Achim Stößer ist dafür bekannt, sich in seinen Kurzgeschichten mit komplexen und schwierigen Themen zu befassen und dabei klar Stellung zu beziehen. Über die Jahre sammelten sich so zu einigen Themenfeldern genügend Geschichten an, um sie in eine separate Story-Sammlung unterzubringen. Die dunkle Seite der Erde enthält nun 27 Texte, darunter etliche Erstveröffentlichungen, die sich mit Religion befassen, oder wie es der Untertitel nennt: »Blasphemische Science-Fiction-Geschichten«.
Religionskritik ist ein heißes Eisen, da die Gläubigen der betroffenen Religionen nicht unbedingt alle gelassen damit umgehen können. Es gehört also schon ein großes Maß an Mut dazu, sich der zu erwartenden Kontroverse auszusetzen. In der deutschsprachigen Science-Fiction findet sich das nicht allzu oft.
Die Rezeption von Geschichten zu und über Religion bringt ein großes Problem mit sich: Was weiß man als lesende Person über das Thema? Der Autor bezieht sich vielfach auf religiöse Texte, deren Kenntnis nicht unbedingt vorausgesetzt werden kann. Ohne die vielleicht vorhandenen tiefer gehenden theologischen Details genau identifizieren zu können, lassen sich einige Themengebiete festmachen: Sexueller Missbrauch und generell Machtmissbrauch durch Religionsvertreter, die Absurdität von Glaubenskonzepten, Missionierung und die negativen Auswirkungen von Religion auf die Entwicklung intelligenter Lebensformen. Ja, in Achim Stößers Geschichten sind auch Aliens nicht vor Religion gefeit.
Achim Stößer ist ein erfahrener Kurzgeschichtenautor. Seine Stärken liegen in der sarkastischen Überhöhung religiöser Absonderlichkeiten, die er mal mit feinem Witz, mal mit naturalistischer Schärfe bloßlegt, gerade die Geschichten, in denen sich Aliens mit ihrer eigenen Religion herumschlagen, zählen zu den Höhepunkten der Sammlung.
Besonders grotesk ist hier die Trilogie um Rruuptuuur, der sich für ein Ritual Erdenfrauen besorgt, da es in seiner Heimat nicht erlaubt ist (Bug-Eyed Monster: First Kiss, Sternsplitter, Return of the Bug-Eyed Monster).
Im Gegenzug hat der Mensch Pater Anselm im zweiten Mehrteiler Probleme, die Bewohner anderer Himmelskörper des Sonnensystems zu missionieren (Pater Anselms Marsmission, Pater Anselm auf den Marsmonden: Die Schreckensmission, Pater Anselm auf den Marsmonden: Die Furcht selbst). Die Storys erinnern an alte Pulp-Serien und man hätte hier vielleicht sogar diverse andere religionskritische Aspekte in weiteren Geschichten unterbringen können.
Invasive Aliens hingegen bringen ihre eigenen Religionen mit und sind damit mehr oder weniger erfolgreich (Yäbusru sei Dank, Silvesterfeuerwerk, Schmarotzer, Elohim). Andere kurieren lieber die Dummheit der Menschen (Herrgottsack, Eins und eins macht zwei).
Das Konzept der Zeitreise bringt natürlich auch für Religionen Gefahren mit sich, etwa wenn man überprüfen kann, ob es Jesus wirklich gab, wie alt die Welt ist oder ob ein paar kleine Änderungen hie und da alles zum Guten wenden können. Achim Stößer verwendet dabei nicht nur einfache Zeitreisen oder alternative Zeitlinien (All die Irrgærten, Eizeit, Maulkörbe, I.N.R.I. Robot), sondern auch Chronofotografie und Chronopsie gehört für mich hier zu den Highlights der Sammlung.
Der Faktencheck der Wissenschaft trifft auf Fanatiker und Achim Stößer schlägt sich klar auf die Seite der Wissenschaft.
Einige Geschichten thematisieren Religionskritik sehr zentral (Fußstapfen, Mimikry, Buchhandlungen, Das Mal). Leider gelingt es dem Autor nicht immer, seine Gedanken hierzu organisch in die Handlung einfließen zu lassen, manchmal ist der Plot nur ein dünnes Mäntelchen für die Autorenmeinung. Vielleicht wäre es sogar besser gewesen, entsprechende Essays als tiefergehende Ergänzung anstelle solcher Storys zu implementieren.
Eine Ausnahme bildet hier das schon ältere Veni, vidi, das ich für die gelungenste Verbindung von eindringlicher Figurenentwicklung und Betrachtung religiöser Alltäglichkeiten in der Sammlung halte.
Den Abschluss der Sammlung bildet das großartige Bethlehem aus der Anthologie Am Anfang war das Bild. Die Bibelgeschichte als Serienguide zu einer SF-Serie liest sich nicht nur vergnüglich mit den Filmfehlern und Trivia-Blöcken, sie ist auch eine schönere Auflockerung der sonst eher klassisch gehaltenen Texte, wenn man vom Limerick-Mehrteiler Da Vincis Zeitmaschine einmal absieht.
Das wesentliche Problem der Sammlung ist für mich, dass die Konzentration auf ein Thema zu inhaltlichen Wiederholungen führt. Hier hätte man vielleicht pro Komplex die Anzahl begrenzen sollen und ein paar schwächere Texte weglassen sollen. Des Weiteren hätte man auf Texte verzichten sollen, die das Religionsproblem mehr erläutern als eine Geschichte zu erzählen.
Als sehr unangenehm empfand ich die einseitige Darstellung christlicher Priester, die allesamt Missbrauchstäter sind. Es ist wichtig, diese Verbrechen zu thematisieren. Der Figurendarstellung bekommt diese simple Reduzierung jedoch nicht.
So bleibt nach der Lektüre ein durchwachsener Eindruck. Gute Geschichten stehen neben aufklärerischen Texten und nehmen sich so in meinen Augen gegenseitig die Wirkung.
Das Titelbild von Klaus Brandt bezieht sich auf keine konkrete Story, passt aber durchaus zu den im Buch vorkommenden Alieninvasionen.
Editorisch ist anzumerken, dass meine Ausgabe eine Textwiederholung beim Wechsel von Geschichte zwei zu drei hat, vermutlich ungewollt.