Die dunkle Seite der Nacht (Autor: Simon R. Green, Geschichten aus der Nightside Bd.1)
 
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Die dunkle Seite der Nacht von Simon R. Green

Reihe: Geschichten aus der Nightside Bd.1

Rezension von Christian Endres

 

Simon R. Green hat sich seinerzeit mit »Schattenfall« auf immerdar in mein Fantasy-Leserherz geschrieben und sich mit der Geschichte über die Stadt der verblassenden und vergessenen Heldengestalten fest in der ewigen Top Ten meiner Lieblings-Genre-Bücher positioniert. Dennoch bin ich die letzten Jahre hinweg objektiv genug geblieben, um zu erkennen, dass der Autor von »Das Regenbogenschwert«, »Das dunkle Fort« oder den Geschichten aus dem Todstelzer-Universum nicht immer hundertprozentig den Nerv trifft und auch mal ein eher unterdurchschnittlich interessantes Phantastik-Werk abzuliefern vermag. Um so gespannter war ich daher, als Feder & Schwert im November 2006 den ersten Band von Greens neuer Fantasy-Serie im Taschenbuch veröffentlichte – einer Serie nach dem Modern Mystic-Schema, in der wir einem Hard-Boiled-ähnlichen Detektiv namens John Taylor auf und in »Die Dunkle Seite der Nacht« folgen ...

 

Die Nightside, eine Gegend zwischen Sein und Schein, ist der dunkelste Teil des pulsierenden Herzen Londons – nicht ganz in einer anderen Dimension, aber sicher auch nicht von oder ausnahmslos Teil unserer Welt. Trotzdem ist die Nightside mit dieser verbunden, sodass man, wenn man weiß, wohin man sich wenden, welche Türen man öffnen muss, auch vom »normalen Alltagslondon« in die von Magie, Dämonen und anderen phantastischen Dingen und Wesen bevölkerte und geprägte Welt der ewigen Nacht treten kann.

 

Privatdetektiv John Taylor nun hat sich einst vorgenommen, nie wieder die Nightside zu betreten. Doch als die reiche und schöne Karrierefrau Joanna Barrett in das Leben des Ermittlers mit dem weißen Trenchcoat tritt, gerät sein Vorsatz gehörig ins Wanken. Und als Joanna ihn dann auch noch unter der Verlockung üppiger Bezahlung bittet, sie mit in die Nightside zu nehmen, um gemeinsam mit Taylor nach ihrer fortgelaufenen Tochter zu suchen, tut dieser das Unwahrscheinliche, aber letztlich eben auch Unvermeidliche, wenn man ein gefallener Kämpe aus der Nightside ist:

 

Er kehrt in die Nightside zurück ...

 

Dort wiederum ist John Taylor wahrlich kein Unbekannter und alles andere als ein phantomhaftes Mysterium unter vielen – er hat einen Namen, und er hat einen Ruf. Beide mögen nicht an jeder Ecke die besten Kommentare hervorlocken, und beide mögen ihm nicht immer alle Türe öffnen oder unsterbliche Bande der Freundschaft knüpfen – dennoch genießt er einiges an Respekt. Irgendwann allerdings hilft einem Respekt oder magisches Talent – in Johns Fall die Gabe, alles finden zu können, das auf die ein oder andere Weise gefunden werden kann – allein nicht weiter. Dann wiederum ist es gut, wenn man sich auf vermeintliche Freunde wie Eddie Messer oder Suzie Shooter verlassen kann – freilich allesamt skurrile Gestalten, die jedoch bestens ins Bild der Nightside passen.

 

Am Ende muss John ungeachtet dessen einmal mehr erkennen, dass eben diese Nightside, eine zumindest physisch gesehen »zweieinhalb Quadratkilometer große Hölle mitten in London«, selbst für hartgesottene Kerle, verhinderte Helden und Ritter in grauer Rüstung/weißem Trenchcoat, noch die ein oder andere Überraschung bereit halten kann – und freilich auch die ein oder andere tödliche Täuschung oder Gefahr ...

 

Die Nightside ist ein Ort, der wie geschaffen scheint, um Geschichten über ihn zu erzählen: Phantastische Wesen und Dinge, wohin man nur blickt, und ein stets wankendes Maß an vertrauten und neuartigen, innovativen Begebenheiten. Nichts ist, was es zu sein scheint, jeder kann alles sein – oder gar nichts. Jeder und alles hat seine eigene Moral, Freunde werden zu Feinden und umgekehrt, Magie steht an der Tagesordnung, der Tod, aber eben auch das Glück lauern unter jedem Gullydeckel; Zeitanomalien, Trolle, Geister, Serienmörder, sprechende Pferde und 60er Jahre Geistercafés ...

 

Es scheint mir ungerecht, einen Vergleich zwischen Schattenfall und der Nightside zu ziehen, zumal Green seine beiden großen urbanen Schöpfungen klar zur mehr oder weniger friedvollen Co-Existenz verdonnert, indem er die U-Bahn-Züge, die nach Nightside fahren, auch nach Schattenfall weiterfahren lässt. Vielleicht ist es am passensten, die Nightside als konsequente und vom städtischen Flair her phantastischere Weiterentwicklung Schattenfalls zu sehen – also möglicherweise das Eingeständnis, dass ein gereifter Green Schattenfall heute anders gestalten würde. Vielleicht ist das nun aber auch zu viel der Interpretation. Letztlich steht die Nightside mit ihrem Mix aus archetypischer Modern Fantasy und knackig-innovativer Mystery auch Bestens für sich allein und spricht Bände – und wenn das nicht, so kann man mit ihr und den Geschichten, die sich in ihr abspielen, doch zumindest Bände füllen ...

 

Stilistisch reißt Green sicherlich keine Bäume aus – trotzdem trifft er mit seiner Ich-Erzählung aus der Sicht von Ermittler John Taylor voll ins Schwarze. Der Ton stimmt einfach, wenn Green den Leser an Johns Seite stellt und ihm die in Neonfarben schillernden Wunder, aber auch die finstern Ecken, Sackgassen und Abgründe der Nightside zeigt. Und überhaupt: Mit John Taylor zeigt Simon R. Green, dass er die Kniffe seiner Kunst durchaus beherrscht, die Mechanismen des modernen Fantasy-Marktes ja geradezu vorzüglich versteht: Taylor ist eine Mischung aus Sam Spade, Dick Tracy und Ritter Lancelot; eine Mischung aus Hard-Boiled-Detektiv, edlem Ritter und sympathischem Underdog; kurzum, er ist ein Charakter, dem man gerne durch die an sich schon faszinierende Nightside hinterher schleicht. Und spätestens wenn John dann noch von seiner magischen Gabe Gebrauch macht oder man auf jeder Seite das Gefühl hat, dass John und die Nightside mehr sind als alte Bekannte, hat Green einen an der Angel und einen treuen Leser für Taylors Rückkehr und weitere Ermittlungen in der Nightside gefunden ...

 

Die klassische Detektivstory, die sich auf den Seiten verbirgt, lebt natürlich von der schillernden Nightside. Mit vor Staunen großen Augen folgen wir Taylor durch dieses Monster und lernen die Grenzen dieser Seite des Seins kennen – oder auch nicht, denn Zeitblasen und -Reisen sowie Dimensionssprünge scheinen hier ebenfalls keine allzu große Überraschung darzustellen. Taylors Ermittlung ist spannend und gut geschildert, tritt gelegentlich aber – ganz bewusst – in den Hintergrund, um die Facetten der Nightside im Licht der Scheinwerfer, mit denen Green sie anstrahlt, aufblitzen zu lassen – womit die Ermittlungen in der Konsequenz am Ende aber ebenfalls stets weiter voran getrieben werden. Klassisch steuern wir also dem großen Finale entgegen, während wir über die Kuriositäten der Nightside nur staunen können. Im Fall des angesprochenen Finales – das auch nicht gar so gut getimed ist und den Drive der Story nicht ganz mitnehmen kann – kann ich mich hingegen nicht ganz entscheiden, ob es nun ein unbeabsichtig-zufälliges »Plagiat« von oder doch eher eine Hommage an Clive Barkers Thief of Time sein soll ...

 

Feder & Schwert präsentiert den Auftaktroman der Nightside-Reihe als schlankes, aber durchweg sehr schön gestaltetes Taschenbuch von 200 Seiten Umfang, das zwar etwas teurer des Weges daher kommt als andere Publikationen, dank eines sparsamen Satzes aber auch einiges an Lesespaß und -Dauer bietet, von den aufmachungstechnischen Vorteilen des Bändchens – wie dem schicken Covermotiv, dem guten Papier oder dem ungewöhnlich festen und glänzenden Einband – ganz zu schweigen.

 

Fazit: John Taylors Ermittlung und vor allem seine Rückkehr in die Nightside lesen sich durchwegs spannend. Das Finale wiederum gelingt Green einmal mehr leider nicht ganz, doch fängt er sich zum Ende hin wieder. Außerdem hat er auf dem Weg zum Höhepunkt fraglos genug Glitzersteine liegen lassen, um den Weg in die Nightside wieder zu finden ...

 

Dashiell Hammet meets Neil Gaiman, Clive Barker meets Frank Miller – oder einfach nur Simon R. Greens alles in allem ziemlich gelungener Auftakt zu einer Serie voller Phantasie, Potential und einem schon jetzt beinahe kultigem Helden.

 

Bitte mehr davon!

 

Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 20240418170940da94de0d
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Buch:

Die Dunkle Seite der Nacht

Reihe: Geschichten aus der Nightside Bd.1

Autor: Simon R. Green

Taschenbuch - Feder & Schwert

Erscheinungsdatum: November 2006

ISBN: 393725594X

Erhältlich bei Amazon


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Erstellt: 12.02.2007, zuletzt aktualisiert: 25.03.2024 16:30, 3495