Die Fahrt des LEVIATHAN (Autor: Oliver Henkel)
 
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Die Fahrt des LEVIATHAN von Oliver Henkel

Rezension von Ralf Steinberg

 

Verlagsinfo:

»Wilhelm Pfeyfer, Major und Kommandant des Militär-Sicherheits-Detachements in der Hauptstadt von Preußens einziger amerikanischer Provinz Karolina, dem einstigen South Carolina, wird zur Aufklärung eines Falles herangezogen, der so gar nicht seiner Stellung gerecht wird: Die »Great Eastern«, das bei Weitem größte Schiff seiner Zeit, streift einen Felsen und wird leckgeschlagen, und das mit dem preußischen König an Bord – ein Attentatsversuch? Pfeyfer und das Schiff geraten in die Wirrungen des Sezessionskrieges. Die Nordstaaten haben weit mehr Mühe, die Insurgenten zurück in die Union zu holen, als ihnen lieb ist. Die konföderierten Sklavenhalterstaaten hingegen leiden ohne die gewohnte Ausfuhr von Baumwolle und Tabak große Not. Da bietet ein undurchsichtiger Vertreter eines europäischen Landes gegen eine Gefälligkeit an, den Südstaaten Ausrüstung und Waffen zu liefern. Die »Great Eastern« kommt als Transportschiff wie gerufen. Das Schicksal scheint sich zugunsten des Südens zu neigen …«

 

Rezension:

Der Alternativwelt-Roman kann als eigenes Genre gewertet werden. Meist jedoch sind die Änderungen und Umbrüche im alternativen Geschichtsverlauf so eklatant, dass dabei deutliche Ausschläge in Richtung Phantastik gehen. Eher selten sind Romane, in denen nur Details anders verlaufen, die zwar im betroffenen Umfeld zu erstaunlichen Ereignissen führen, den Weltenlauf aber nur am Rande touchieren.

Die Fahrt des LEVIATHAN von Oliver Henkel begibt sich auf solch einen nur leicht abweichenden Kurs.

 

Die Prämisse ist denkbar sensationell: Der US-amerikanische Bundesstaat South Carolina ist zur Zeit des Sezessionskrieges schon mehrere Jahrzehnte eine preußische Kolonie - Karolina. Die Hauptstadt Charleston heißt Friedrichsburg und im Gegensatz zu den umliegenden Südstaaten gibt es in Karolina keine Sklaven. Vielmehr leben viele von ihnen nunmehr in zweiter oder dritter Generation als freie preußische Untertanen. Dem Leser wird diese Besonderheit gleich zu Beginn deutlich vor Augen geführt, als der entflohene Sklave Sam gerade so die preußische Grenze erreicht und seine Häscher von den Grenzposten mit deutlichen Worten abgewiesen werden.

Auch die eigentliche Hauptfigur ist ein Schwarzer. Major Pfeyfer ist jedoch ein typischer preußischer Militär. Pflichtbewusst, korrekt und unbedingt königstreu. Sein Großvater spielte eine wesentliche Rolle bei der Gründung Karolinas und auch Pfeyfer selbst hatte schon das Vergnügen in die Weltgeschichte einzugreifen. Diese Episode ist nachzulesen in Mr. Lincoln fährt nach Friedrichsburg, erschienen 2004 im Kurzgeschichtenband Wechselwelten.

Die Handlung setzt in einer kritischen Phase des amerikanischen Bürgerkrieges ein. Ende 1862 kämpfen die Südstaaten mit den Folgen der Handelsblockade während die Nordstaaten eher mittelmäßiges Glück im Kampf erfahren, sodass es für einen Moment lang so scheint, als ob es nur eines kleinen Anstoßes bedarf, um den Krieg für die eine oder andere Seite zu entscheiden. Die preußische Kolonie könnte dieses Zünglein an der Waage sein.

Karolina lebte bis zum Beginn des Krieges vom Handel, der durch den Hafen von Friedrichsburg abgewickelt wurde. Nun jedoch liegen Getreide- als auch Baumwollgeschäfte danieder. Die steigende Arbeitslosigkeit bringt soziale Probleme an die Oberfläche.

Denn die preußische Kolonie kämpft mit ganz eigenen Problemen. Während die von ehemaligen Sklaven abstammende Bevölkerung strikt royalistisch gesinnt ist, kämpft der amerikanische Teil der Bevölkerung für demokratische Reformen.

In dieser brenzligen Situation muss Major Pfeyfer als oberster Polizeibeamter für Ruhe und Ordnung sorgen. Doch das fällt zunehmend schwerer, als zuerst sein Adjutant ermordet wird, eine rebellische Schuldirektorin in sein Leben dringt, der König und der Kronprinz auf dem größten Schiff der Welt über den großen Teich nach Karolina schippern und ihm auch noch ein unsympathischer Geheimpolizist Befehle erteilt.

Doch er ist nicht der Einzige, der in Friedrichsburg mit den Ereignissen kämpft. Da gibt es noch die frisch eingetroffene Lehrerin Amalie, den fidelen Arzt Täuberich, einen tapsigen Vertreter der Südstaatenhandelsgesellschaft, einen rebellischen Verleger und und und ...

 

Der bunte Figurenreigen entfaltet schnell eine eigene Dynamik. Dabei gelingt es Henkel, durchaus, unterschiedliche Charaktere zu entwickeln, die nicht nur Bestandteil eines historischen Romans sind, sondern in ihren Rollen auch Reflexionen darstellen.

Besonders deutlich wird das am Frauenbild.

Henkel bietet ein emanzipationsnahes Heldinnengespann, das zwar zusammen arbeitet, aber teilweise recht unterschiedliche Frauenbilder bedient.

Amalie kämpft mit den Problemen, die sich einer jungen preußischen Lehrerin stellen. Im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen muss sie ledig bleiben, um Lehren zu dürfen. Dieses seltsam erscheinende Dogma wird genau dann zum Problem, als sie sich verliebt. Dass Henkel dieses Problem nicht nur als Staffage oder modernistische Attitüde verwendet, wird in dem Moment klar, als Täuberich ihr hoch erfreut verkündet, dass sie nach einem beruflichen Aufstieg seinerseits gar nicht mehr arbeiten bräuchte. Amalies Reaktion offenbart Henkels Absicht, seine Figuren nicht nur als bloße Darsteller anzubieten, sondern dem Leser eine kritische Betrachtung jener Zeit zu ermöglichen. Das fordert vom Leser eine bewusste Ethiktransformation. So auch, wenn sich Amalie Gedanken zur Schicklichkeit macht und ihre eigene Sicht auf ihre Rolle als Frau strikt im Zeitkontext bleibt.

 

Der historische Rahmen, wie auch die Erklärungen zu den kleineren Abweichungen vom tatsächlichen historischen Ablauf, serviert Henkel erfreulicherweise in bekömmlichen Dosen und an den passenden Stellen. Die sehr plastische Beschreibung der Welt ist eine der Stärken des Romans. Viele Szenen öffnen sich wie Gemälde und zeugen von intensiver Beschäftigung mit der Handlungszeit.

 

Jedoch ist »Die Fahrt des LEVIATHAN« beileibe kein einfacher Bilderbogen. Vielmehr gibt es jede Menge Action! Ein Mord muss aufgeklärt werden. Das politische Komplott um die Eroberung Karolinas erfordert jede Menge Intrigen und Geheimaktionen, die den Leser bis hin zu Abraham Lincoln und Bismarck führen. Henkel scheut sich nicht, historische Persönlichkeiten wie Mark Twain oder Theodor Fontane in die Handlung einzubinden, gerade weil sie für Dinge stehen, die im Roman eine Bedeutung haben. So etwa Fontanes Frauenbild und Twains Darstellung von Schwarzen. Henkel scheut sich mit Absicht nicht, das Wort Nigger zu verwenden, da es im gesetzten Zeitrahmen passt. Man kann es auch als Meinung zum Thema »Anpassungen bei Twains Huckleberry Fin« auffassen.

 

Je weiter die Handlung voranschreitet erhalten die Figuren nach und nach Motive, sich auf eine der politischen Seiten zu schlagen. Zunehmend fragt sich der Leser auf welche Katastrophe die Ereignisse zu steuern. Da der Autor hier ganz bewusst mit falschen Fährten und auktorialen Tricks arbeitet, sollte man auf keinen Fall vorschmökern. Man würde sich um ein ganz großes Vergnügen bringen, das die unerwartete Auflösung bietet.

 

Der geheime Star des Buches ist natürlich die »Great Eastern«, die recht spät ins Spiel kommt. Das Schiff ist schon ein beeindruckendes Gefährt und vermutlich wird kaum ein Leser vor der Lektüre davon gehört haben. So könnte man vermuten, hier eine Steampunkanbindung vorgesetzt zu bekommen, aber mitnichten. Das Schiff steht nicht nur für eine vergessene technische Meisterleistung, sie bildet auch den zentralen Teil der Verschwörung und nimmt ihre spannungsgeladene Rolle bis zum Schluss meisterlich wahr.

 

Bis dahin passiert jedoch eine ganze Menge und selten so, wie man es vorhersieht. Dazwischen gibt es auch eine ganze Menge Humor inklusive einiger lustiger Sentenzen in Plattdeutsch und wenn sich die Handlung ins Finale mit atemloser Spannung hineinsteigert, wird das Buch trotz des großen Umfangs zum Pageturner.

 

Fazit:

Ein bis zum letzten Fitzelchen des Glossars spannender Roman inklusive einem sehr bunten Figuren- und Handlungsreigen, wunderschön und detaillbegeistert in die historischen Kostüme gekleidet.

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Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 202403191500479385b541
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Buch:

Die Fahrt des LEVIATHAN

Autor: Oliver Henkel

Hardcover, 588 Seiten

Cover: Timo Kümmel

Atlantis Verlag, 31. März 2012

 

ISBN-10: 3941258265

ISBN-13: 978-3941258266

 

Erhältlich bei: Amazon

 

Kindle-ASIN: B007RNJMO8

 

Erhältlich bei: Amazon Kindle-Edition

 


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Erstellt: 05.05.2012, zuletzt aktualisiert: 27.02.2024 17:30, 12506