Die Geschichte der Liebe (Autorin: Nicole Krauss)
 
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Die Geschichte der Liebe von Nicole Krauss

Rezension von Ralf Steinberg

 

Verlagsinfo:

Ein verloren geglaubtes, fast 70 Jahre altes Manuskript steht im Mittelpunkt dieses Romans. Leo Gursky hat es als junger Mann in Polen geschrieben, für seine große Liebe Alma. Nun lebt er als einsamer alter Mann in New York. Er weiß es nicht, aber das Buch überstand den Holocaust, wob andere Liebesbande: die 14-jährige Alma ist nach einer seiner Figuren benannt. Und sie ist auf der Suche nach ihm.

 

Rezension:

Der Holocaust hat sehr viele Opfer gekostet. Die Überlebenden tragen das Leid, die Verluste, die Schmerzen ihr Leben lang mit sich. Selbst wenn sie Familien gründen, die in besseren Zeiten leben, wandern die Erinnerungen weiter. Von Generation zu Generation.

 

Nicole Krauss beschäftigte sich mit diesen Narben parallel zur Arbeit ihres frischangetrauten Ehemanns Jonathan Safran Foer an seinem Buch Extrem laut und unglaublich nah. Es entstanden zwei Werke mit ähnlich gelagerten Geschichten, Dokumente einer Auseinandersetzung.

Beide stammen aus Familien jüdischer Flüchtlinge und sind in dritter Generation auf ihre ganz eigene Art mit dem Holocaust aufgewachsen.

 

Die Geschichte der Liebe beginnt mit dem Alltag eines einsamen, alten Mannes in New York. Das Leben zerrt schwer an ihm, aber er wurschtelt sich durch. Streitet sich mit einem Freund aus Kindheitstagen, verdient sich etwas Geld hinzu. Etwa als Aktmodell oder als Schlüsseldienst, obwohl er schon längst im Ruhestand ist.

Er überlebte den Einmarsch der Deutschen in sein polnisches Dörfchen, weil ihn seine Mutter in den Wald schickte. Er kam nie zurück. Zurück ließ er nicht nur seine Kindheit, seine Familie – auch seine große Liebe, Alma. Zwar wanderte Alma bereits vorher in die USA aus, aber Leopold Gurski verlor durch das jahrelange Verstecktleben jeglichen Kontakt zu ihr. Seine Briefe blieben unbeantwortet. In ihnen wanderten immer auch Kapitel seines Buches für Alma über den Ozean – »Das Buch der Liebe«, doch das Manuskript bleibt im kriegsgezeichneten Polen, während er Alma folgt.

Als er sie in New York wiedertrifft, ist sie verheiratet, hat Kinder – eines von Leo …

 

Parallel dazu erzählt Nicole Krauss die Geschichte der 15-jährigen Alma, benannt nach der Alma aus »Die Geschichte der Liebe«. Ihr Vater fand das Buch einst in einer spanischen Ausgabe. Nach seinem Tod versucht Almas Mutter, sich und ihre beiden Kinder mit Übersetzungen durchzubringen. Als ein Unbekannter ihre Mutter per Brief bittet, »Die Geschichte der Liebe« ins Englische zu übersetzen, sieht Alma eine Chance, ihrer Mutter zu neuer Liebe zu verhelfen, denn irgendetwas muss dran sein an diesem Buch, nach dem sie benannt wurde …

 

Die zentrale Suche Almas nach dem Verfasser von »Die Geschichte der Liebe« verbindet sich schnell mit den persönlichen Problemen einer Heranwachsenden. Zweifel an der eigenen Zulänglichkeit, erstes Verlieben, beginnende Abnabelung von der Mutter, gleichzeitig Verantwortung übernehmen für den jüngeren Bruder – eine fast typische Suche nach den eigenen Wurzeln und dem Weg, auf denen sie weiterwachsen sollen.

Aber gleichzeitig verbindet sich diese Suche nach der Identität stark mit der jüdischen Kultur.

Alma fühlt sich trotz aller Traditionen, trotz der Besuche ihrer Großeltern in Israel als (US)-Amerikanerin. Ihre Mutter zeichnet ihr auf, wie viele Staatsangehörigkeiten in ihrem Stammbaum zu finden seien, wie viele Halb- und Viertelidentitäten sich daraus ergäben. Ihr kleiner Bruder Bird aber sagt ihr klipp und klar: »Du bist Jüdin.«

Jene kulturelle Bindung betont Nicole Krauss an vielen Stellen. So lässt sie immer mal irgendwo Bände der Vernichtung der europäischen Juden herumliegen. Almas Erinnerungen an ihren Vater listet das Mädchen mit hebräischen Wörtern auf. Ihr Bruder Bird sieht in sich einen Messias, kritzelt überall den hebräischen Namen seines Gottes, baut auf einer Brache eine Arche und verkauft Limonade, um vom Erlös nach Israel fliegen zu können. Und Alma befürchtet, dass man ihn für verrückt hält, will ihm helfen »normal« zu sein. Dabei ist es nicht Bird, der ein Problem mit den jüdischen Wurzeln hat.

 

Diese breitangelegte Meta-Ebene spiegelt sich auch in den anderen Erzählsträngen. Leo Gurski kämpft immer mal wieder mit dem Gefühl, als Überlebender irgendetwas falsch gemacht zu haben. Und diese nicht zu gewinnende Schlacht ficht er aus, während die Erinnerungen über ihn hinwegrollen und er sich mit aller Imagination müht, das unfassbare Geschehen zu überblenden.

Doch da ist noch sein Sohn. Isaac, ein gefeierter Schriftsteller, der von seinem Vater nichts weiß, so hatte es seine Mutter gewollt und Leo konnte nur seine Liebe nehmen und am Straßenrand das Leben seines Kindes verfolgen, es zu seinem Leben machen.

 

Zeitweise verliert man den Überblick, da sich Vergangenheiten und Gegenwarten scheinbar grundlos abwechseln und vermischen. Die Geschichte des Manuskriptes offenbart sich der Leserschaft früher als den Figuren und mittendrin werden ganze Kapitel daraus zitiert.

Bis sich die Ereignisse dann fulminant in einer auch grafisch raffinierten Choreografie zu einem Finale steigern, das alle Fäden auflöst, selbst einen, den man nicht erwartet hat.

 

Der Rowohlt Verlag packte 2010 das Buch in eine kleine Sonderausgabe, gebunden mit Lesebändchen, und bietet damit die Möglichkeit, dieses bezaubernde Werk als handliche Lektüre in einen Park vielleicht, mitzunehmen. Dass sich dieser Roman so mühelos in das Herz einschleicht, verdankt es nicht zuletzt der federleichten Übersetzung von Grete Osterwald.

 

Fazit:

»Die Geschichte der Liebe« von Nicole Krauss ist wie ein Herbsttag. Der Regen und dunkle Wolken fordern die Melancholie heraus, Sonnenstrahlen bringen buntes Laub zum Leuchten, im Park treffen sich Einsamkeit und Abschied und am stürmischen Himmel ziehen lachende Drachen ihre Kreise, stolz gehalten von Kinderhänden.

Ein Buch über die unzähligen Bücher, die wir unseren Liebsten schreiben sollten.

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Buch:

Die Geschichte der Liebe

Original: The History of Love, 2005

Autorin: Nicole Krauss

Übersetzerin: Grete Osterwald

Gebundene Ausgabe: 491 Seiten

Rowohlt, 2. August 2010

 

ISBN-10: 3499254735

ISBN-13: 978-3499254734

 

Erhältlich bei: Amazon

 

Kindle-ASIN: B005XP4WM4

 

Erhältlich bei: Amazon

Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 20240420055003cdd21dbf
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Erstellt: 29.03.2017, zuletzt aktualisiert: 18.04.2024 09:19, 15494