Die Flügel der Sphinx (Autor: Andrea Cammileri)
 
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Die Flügel der Sphinx von Andrea Camilleri

Rezension von Björn Backes

 

Inhalt:

Ein brutaler Mord bringt Commissario Montalbano gehörig auf Trab: Eine junge Frauenleiche wird in der Nähe einer Müllkippe aufgefunden. Ihre Gesicht ist durch das Projektil eines Schusswaffe völlig entstellt, ihre Herkunft völlig unklar. Lediglich ein Schmetterlingstattoo auf ihrem Rücken gibt Hoffnung, man könne die Identität des jungen Mädchens bald aufdecken. Doch Montalbano kommt in diesem Fall nicht zur Ruhe; der vermeintliche Entführungsfall eines berüchtigten Lebemanns und sein privates Beziehungsdilemma hemmen die Ermittlungen, so dass der Commissario vor allem auf seine beiden Kollegen Fazio und Augello zählen muss. Mit ihrer Hilfe stößt Montalbano schließlich auf eine Wohltätigkeitsorganisation, die junge Mädchen aus Osteuropa aufgreift, um ihr fernab von Prostitution und dergleichen eine Chance auf dem Arbeitsmarkt zu geben. Unter ihnen befinden sich auch vier russische Damen, die allesamt einen Schmetterling auf dem Schulterblatt tätowiert haben – und offenkundig eine Verbindung zum Mordfall aufweisen. Doch die Mädchen sind nicht mehr aufzufinden, ihre Spuren verwischt. Und je tiefer die Ermittler in der Sache graben, desto schmutziger scheinen die Verstrickungen, in denen die Organisation verwickelt ist. Als schließlich noch ein Möbelfabrikant in den Fokus gerät, der aus unerfindlichen Gründen seinen Laden in Brand gesetzt hat, geht der Überblick völlig verloren. Doch just in dem Moment, in dem Montalbano von der ganzen Geschichte die Nase voll hat, sieht der Commissario ein Licht – beruflich und privat…

 

 

Rezension:

Der italienische Krimi ist gewissermaßen auch immer ein Spiegel der südländischen Kultur, in diesem Fall auch vor allem in kulinarischer Hinsicht, man denke nur an die diesbezüglich sehr tiefgängigen Werke von Valerio Varesi. Nun ist auch Andrea Camilleri kein Kostverächter, legt seinen Schwerpunkt aber nicht auf die Speisen, die sein Hauptakteur zu sich nimmt, sondern vielmehr auf die Geflechte unter den Charakteren und die Mentalität der Handelnden, die an sich nicht typischer italienisch sein könnten – und dass der Autor mit Montalbano den personifizierten Sturkopf und Sklaventreiber an vorderste Front stellt, könnte in diesem Zusammenhang kaum sinnbildlicher sein!

Der Kriminalfall selber ist dabei erst einmal ziemlich unspektakulär und steht auch nicht ständig im Mittelpunkt des Interesses. Gerade auf den ersten 100 Seiten bekommt man häufig den Eindruck, der Mord diene nur als Aufhänger für die bewusst krude inszenierte Interaktion der Hauptdarsteller, an deren Spitze Montalbano stets die Zügel fest in der Hand hält. Das lebendige Treiben im Kommissariat entlockt dem Leser dabei immer wieder ein Schmunzeln, insbesondere wenn der chronisch schwerhörige Telefonist Catarella mal wieder mehrere Anweisungen in den falschen Hals bekommt und die Ermittlungsarbeiten unbewusst behindert. Derweil eröffnet sich aber dennoch ein Handlungskomplex, der bis zuletzt sehr undurchsichtig ist, viele Elemente und Szenarien aufnimmt und die eigentliche Kriminalgeschichte mit zunehmender Seitenzahl doch noch als entscheidenden Inhalt der Story heraushebt – aber eben ständig begleitet vom eigenwilligen Hin und Her des Ermittlungsteams.

 

„Die Flügel der Sphinx“ entpuppt sich somit zunehmend zu einer Art Comedy-Thriller, ohne dies wirklich zu beabsichtigen. Doch der Humor spielt eine entscheidende Rolle, einerseits immer wieder gefüttert durch Montalbanos Draufgängertum, dann wieder von den unfreiwilligen Wendungen im Plot, und schließlich bestärkt durch die vielen Ungereimtheiten, die irgendwo im Hintergrund stecken, ab und zu nach vorne drängen, aber bis zuletzt einer Klärung bedürfen. Es ist mitunter chaotisch, was hier geschieht, da der Commissario keine klare Linie fährt und die Ermittlungen von immer neuen Nebenschauplätzen beeinträchtigt wird – aber gerade das macht Camilleris neuesten Montalbano-Roman auch erst wieder zu einer absolut lesenswerten Geschichte, die sich nicht an Konventionen klammert und es schafft, alleine schon mit den grandiosen Charakterzeichnungen zu begeistern. Dass der Kriminalplot – man mag es schon fast nicht mehr glauben – zum Ende hin auch noch richtig Fahrt aufnimmt und die Spannungskurve parallel dazu steil nach oben gerichtet ist, klingt dementsprechend schon fast unglaublich. Aber Camilleri wäre nicht Camilleri, würde er in all dem Chaos nicht den Überblick behalten und mit seinen ganz eigenen Mitteln ein erfolgversprechendes Konstrukt über die Ziellinie führen – hier ist es ihm einmal mehr gelungen!

 

 

Fazit:

Die Geschichten um Commissario Montalbano sind eigenwillige, völlig unkonventionelle Momente der italienischen Kriminal-Literatur und daher wohl auch nur für diejenigen geeignet, die diesbezüglich nicht in Schemen denken. Wer in dieses Raster passt und Andrea Camilleri schätzt, sollte auch an „Die Flügel der Sphinx“ Gefallen finden, dem neuesten Roman des unverbesserlichen Protagonisten. So gut und überzeugend wie hier hat sich Montalbano nämlich schon länger nicht mehr verkauft!

 

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Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 20240419160219257f6252
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MEDIUM:

Die Flügel der Sphinx

Autor: Andrea Camilleri

Gebundene Ausgabe: 270 Seiten

Verlag: Luebbe Verlagsgruppe; Auflage: 1., Aufl. (17. Oktober 2009)

Sprache: Deutsch

ISBN-10: 3785723784

ISBN-13: 978-3785723784

Erhältlich bei: Amazon


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Erstellt: 27.11.2009, zuletzt aktualisiert: 12.04.2024 09:51, 9651