerwärtige Dr. Coppelius ist, der sich später als Italiener Coppola ausgeben sollte. Die Entdeckung Nathanaels führte zu einer Konfrontation, die der Vater nicht überlebte. Der Brief an Lothar erreicht ihn jedoch nicht, da er fälschlich an Clara, dessen Schwester und Nathanaels Verlobte, adressiert ist. Sie deutet die Ereignisse der Vergangenheit deutlich anders.

 

Die Romantik ist vermutlich die literarische Epoche, die die meisten klassischen Schauergeschichten hervorbrachte; E. T. A. Hoffmann ist wiederum der bekannteste Romantiker Deutschlands und Der Sandmann zählt zu Hoffmanns beliebtesten Schauergeschichten. Der Hörer bekommt es also mit einer ganz besonderen Geschichte zu tun.

Zunächst einmal ist es vom Plot her wenig überraschend eine typische Gruselgeschichte: Der Student Nathanael begegnet einem grausamen Mann, der für seine Experimente nicht einmal vor Morden zurückschreckt – Dr. Coppelius ist eine frühe Ausgabe des Verrückten Wissenschaftlers. Verknüpft ist dieses Verhältnis mit dem Unbehagen, das von Automaten ausgehen kann, wenn diese zwar Menschen zum Verwechseln ähnlich sehen, sich aber anders verhalten. Wenn es dabei bliebe, wäre die herausragende Stellung kaum zu verstehen. Es gibt also noch zwei Kniffe. Zum einen wurde Nathanael bei der Konfrontation zwischen dem Vater und Coppelius offenkundig traumatisiert – gewisse Ereignisse lösen ein sehr ungewöhnliches Verhalten bei ihm aus. Außerdem stellt sich daher die Frage, ob seine Schilderungen von Wahnvorstellungen verzerrt sind. Siegmund und Clara sind hier die Gegenpole. Clara ist aber auf eigene Art involviert: Sie ist die Verlobte Nathanaels. Damit erzeugt des Protagonisten pygmalionisches Verhältnis zu Automaten ein weiteres Spannungsfeld. Nimmt man hier noch die wechselhafte Erzählsituation hinzu – es gibt einen Erzähler, in Briefen wird dann der jeweilige Schreiber zum lokalen Erzähler und die Briefe können wiederum Binnenerzählungen enthalten – dann wird klar: Der Sandmann hält zu Recht die herausragende Stellung.

 

Die Sprecherriege rangiert mit zwölf Sprechern für moderne Hörspiele eher im unteren Bereich des Durchschnitts in puncto Sprecheranzahl. Das hängt allerdings mit der Vorlage zusammen, die schon mit wenigen Figuren auskam. Daraus resultiert, dass so klein die Rollen auch sein mögen, jede einzelne kaum verzichtbar für den Plot ist.

Interessanterweise hat die Mehrzahl der Sprecher an der Gruselkabinett-Folge Northanger Abby mitgewirkt – von den im Folgenden erwähnten Sprechern waren es fünf. Die Ausnahme ist Henri Färber, der den jungen Nathanael spricht. Meines Wissens ist dieses sein Hörspieldebüt; nichtsdestoweniger macht er seine Sache ganz anständig. Dem erwachsenen Nathanael verleiht Marius Clarén seine Stimme; man mag ihn aus Gruselhörspielen wie Dorian Hunter oder Faith van Helsing kennen, doch er hat auch an Kim Possible und dergleichen mehr mitgewirkt. Er hat selbstverständlich die größte und vielschichtigste Rolle – mit Bravour zeigt er, dass selbst die schwierigsten Stellen zu meistern sind. Gerade die beiden dramatischen Höhepunkte der Geschichte sind heikel und die flankierenden Sprecher – Tanya Kahana als Clara und Marcel Collé als Siegmund – schwächeln hier etwas; sie klingen in diesen Momenten zu gekünstelt. Zur Entschuldigung mag man vielleicht vorbringen, dass die beiden in Sachen Hörspiel relative Newcomer sind: Kahana wird man vielleicht aus Caine kennen, Collé aus Jack Slaughter oder Offenbarung 23. Der Antagonist Dr. Coppelius/Coppola wird von dem Veteranen Roland Hemmo gesprochen, den man aus Gabriel Burns, Lady Bedfort, Perry Rhodan – Sternenozean oder etlichen anderen Hörspielen kennen kann. So gut wie er spricht, so kurz ist seine Rolle leider auch. Als Letztes sei noch Hasso Zorn in seiner Rolle als Erzähler erwähnt – Zorn kann man aus zahllosen Hörspielen wie Dorian Hunter, Point Whitmark oder Gabriel Burns kennen. Er macht seine Sache gut, doch die Herausforderung sollte auch nicht übermäßig groß gewesen sein.

Sieht man von den beiden erwähnten Momenten ab, so haben die Sprecher eine gute bis sehr gute Performanz abgeliefert, und auch die unerwähnten Sprecher fallen nicht dahinter zurück.

 

Zur Inszenierung lässt sich wenig Neues sagen: Sie ist gewohnt konservativ, es gibt einen (und mehr) Erzähler, doch die Geräusche stehen für sich selbst; sie werden allerdings auch sehr zurückhaltend eingesetzt, was bei den Höhepunkten auffällt; bei erstem gefiel es mir noch gut, da dadurch eine (alp-)traumhafte Stimmung erzeugt wird, die zur (möglicherweise) verzerrten Erinnerung passt, beim zweiten störten mich die dünnen Hintergrundgeräusche schon. Die Musiken sind wiederum eher zurückhalten eingesetzt, aber mit viel Bedacht und gut gewählt worden: Streicher, Spinett, 'altmodische' Instrumente und Stücke, die gelungen zur Atmosphäre beitragen.

 

Fazit:

Als der Student Nathanael überraschend dem italienischen Hausierer Coppola seine Tür öffnet, brechen üble Erinnerungen hervor – schließlich hatte der Mann einstmals seinen Vater getötet. Die zweiundvierzigste Folge der Reihe Gruselkabinett nimmt sich einen Höhepunkt der Schauergeschichte vor und liefert eine weitgehend gute Hörspielumsetzung ab; sieht man von zwei schwächelnden Stellen ab, stimmt die Performanz der Sprecher, die Geräuschkulisse, die Musiken usw. – dieser Sandmann ist auch ein Höhepunkt der Reihe.

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Hörspiel:

Der Sandmann

Reihe: Gruselkabinett 42

Vorlage von: E. T. A. Hoffmann

Buch: Marc Gruppe

Produzenten: Stephan Bosenius und Marc Gruppe

Titania Medien, Mai 2010

Umfang: 1 CD

Spieldauer: ca. 69 Minuten

 

ASIN: 378574269X

 

Erhältlich bei: Amazon

 

SprecherInnen (Auswahl):

Hasso Zorn

Marius Clarén

Henri Färber

Norbert Langer

Cornelia Meinhardt

Christel Merian


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Erstellt: 19.08.2010, zuletzt aktualisiert: 28.12.2023 19:05, 10871