Rezension von Ingo Gatzer
Rezension:
Bobby Dollar ist ein Engel. Allerdings schwebt er nicht in den himmlischen Gefilden, sondern arbeitet in einem menschlichen Körper als erdbasierter Anwaltsengel. Seine Aufgabe ist die Verteidigung der Seelen Verstorbener gegen die Ankläger der Hölle. Doch als eine Seele spurlos verschwindet, fangen die Schwierigkeiten an. Bobby Dollar stellt auf eigene Faust Nachforschungen an und muss bald um sein Leben rennen. Seine Verfolger suchen einen Gegenstand, der angeblich in seinem Besitz sein soll. Immerhin gibt es aber auch Dämonen, die teuflisch anziehend sind.
Tad Williams muss eigentlich nicht vorgestellt werden. Mit den Reihen "Osten Ard" und "Otherland" hat der 1957 geborene US-Amerikaner sowohl im Fantasy- als auch im Science-Fiction-Genre herausragende Zyklen geschaffen. In seinem neuesten Roman, der der Auftakt zu einer Trilogie ist, wagt er einen Ausflug in das Genre der Urban Fantasy.
Der Autor geht gleich zu Beginn "Die dunklen Gassen des Himmels" in medias res. Seine Hauptfigur Bobby Dollar, der auch als Ich-Erzähler fungiert, ist mal wieder in Schwierigkeiten und muss sich seiner Haut wehren. Durch den Kunstgriff, eigentlich in der Mitte des Plots zu beginnen und mit einer Rückblende erst danach die Vorgeschichte zu erzählen, ist der Leser sofort mitten in der Geschichte und vom spannenden Auftakt gefangen.
Einen besonderen Reiz macht die von Tad Williams glaubhaft ausgearbeitete Welt von Engeln sowie Dämonen und vor allem seine Hauptfigur Bobby Dollar aus. Denn diese ist alles andere als ein gewöhnlicher Vertreter des Himmels. Der Anwaltsengel erinnert vielmehr an einen literarischen Privatschnüffler und hat zahlreiche Ecken und Kanten, die ihn zu einer interessanten und vielschichtigen Figur machen.
"Die dunklen Gassen des Himmels" besticht durch spannend und gut geschilderte Verfolgungsjagden, in denen Tad Williams immer wieder tolle Einfälle beweist. Auch stilistisch weiß der Roman zu überzeugen. Immer wieder legt der Autor seinem Anwaltsengel treffende und oft witzige Metaphern sowie Vergleiche in den Mund, die die Lektüre zu einem Vergnügen machen.
Wer sich im Genre der Urban Fantasy auskennt, wird womöglich einige Anleihen bei anderen Werken - etwa bei Jim Butchers "Harry Dresden" - erkennen. Dennoch kombiniert Tad Williams diese mit so vielen eigenen überzeugenden Ideen, dass es eigentlich nicht ins Gewicht fällt. Die Übersetzung von Cornelia Holfelder-von der Tahn ist insgesamt gut. Nur selten wundert sich der Leser über einige Formulierungen. Warum sie allerdings den englische Titel "The Dirty Streets of Heaven" nicht mit "Die dreckigen Gassen des Himmels" übersetzt, erschließt sich nicht. Am Ende - nach einem grandiosen Showdown - wird dem aufmerksamen Leser womöglich ein kleiner Anschlussfehler - bezüglich Bobby Dollars Handy - auffallen. Den Lesespaß mindert das aber nicht.
Fazit:
"Die dunklen Gassen des Himmels" ist ein großartiger Urban-Fantasy-Roman, der einmal mehr die Klasse und Vielseitigkeit von Tad Williams unterstreicht und den Wunsch aufkommen lässt, dass der nächste Band der Trilogie, "Happy Hour in Hell", schnellstmöglich erscheint.