Der Winterschmied (Autor: Terry Pratchett; Scheibenwelt)
 
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Der Winterschmied von Terry Pratchett

Hörbuch gelesen von Boris Aljinovic

Reihe: Märchen von der Scheibenwelt

Rezension von Oliver Kotowski

 

Die fast dreizehnjährige Tiffany Weh ist schon seit drei Monaten die Schülerin der Hexe Fräulein Verrat. Fräulein Verrat ist etwas unheimlich und darum laufen viele Schülerinnen in der ersten Nacht fort; man kann jedoch Vieles von der Alten (sie ist gut hundert Jahre älter als Tiffany und nennt Oma Wetterwachs stets: Die junge Wetterwachs) über das Hexenhandwerk lernen, besonders über die Zusammenhänge von Respekt, Furcht und der Wirksamkeit von Ratschlägen. Zu einen wichtigen und unheimlichen Unterfangen nimmt Fräulein Verrat Tiffany mit: Zur Beobachtung eines düsteren Morrisken-Tanzes mitten im Winter. Das ist völlig falsch, denn mit ihm soll der Sommer herbei geholt werden. Tiffany spürt die Musik nicht nur in den Knochen, sondern auch in den Füssen – ehe sie sich versieht, springt sie in den Kreis und tanzt mit. Damit nimmt sie die Stelle der Sommerfrau ein und erweckt das Interesse des Winterschmieds, des Herrn des Winters. Er versucht sie zu umgarnen: Es beginnt mit Schneeflocken, welche die Form von Tiffany haben, doch im Laufe der Zeit wird sein Wirken immer drastischer. Er – und damit auch der Winter – weigern sich zu gehen. Weiter zählt zu den unheimlichen Dingen in Bezug auf Hexen auch, dass sie wissen, wann sie sterben werden – und Fräulein Verrats Todestag kommt sehr ungelegen: Übermorgen, am Freitag um kurz nach halb sieben. Da ist nicht nur der Leichenschmaus vorzubereiten, an dem Fräulein Verrat selbstverständlich teilnehmen wird – wann sollte sie sonst noch einmal alle Hexen zusammenkommen sehen – sondern auch die Frage, was mit der Hütte – und der Schülerin – von Fräulein Verrat wird, wenn sie auszieht. Es ist klar, dass Annagramma darauf Anspruch erheben wird – und Tiffany war in der Vergangenheit schon mit ihr angeeckt.

Es kommt eine anstrengende Zeit auf die große kleine Hexe zu.

 

Der Winterschmied ist bereits die dritte Geschichte mit der Nachwuchshexe Tiffany Weh. Sie hat zwar mittlerweile ihre Heimat, das Kreideland, verlassen, aber nicht aus dem Herzen verloren. Besonders der junge Roland, der Sohn des Barons vom Kreideland, der nicht ihr-junger-Mann ist, schreibt ihr fleißig Briefe, die sie sehr gerne beantwortet. Außerdem sind Tiffany einige – etwa 500 – kleine blaue Männer vom Klan "Wir sind die Größten!" gefolgt und die rauf- und trinklustigen Kobolde mit dem Schottentuch um den Lenden sind bereit für ihre große kleine Hexe jede Gefahr zu bestehen. Jetzt lebt Tiffany bei Fräulein Verrat in einem Dorf unweit von Lancre in den Spitzhornbergen. Dort erlernt sie die Hexerei. Bei Fräulein Verrat geht es im Gegensatz zur Lehre der mit Talismanen übersäten Fräulein Ohrwurm nicht in erster Linie um Magie, sondern um das Essenmachen (Tiffany kann guten Käse machen – wenngleich es beunruhigend ist, wenn Horace, der laufende Käse, einen anstarrt; schließlich hat er keine Augen…), das Schrubben und die alltäglichen Sorgen der Dörfler. Ein wichtiger Punkt: Es gilt die Dorfbewohner davon zu überzeugen, dass sie besser auf die Ratschläge hören – wenn diese erstmal akzeptiert haben, dass die Trägerin des spitzen Hutes eine Hexe ist, wird die Arbeit gleich viel leichter.

Es werden wieder Fäden aus den älteren Geschichten um Tiffany Weh (Freie kleine Männer und Ein Hut voller Sterne) aufgegriffen: Roland und die herrlichen Chaoten vom Klan "Wir sind die Größten!" wurden schon erwähnt, dazu sieht man Tiffanys Familie, die Hexe Fräulein Tick und natürlich die arrogante Annagramma wieder. So nahe von Lancre treten selbstverständlich auch einige Figuren der aus den Scheibenwelt Romanen der Hexen Reihe auf: die harsche, aber scharfsinnige Oma Wetterwachs und die lebenslustige Nanny Ogg (wohnhaft in Tir Nani Ogg) samt Hausstand wie Kater Greebo oder Sohn Shawn werden dem Leser bekannt vorkommen.

Pratchett nutzt bekannte Figuren und bleibt bei seinem Stil – die Figuren sind rund, wenn auch bis zum Grotesken exzentrisch. Die Hauptfigur Tiffany ist im inneren Dialog mit sich selbst, ihren zweiten Gedanken und sogar den dritten Gedanken, die nicht immer auf ihrer Seite stehen. Schließlich sind seit der Auseinandersetzung mit dem Schwärmer noch Fragmente der Persönlichkeit von Professor Hetzig in ihrem Kopf – er übersetzt hin und wieder für Tiffany oder gibt ihr Hinweise.

 

Die Handlung vereinigt zwei zentrale Stränge: Es wird die Entwicklung von Tiffany und auch die von Annagramma vorangetrieben. Während es bei Annagramma mehr um die soziale Entwicklung geht, entwickelt sich bei Tiffany der Charakter weiter. Für sich genommen wirkt dieser Strang etwas deplaziert im Winterschmied, doch gerade er verknüpft ihn mit den anderen Tiffany Geschichten. Zum anderen ist da der Märchen und Sagen Stoff. Pratchett verwendet die Elemente aus Persephone in der Unterwelt, Väterchen Frost und dergleichen zweigleisig: Wenn Tiffany mit dem Winterschmied umgeht, ist es ein stimmungsvolles Kunstmärchen; wenn Oma Wetterwachs und die anderen Hexen das Problem angehen, wird es zu einem quasi postmodernen Kommentar auf Märchen und Sagen. Mit diesen drei Blickwinkeln gerät die Geschichte in eigentümliches Fahrwasser: Die Entwicklungsgeschichte ist klar auf ältere Kinder zugeschnitten; der Kunstmärchenstrang wird zweifellos viele erwachsene Freunde finden, ist aber traditionellerweise für Kinder gedacht, und der Kommentar-Strang ist deutlich für Erwachsene, die sich mit dem Märchen und Sagen Stoff auskennen. Hinzukommt, dass der Kenner der Scheibenwelt, besonders der Hexen-Geschichten, die eine oder andere Anspielung zwar besser verstehen wird und Fans der Hexen sich über ein Wiedersehen mit Oma Wetterwachs und Nanny Ogg freuen werden, aber ihnen auch einige Scherze bekannt vorkommen dürften: Der Schwefel in den Socken erinnert sehr an Ab die Post. Die Zielgruppe ist somit sehr unklar: Kinder oder Erwachsene? Neulinge oder Kenner? Vielleicht ein Elternteil, welches die Scheibenwelt kennt, und die Geschichte dem Kind, welches sie noch nicht kennt, vorliest? Sicher aber ist, dass man ein Herz für Märchen, die mal ein bisschen unheimlich und mal komisch sind, haben sollte.

 

Boris Aljinovic ist ein außerordentlich guter Sprecher. Zwar gelangt er bei der Anzahl der auftretenden Figuren an die Grenze seiner Wandlungsfähigkeit, aber allen wichtigen und halbwegs wichtigen Rollen verleit er eine distinkte Stimme, deren Tonfall er überzeugend an die jeweilige Szene anpasst. Alleine damit versetzt er den Hörer in die richtige Stimmung für ein Wintermärchen. Der ernsthafte, bisweilen lakonische Stil Aljinovics hebt sich nach meinem Dafürhalten wohltuend von Dirk Bachs schriller und überzogener Interpretation ab. Weiter wird das Vorgelesene teilweise mit Geräuschen unterlegt: dem Heulen des Windes, knarrende Schritte auf der Treppe und das Miauen einer gewissen weißen Katze. An manchen Stellen scheinen diese bloßer Selbstzweck zu sein, an anderen aber wirken sie sich positiv auf die Stimmung aus. Die Lesung erstreckt sich mit 380 Minuten über fünf CDs, wurde aber dennoch gekürzt. Manchmal wirkt es zwar ein wenig holprig, doch im Großen und Ganzen fallen die fehlenden Szenen nicht weiter auf; es geht allerdings etwas von der Geschichten übergreifenden Wandlung Tiffanys verloren – im vorgreifenden ersten (in der Lesung fehlenden) Kapitel gibt Tiffany den Männern ihres Heimatdorfes Anweisungen: Man respektiert den spitzen Hut. Was aber dieses veränderte Verhalten für das Mädchen bedeutet geht verloren.

 

Fazit:

Die Lehrlingshexe Tiffany Weh hat alle Hände voll zu tun, denn einerseits ist da Annagramma und andererseits muss sie sich der eiskalten Avancen des Winterschmieds erwehren; diese ungewöhnliche Scheibenweltgeschichte ist mehr Märchen als Fantasy-Schelmenroman, aber Pratchetts moralische Grundhaltung und sein Sinn für Absurditäten des Alltags bleibt erhalten in dieser wunderbar von Boris Aljinovic vorgetragenen Lesung.

Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 202404250108244a8e4b6c
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Hörbuch:

Der Winterschmied

Reihe: Märchen von der Scheibenwelt (Tiffany Weh)

Original: Wintersmith (2006)

Autor: Terry Pratchett

Sprecher: Boris Aljinovic

Verlag: Random House Audion (2007)

Minuten: 380 – Gekürzte Lesung

ISBN-10: 3866044933

ISBN-13: 978-3866044937

 

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Erstellt: 21.03.2007, zuletzt aktualisiert: 09.01.2024 15:42, 3677