Druckversion: Die Herberge am Ende der Welt

Die Herberge am Ende der Welt

Rezension von Christel Scheja

 

„Die Herberge am Ende der Welt“ ist einer jener francobelgischen Comics, die nicht in ferne und exotische Welten entschweben, sondern ihre Magie aus dem reichhaltigen französischen Sagenschatz schöpfen. Gerade die Bretagne ist reich an uralten Mythen und selbst heute noch von einem ganz besonderen Zauber erfüllt. So ist es nicht verwunderlich, dass immer wieder Künstler in diese Region ihres Landes zurück kehren und ganz besondere Geschichten erzählen, die einerseits irgendwo zwischen Realiät und Märchen schweben, andererseits aber durchaus auch so geschehen sein könnten.

 

Tiburce Oger und Patric Prugne, die bereits bei „Canoe Bay“ zusammenarbeiteten, beweisen dies sehr deutlich mit ihrem neusten Werk „Die Herberge am Ende der Welt“.

Edgar Saint Prieux ein bekannter Schriftsteller versucht seine Schreibblockade mit einer Reise in den hintersten Winkel Frankreich zu lösen und in der Bretagne nach neuer Inspiration zu suchen. In einer Herberge auf den Klippen abseits eines kleinen und heruntergekommenen Dorfes an der Küste muss er aufgrund der Wetterlage Halt machen. Am Abend erzählt ihm der alte Wirt eine bewegende Geschichte.

Im Jahr 1822 wird aus heiterem Himmel die Frau des Gastwirtes ermordet. Seine Tochter, die ebenfalls dabei gewesen sein muss, verschwindet. Ihre Leiche wird nicht gefunden, so dass die Behörden die Ermittlungen schon Wochen später einstellen und die Dorfbewohner alles vergessen. Allein der alte Wirt und der Junge Yann, der mit dem Mädchen befreundet war, glauben weiterhin, dass die kleine Irene noch irgendwo und – wie lebt.

Doch auch für sie vergeht die Zeit. Yann wird erwachsen und geht zur Marine, der alte Mann vereinsamt und wird immer verschrobener. Die Bewohner im Dorf finden Arbeit in der neu errichteten Fischfabrik und kommen so zu etwas mehr Wohlstand als früher.

Eines Tages klopft eine junge Frau an die Tür und bittet um Einlass. Der Wirt erkennt in ihr Irena wieder, da sie sehr vertraute Züge besitzt.

Allerdings trauen die anderen Dorfbewohner dem scheinbaren Wunder nicht. Denn auch wenn das Mädchen kein Wort spricht, so wirkt sie doch sehr seltsam und hat eine unheimliche Aura an sich, die ihnen Angst macht. Außerdem gehen im Ort seit ihrem Erscheinen unheimliche Dinge vor sich, die sich nicht mit dem gesunden Menschenverstand erklären lassen.

Nach und nach wird immer deutlicher, dass sie seltsame Kräfte besitzt und irgendetwas vor hat. Doch ist sie den Einheimischen gut oder böse gesonnen? Auch Yann, der zu diesem Zeitpunkt in das Dorf zurückkehrt und glücklich über die Wiederkehr seiner heimlichen Jugendliebe ist, muss sich dieser Frage stellen...

 

Mystisch und geheimnisvoll, aber doch den Menschen nahe geht es in „Die Herberge am Ende der Welt“ zu. Die harte Realität in einem heruntergekommenen Küstendorf des 19. Jahrhunderts vermischt sich gekonnt mit den geheimnisvollen Mythen der Region und lassen die Zeit für einen Moment stehen. Selbst die Moderne, die durch die Fischfabrik in die altertümliche Idylle eindringt, scheint von einem seltsamen Zauber behaftet – und ist es auch, wie sich zum Ende hin zeigt.

Wer die düsterromantischen Klassiker der Schauerliteratur kennt wird sich gleich heimisch fühlen, denn die phantastischem Elemente drängen sich nicht plakativ in den Vordergrund, sondern bleiben immer in den Schatten und kommen nur dann und wann deutlicher zum Vorschein, ganz verschwinden sie aber nie.

Die Geschichte mag letztendlich nicht ungewöhnlich sein – schon gar nicht die Wendung am Ende – aber das schadet dem Ganzen überhaupt nicht, denn die Interpretation der klassischen Motive ist sehr liebevoll und lebendig gestaltet.

Inhaltlich schlägt „Die Herberge am Ende der Welt“ in den Bann, weil man als Leser an einigen Stellen gezwungen ist, selbst zu interpretieren und zu deuten, seine eigene Phantasie spielen lassen kann, weil man nicht alles bis ins kleinste Detail erklärt bekommt. Das hinterlässt bleibenden Eindruck.

Die feinen Aquarell- und Tuschezeichnungen von Prugne verstärken die intensive und dichte Atmosphäre der Geschichte zudem, denn sie passen in ihrer spröden Art zu der wildromantischen Landschaft und den verschrobenen Einheimischen. Details und Bildfolgen erzählen oft mehr als der Text selbst, deshalb gibt es auch ganze Seiten, die ohne diesen auskommen und nur durch die Darstellung sprechen.

 

 

Fazit

 

Alles in allem erweist sich „Die Herberge am Ende der Welt“ sowohl künstlerisch als auch inhaltlich als kleines Juwel. Gerade wenn man die Schauerromantik des 19. Jahrhunderts liebt, sollte man sich den Band ruhig einmal genauer ansehen.

Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 2024042508145635308746

Comic:

Die Herberge am Ende der Welt

Autor: Tiburce Oger

Zeichner: Patric Prugne

Original: L’Auberge du bout du monde integrale, FR 2008

Übersetzerin: Tanja Krämling

Hardcover-Album, 143 Seiten

Splitter Verlag, erschienen im August 2010

ISBN-10: 3940864080

ISBN-13: 978-3940864086

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, zuletzt aktualisiert: 21.04.2024 14:11