Der silberne Bogen (Autor: David Gemmell)
 
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Der silberne Bogen von David Gemmell

Rezension von Christian Endres

 

Es ist erst ein paar Tage her, dass ich von David Gemmells viel zu frühem Tod erfahren habe. Im ersten Moment war ich geschockt, dann einfach nur traurig. Gemmells »Des dunklen Ritters Heldenlied« zählt immerhin nicht nur zu meinen Lieblingsbüchern, sondern hat auch meine Sichtweise guter Fantasy-Romane mit interessant charakterisierten Protagonisten auf immer geprägt. Und auch so verdanke ich dem Autor in David Gemmell viel: Inspiration, »unfreiwillige« und »unwissende« Anleitung und Anweisung und natürlich unendlich viele schöne Lesestunden mit seinen phantastischen Büchern. Eines der letzten Werke, das Gemmell vor seinem Tod schrieb, war der erste Teil zu einer Trilogie über die Zeit der griechischen Helden, die Zeit von unsterblichen Männern wie Odysseus, Hektor oder König Agamemnon, über die Blütezeit von klangvollen Reichen wie Troja oder Ägypten. So ist der Auftakt zu eben dieser Trilogie über die Helden, Sagen und Mythen der Antike dann auch ein Buch, in dem David Gemmell noch einmal alle Register und Trümpfe zieht, die er sich im Laufe seiner Karriere angeeignet hat – und das den Abschied von diesen großartigen Schriftsteller umso schwerer macht ...

 

Es wird nie langweilig im alten Griechenland, wenn David Gemmell sich Homers Mythen und Legenden annimmt. Wieder einmal wird damit der Beweis erbracht, dass mythologische oder gar historische Hintergründe ein guter, wenn nicht sogar ein perfekter Grundstein für gelungene literarische Unterhaltung sind – vorausgesetzt, dass der Autor die Balance zwischen akribischer Recherche und eigener Adaption oder Interpretation findet. Das wusste u. a. schon Fantasy-Ikone Robert E. Howard (um nur mal eines der vielen Beispiele zu nennen und schon einmal für den Schluss unten vorzubauen), und das wusste auch David Gemmell, der ja bereits in der Vergangenheit immer wieder einmal z. B. in die Zeit von König Arthus oder die Hochzeit des römischen Imperiums zurückgekehrt ist, wenn er nicht gerade mit seiner Drenai-Saga beschäftigt war.

 

»Der silberne Bogen« ist vor allem weitaus mehr als eine plumpe, mit ein bisschen Popcornkino-reifer Action aufgepeppte Nacherzählung eines bekannten Stoffes. Ein leicht entrückter historischer Kontext, ein kluges Spiel mit Personen, Orten und Beziehungen – und et voila, schon haben wir eine zwar von den Grundzügen her bekannte, aber eben doch völlig neue und vor allem auf jeder Seite lebende, atmende Story über den Goldenen Helikaon, seine Gefährten, seine Feinde, seine Schlachten und seine Liebe, aber auch über seine Sehnsüchte, seine Wünsche, seine Ängste und seine Hoffnungen. Um diesen interessanten, innerlich wieder einmal ziemlich zerrissenen Helden zwischen Heldenmut und Todessehnsucht postiert Gemmell mit großer Weisheit und Fertigkeit weitere große und kleine Schicksale, große und kleine Helden, große und kleine Kämpfe und gewinnt bekannten Themen immer wieder neue Facetten ab. Beispiele gefällig? Das von Intrigen zerrüttete trojanische Königshaus erwacht zu neuem Leben und Interesse, das finstere Kriegervolk der Mykener erweckt gleichermaßen Hass wie Bewunderung für seinen kalten Stolz und seine tödlichen Gesetze der Ehre, und den alternden Geschichtenerzähler und Lügenbaron Odysseus muss man in Gemmells Interpretation einfach ins Herz schließen, ebenso wie einen ganzen Haufen der anderen Figuren, denen man im Laufe des Buches begegnet ...

 

Homers Odyssee gilt als eines der ersten wichtigen literarischen Werke des Abendlandes – gewissermaßen das pompöse Äquivalent zu den Geschichten aus Tausendundeiner Nacht. Doch der Stoff, aus dem Helden und Mythen gemacht sind, taugt auch hervorragend, um gute, fesselnde Romane zu schreiben, die sich als Mischung aus Historischem Roman und Fantasy präsentieren. David Gemmell zeigt zudem, dass man selbst altbekannten Themen, die gerade in den letzten Jahren in Buch und Kino verarbeiten worden sind, durchaus noch interessante Facetten abgewinnen und sie spannend aufbereiten kann. Hinzu kommt sein gewohnt-geschicktes Händchen für tolle Charaktere, markige Dialoge und natürlich actionreiche Kampfszenen. Dazu ein sorgfältig recherchierter Kontext und akribisch gesammelte Informationen über die Geschichte als solche – und schon komme ich mir vor wie in einem historischen Roman von Robert E. Howard.

 

Daran ist nicht zuletzt auch David Gemmells kraftvolle Sprache Schuld. Kurze, harte, prägnante Sätze wechseln sich je nach Tonart und Szene mit langen Schachtelsätzen ab und erzeugen auch sprachlich ein abwechslungsreiches Bild. Hinzu kommt, dass Gemmell einmal mehr geschickt die Perspektiven wechselt: Ehrfurcht vor der Großen Grüne, dem Meer, flößt er uns ein, indem wir die Überfahrt nach Troja aus den Augen des jungen Xander erleben, während die Kämpfe nüchtern, aber blutig und hart durch die Augen gestandener Männer voller Mut und Tapferkeit geschildert und wahrgenommen – und damit letztlich empfunden – werden.

 

Die Aufmachung des Paperbacks weiß vor allem im Innenteil zu gefallen: eine recht passende Typo für die Kapitelüberschriften, ansprechende Schwarzweißvignetten zwischen den einzelnen Buchteilen, guter Druck, gutes Papier – da war man bei Heyne wieder einmal mit großer Sorgfalt am Werk. Einzig und allein mit dem Covermotiv bin ich zu keinem Zeitpunkt wirklich warm geworden, und es entzieht sich auch ein klein wenig meines Verständnis, weshalb man bei der Übersetzung des Titels auch gleich an eben selbigem herum schrauben musste. Ansonsten kriegt man natürlich viel (und vor allem ein dickes) Buch für’s Geld – Lesespaß satt, der lange anhält, viel Spaß bereitet und die sagenhaften Gestalten der nicht minder sagenhaften Antike zu neuem Leben erwachen lässt.

 

Fazit: Der erste Teil des Vermächtnisses von David Gemmell ist ein rundum gelungenes Buch, das mühelos den Spagat zwischen Historischem Roman und gutem Fantasybuch schafft. Tolle Charaktere, prächtig recherchierte Szenen voll »antiker Atmosphäre« und natürlich eine gewogene Mischung aus ruhigem, routiniertem Storytelling und Gemmell’scher Action legen noch einmal ein eindruckvolles Zeugnis von Gemmells hoher Kunstfertigkeit als Schriftsteller ab. Es wäre vermessen, David Gemmell als »besseren Homer« zu bezeichnen – als »zeitgenössischen Robert E. Howard« allerdings darf, ja muss man ihn definitiv titulieren und ihn ferner im Olymp der Helden unter den Fantasy-Autoren aufnehmen.

 

Ich freue mich auf den zweitel Teil von David Gemmells literarischem Vermächtnis. Ferner glaube und hoffe ich, dass die Unsterblichkeit der Helden wie Hektor oder Odysseus, denen Gemmell sich in dieser Trilogie angenommen hat, auch auf den Autor abgefärbt hat und er so schnell nicht vergessen wird. Wie es allerdings mit dem dritten Teil der Reihe aussieht, entzieht sich im Moment leider meiner Kenntnis. Vielleicht wird man es postum als Fragment-Sammlung veröffentlichen, vielleicht wird es auch ein anderer Autor fertig stellen. Time will well, my fellows ...

 

Mach´s gut, David – danke für alles.

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Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 202404161855135be41a8c
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Buch:

Der silberne Bogen

Autor: David Gemmell

Broschiert: 638 Seiten

Verlag: Heyne; Auflage: 1 (August 2006)

Sprache: Deutsch

ISBN: 3453531957

Erhältlich bei Amazon


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Erstellt: 15.08.2006, zuletzt aktualisiert: 24.03.2024 19:16, 2659