Die Fliegen der Erinnerung (Autor: Ian Watson)
 
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Die Fliegen der Erinnerung von Ian Watson

Rezension von Ralf Steinberg

 

Rezension:

Wenn ein Roman zunächst mit der Prämisse beginnt, dass einem pyramidenförmigen Raumschiff große Fliegen entweichen, die sich als »Touristen« betätigen, könnte man entweder eine Satire oder eine Alien-Invasions-Story erwarten.

Ian Watson erschafft in Die Fliegen der Erinnerung etwas ganz anderes daraus.

Die Geschichte besteht aus fünf Teilen und wechselt jeweils den Protagonisten bzw. die Protagonistin und damit auch wesentliche Aspekte der Perspektive auf das Geschehen.

 

Tatsächlich beginnt der Roman sogar in eher locker-lustiger Weise, sodass anfangs ein Schwenk in die Satire möglich scheint: Charles Spark unternimmt endlich einmal wieder etwas mit seinem Vater, als ihn die Arbeit einholt. Charly ist Experte für Körpersprache und nutzt dieses Talent als Berater der UNO, als auch im täglichen Leben weidlich aus. Ein Komitee der UNO zieht ihn heran, den Besuch der Fliegen in Rom zu begleiten.

Die Technik der Fliegen weckt die Begehrlichkeiten der verschiedenen Mächte und so tummeln sich der russische und amerikanische Geheimdienst ebenso in Rom, wie entsprechende Stellen des Vatikans. Bei einem offiziellen Treffen lernt Charly die zierliche Olivia Mendelssohn kennen, die Schatten der Zukunft wahrnehmen kann und Beraterin des Weißen Hauses ist.

Bald gesellt sich ihnen die holländische Nonne Kathinka hinzu, die als Reiseführerin des Vatikans für Nichtgläubige auch die Fliegen durch die Sehenswürdigkeiten Roms geleitet. Denn die Fliegen sind sehr wissbegierig und saugen förmlich jedes Detail in sich auf. Weltweit. Doch diese Aneignung von Wissen ist mehr als der Versuch, eine Erinnerung festzuhalten. Als Charles die Nonne in das Innere der Fliegen-Pyramide begleitet, blicken sie in ein wahrhaft kosmisches Wunder …

 

Was alles in diesem erstaunlich vielfältigen Roman geschieht, lässt sich kaum spoilerfrei kurzfassen, wichtig zu sagen ist, dass schon bald die Innenstadt Münchens verschwindet und auf dem Mars wiedergefunden wird, inklusiver dreier Überlebender: Ein Lehrer und zwei Mädchen.

Es wird eine Expedition gestartet, die unter anderem die Gelegenheit nutzen soll, eine Marskolonie zu gründen, wenn man schon mal da ist, um die drei Menschen zu retten.

Bis dahin erleben wir einen spannenden Hinflug, ein tieferes Eindringen in das Wesen der Erinnerungsfelder, welche die Fliegen nutzen und nebenbei noch ein kleiner Ausflug in Gruppendynamik und dem Entstehen von Standesdünkeln.

 

Auch auf dem Mars ist nicht alles einfach so zu regeln. Immerhin nutzt der überlebende Lehrer die Zeit, sich nicht nur die beiden Mädchen zu Willen zu machen, er wandelt nach der Ankunft der Rettungsmanschaften auf nationalsozialistschen Spuren.

 

Der Tobak, den Watson in seine Erzählerpfeife stopft, wird mit jedem Teil stärker. Die vielleicht sehr britische Angst, wir Deutschen würden den braunen Sog immer noch in uns spüren, hat Watson hier sehr plastisch Ausdruck verliehen. Und wie fein sein Gespür für die Stimmungen in Deutschland war, beweisen die faschistischen Ausschreitungen von Hoyerswerda 1991 und ihre Nachahmungen.

Watson baut dieses Verführungsschema aber sehr geschickt in ein hochkomplexes kosmologisches Gedankenspiel ein. Seine Idee vom universellen Gedächtnis und seiner Verknüpfung mit dem, was real ist, sind beeindruckend und stellen in der Tat ein sehr philosophisches Konstrukt dar, das nicht nur reizvoll ist, sondern auch in der dargereichten Form hoch spannend.

 

Das hat auch damit zu tun, dass Watson seine Figuren sehr authentisch beschreibt, ihnen auf unterschiedlichen Ebenen nahe kommt. Er benutzt dabei Monologe, Tagebucheinträge, Gebete und verstrickt die Figuren so fest miteinander, dass sie fast symbiotisch mit einander interagieren. Watson scheut sich dabei weder vor Sex oder Gewalt. Vielmehr nutzt er jeden Bereich des menschlichen Lebens, um die Beziehungen zwischen den Menschen zu bebildern.

Ob es die Geheimdienstmitarbeiter mit ihren ganz unterschiedlichen Sozialisationen sind, oder die missbrauchten Schulmädchen. Watson gibt ihnen mehr als nur Namen.

 

Das Coverbild von Michael Hasted bezieht sich direkt auf den Romaninhalt und stellt eine wohltuende Abwechslung zu heutigen Titelbildern dar.

 

Fazit:

»Die Fliegen der Erinnerung« ist ein lustvolles Gedankenexperiment, das Ian Watson mit einer großartigen Mischung aus Humanität und Tiefgründigkeit zu einem spannenden SF-Abenteuer ausbaut.

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Buch:

Die Fliegen der Erinnerung

Original: The Flies of Memory, 1990

Autor: Ian Watson

Übersetzer: Walter Brumm

Taschenbuch, 299 Seiten

Heyne Verlag, 1991

Cover: Michael Hasted

 

ISBN-10: 3453053664

ISBN-13: 978-3453053663

 

Erhältlich bei: Amazon

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Erstellt: 06.09.2013, zuletzt aktualisiert: 10.04.2024 18:52, 13241