Die bezaubernde Florentinerin (Autor: Salman Rushdie)
 
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Die bezaubernde Florentinerin von Salman Rushdie

Rezension von Oliver Kotowski

 

Rezension:

Ein Fremder mit langem blonden Haar und einem bizarren Mantel aus gelben Lederflicken kommt nach Indien an den Hof des Moguls Akbar. Der Mann reist wie ein Tagelöhner und hat doch die Haltung eines Fürsten. Er kenne ein Geheimnis, das nur für die Ohren des Moguls bestimmt sei. Ist es der geheimnisvolle Brief, den er Lord Hauksbank abnahm, als er sich als Uccello di Firenze aus Florenz vorstellte? Oder ist es doch etwas anderes – ist der blonde Mann vielleicht wirklich Niccolò Vespucci, der Onkel des Moguls Akbar? Um seine Behauptung zu untermauern erzählt der Florentiner die Geschichte dreier Freunde aus seiner Heimatstadt, Niccolò "Il Machia", Ago Vespucci und Antonio Argalia, der aufgrund eines Schicksalsschlages in die Welt hinausziehen muss, und Qara Köz, der schönsten und bezaubernsten aller Mogulprinzessinnen, die im Osten schon beinahe vergessen ist, im fernen Florenz sich aber einen Namen als Angelica machte.

 

Die bezaubernde Florentinerin ist eine sehr verschlungene Geschichte mit vielen verschnörkelten Digressen, die an die verschiedensten Orte und Zeiten führt, doch die beiden zentralen Stränge spielen zu weiten Teilen im 16. Jh.: Niccolò Vespucci kommt 1572 im indischen Fatehpur Sikri an dem Hofe des Großmoguls Akbar und seine Erzählung beginnt zwar Ende des 15. Jh., macht aber schnell einen Sprung ins 16. Jh. Hier gibt es zwar einige Abschweifungen von Indern bis zu den "Indianern", doch der Mittelpunkt liegt in Florenz.

Trotz der vielen historischen Schauplätze ist die Geschichte im eigentlichen Sinne kein historischer Roman – es werden zwar historische Figuren wie Machiavelli und Vlad Ţepeş, historische Topoi und Requisiten verwendet, doch das alles nur als postmodernes Spiel – so verwendet Rushdie statt des historisch verbürgten Vlad Ţepeş die populärwissenschaftliche Figur des Dracula und bricht auch sonst immer wieder mit den Fakten.

Die en detail beschriebenen Schauplätze, aller Prunk und Glanz, sind nichts als Theaterkulisse. Damit ist das Setting ein exotisches Ambiente. Interessanterweise wirken die Florentiner Szenen realistischer als die indischen, diese wiederum sind aber interessanter: Der Mogul Akbar besitzt eine blühende Fantasie, für moderne westliche Verhältnisse ist sie so ausgeprägt, dass er damit am Rande des Wahnsinns steht. Nun widersprechen die Untertanen aber nicht ihrem absolutistischen Herrscher und so werden unfreiwillig bizarre Possen am Hof aufgeführt, was für eine recht surreale Stimmung sorgt.

Damit kommen wir zu den phantastischen Elementen. Hier ist unklar, wie weit diese reichen. So erfindet Akbar sich (zu seinen unzähligen Ehefrauen und Konkubinen) Jodhabai. Sie ist die ideale Frau (für Akbar): Wunderschön, angemessen kess und in allen Sexualpraktiken bestens bewandert. Hier stellt sich dem Leser nun die Frage, ob sie nur eine Wahnvorstellung Akbars ist und somit nur in seiner Fantasie real ist oder ob es ihm wahrhaftig gelungen ist ihr eine gewisse objektive Realität zu verleihen. Ihre von Akbar bezahlten Diener treten nachhaltig für Letzteres ein und keiner der Untertanen würde es wagen den zuweilen despotischen Akbar zu widersprechen – Akbars Ideen sind immer weise und geistreich. Auf der anderen Seite gibt es ganz eindeutige Wunder unter den phantastischen Elementen: Niccolò Vespuccis Mantel ist verzaubert: In ihm lassen sich große Mengen von Diebesgut unauffindbar verstecken. Die eindeutigen Wunder spielen aber eine wesentlich geringere Rolle als diejenigen, die zur todorovschen Phantastik gehören.

 

Die Zahl der Figuren von Belang ist relativ hoch, doch vielen kommt nur eine recht eng begrenzte Rolle zu, sodass der Leser sich den Namen nur für eine Episode merken muss – da meistenteils nicht klar ist, welche Figur wieder auftaucht und welche nicht, wird dieser Umstand dem Leser kaum Arbeit abnehmen. Schon die große Zahl der Figuren erschwert eine detaillierte Charakterisierung, doch Rushdie belässt die Figuren darüber hinaus vage und gewährt nur wenige Einblicke in deren Seelenleben; dadurch bleiben die Figuren dem Leser fremd und wirken bisweilen typenhaft.

Der Mogul Akbar ist eine der drei zentralen Figuren. Er ist eine sehr zerrissene Gestalt. Einerseits ist er der große und weise Mogul. Stets wird er für seine guten Einfälle gelobt und in der Tat steht er der Weisheit und Aufgeklärtheit auch einigermaßen aufgeschlossen gegenüber, doch andererseits ist er eher ungebildet, kann kaum lesen oder schreiben und glaubt, dass seine Paradoxien klug sind – seine Speichellecker bestätigen ihn in dieser Auffassung. Einerseits will er intellektuell gefordert werden, mag kein Idiot sein, andererseits kann er Menschen, die ihm nicht schmeicheln, harsch bestrafen, weil er sie für anmaßend hält. Seine Neigung zum Hedonismus, seine Wankelmütigkeit und seine Impulsivität lassen ihn oftmals fragwürdige Entscheidungen treffen – den daraus erwachsenden ethischen Herausforderungen begegnet er dann mit einiger Feigheit.

Qara Köz war Akbars Großtante. Sie war die schönste Frau im ganzen Reich und konnte mit Leichtigkeit jedermann verzaubern. Nur Khanzada, ihre ältere Schwester, hatte eine ambivalente Haltung, da sie die Position als schönste Frau verlor. Als Khanzada als Geisel das Land verlassen musste, nahm sie Qara Köz und deren spiegelbildhafte Dienerin mit. Jahre später gingen sie in den Besitz des persischen Schahs über, der sie zurückgeben wollte – doch Qara Köz betörte ihn um an seiner Seite bleiben zu können und so begann ihre seltsame Odyssee, die sie nach Florenz führen sollte. Sie ist wunderschön und verliebt sich stets in große Männer, die ihrer gesellschaftlichen Stellung nutzen. "Überleben" ist ihre simple Devise, doch zaghaft klingt an, dass sie eine vielschichtigere Figur ist, dass ihre Liebe vielleicht nicht so instrumentalisiert ist, ihre Beziehung zur Dienerin vielleicht tiefer als normal ist, dass sie besonders um ihre Selbstbestimmung kämpft.

Als dritte Figur bleibt der blonde Florentiner, der Gaukler und Scharlatan, der sich mal Mogor dell'Amore, Uccello di Firenze oder Niccolò Vespucci nennt. Namen sind für ihn wie Häute für Schlangen – sobald man sie nicht mehr braucht, werden sie abgestreift. Doch über seine wahre Motivation bleibt man im Dunkeln: Was will er wirklich von Akbar? Ist er tatsächlich der Onkel? Ist er nur ein Vagabund? Jedenfalls kann er nahezu jeden überreden, jeden von sich eingenommen machen. Eigenwilligerweise sieht Qara Köz in seiner Erzählung einige Male eine langhaarige Blondine von Hinten – eindeutig selbstreferentielle Stellen (im doppelten Sinne). Doch ist es das lange Haar, das Qara Köz täuscht – oder macht der Florentiner sich einen Spaß daraus, verschleiert seine wahre Identität preiszugeben? Ist Er vielleicht eine Sie, ist Niccolò Vesspucci vielleicht anstelle von Qara Köz die bezaubernde Florentinerin? Ich wünsche dem geneigten Leser viel Spaß beim Rätseln.

 

Der Plot des Romans ist nicht leicht zu beschreiben. Dies fällt besonders bei der Binnengeschichte um Qara Köz schwer. Zwar ist Liebe eine zentrale Motivation, doch die Figuren bleiben so distanziert, dass der Strang kaum als Liebesgeschichte zu lesen ist. Ähnliches gilt für eine Lesart als Entwicklungsroman – Qara Köz' Charakter wird nur sehr selten und vage thematisiert. Auch als Sittengemälde taugt der Strang nicht, dafür gibt es zu viel künstlerische Freiheit. Eingebettet in diesen Strang sind wiederum zahlreiche kleinere Episoden, wie etwa die Geschichte von Argalia, dem letzten condottiere, oder dem glücklosen Niccolò "Il Machia", der später als Machiavelli bekannt wurde. Etwas einfacher fällt es bei Niccolò Vespuccis Strang. Anfangs ist er eine Mischung aus pikareskem Gaunerstück und Thriller, bei dem der Quacksalber dem Mogul des Kaisers neue Kleider verkaufen will – nicht ganz ohne Gefahr. Das Ende macht diese Lesart allerdings wiederum schwer.

Die Spannung wird vor allem aus den situativen Szenen gewonnen: Es gibt viele bombastische Prunk- und Prachtszenen sowie saftige Derbheiten, aber es gibt auch einige sehr spannende Szenen in denen der Vabanque-Spieler Niccolò Vespucci am Werke ist, die auf beste Art an jene Szenen aus Alexandre Dumas' Die drei Musketiere erinnern, in denen Lady Winter sich nicht nur aus der englischen Inhaftierung herausredet, sondern gleichzeitig ihren Gefängniswächter als Attentäter rekrutiert. Womit wir zur wohl gewichtigsten Spannungsquelle kommen: der Intertextualität. Naheliegend ist der Vergleich mit den Geschichten von Tausendundeine Nacht – dort erzählt die bezaubernde Schehrezad dem blutrünstigen König Schehrijar Geschichten um ihr Leben zu retten, hier Niccolò Vespucci dem Mogul Akbar, der von sich selbst mehrfach als Kalif Harûn er-Raschîd träumt. Beide Erzähler wollen in die Familie des Herrschers gelangen. Wichtiger noch ist allerdings der verschachtelte Aufbau von Rahmenerzählung und Binnenerzählungen, die wiederum selbst zu Rahmenerzählungen werden können. Außerdem gibt es eine gewisse Ähnlichkeit zu Umberto Ecos Baudolino: In beiden Fällen erzählen Lügner eine fantastische Geschichte über ferne Orte – kannte Baudolino einen reißenden Fluss, der am heiligen Tag stillstand, so kennt Niccolò Vespucci einen Ort ("God's Own County"), an denen der Zeitfluss für einige beinahe stillsteht, während sie für andere rasant verläuft. Man kann Anspielungen an Patrick Süßkinds Parfüm, Italo Calvinos Unsichtbare Städte und ein Kopfnicken zum allgegenwärtigen Vampir-Mythos finden. In der Tat wird nur der unbedarfteste Leser keinerlei und nur der Belesenste alle Anspielungen entdecken.

 

Erzähltechnisch ist der Roman zwar nicht originell, aber durchaus ungewöhnlich, was vor allem an dem Wechsel der Erzählperspektiven liegt: Es wird nicht nur häufig zwischen den Perspektivfiguren der personalen Erzählsituation, sondern auch zur auktorialen Perspektive und der eines Berichtenden gewechselt. Generell ist der Roman progressiv (wenn man den Strang Qara Köz' nicht vollständig regressiv versteht), aber immer wieder von Rückblenden und anderen regressiven Einschüben unterbrochen. Da, wie gesagt, mir nicht klar ist, was die Stoßrichtung des Romans ist, kann zumindest ich nicht festlegen ob der Roman eine Entwicklung oder Desillusion nachzeichnet; ich tippe aber auf Letzteres. Neben der Intertextualität nutzt Rushdie weitere postmoderne Techniken, wie etwa Selbstreferenzialität oder das Spiel mit den verschiedenen Genres.

Der Stil ist schwelgend und erinnert wiederum vielfach an jenem der Geschichten von Tausendundeine Nacht. Die Sätze neigen zur Länge und können durchaus kompliziert werden; die Wortwahl bedient sich eines breiten Spektrums: Es reicht von gewählter Sprache bis hin zum Vulgären. Hier verdeutlicht der Autor immer wieder, dass er keinen historischen Roman schreiben wollte, wenn er etwa eine schöne Frau als "Sexbombe" beschreibt und dergleichen mehr.

 

Fazit:

Der geheimnisvolle Florentiner Niccolò Vespucci gelangt an den prächtigen Hof des bizarren Mogul Akbar und behauptet, er sei dessen Onkel; zur Untermauerung erzählt er die seltsame Geschichte der bezaubernden Qara Köz, einer fast vergessenen Prinzessin. Die bezaubernde Florentinerin ist eine sehr komplexe Geschichte mit vielen Binnenerzählungen; Salman Rushdie spielt meisterhaft auf der Klaviatur der literarischen Formen – inhaltlich bleibt es aber bei Variationen des Bekannten. Da mag man dagegenhalten: So ist sie halt, die Postmoderne.

 

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Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 20240328225206dd63cede
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Roman:

Titel: Die bezaubernde Florentinerin

Reihe: -

Original: The Enchantress of Florence (2008)

Autor: Salman Rushdie

Übersetzer: Bernhard Robben

Verlag: Rowohlt (März 2009)

Seiten: 447 – Gebunden

Titelbild: Maiwolf Photography

ISBN-13: 978-3-498-05783-1

Erhältlich bei: Amazon


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Erstellt: 01.06.2009, zuletzt aktualisiert: 27.02.2024 17:30, 8832