Die Landkarte der Zeit (Autor: Félix J. Palma)
 
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Die Landkarte der Zeit von Félix J. Palma

Rezension von Ralf Steinberg

 

Verlagsinfo:

Eine Reise durch Jahrhunderte. Eine Liebe ohne Grenzen. Eine Geschichte voller Phantasie. London, 1896: Andrew, ein wohlhabender Fabrikantensohn, reist in die Vergangenheit, um seine große Liebe wiederzugewinnen. Die junge Claire macht eine Zeitreise aus dem viktorianischen London ins Jahr 2000 und trifft den Mann, den sie in der Zukunft lieben lernte, in ihrer Zeit wieder. Inspektor Garrett jagt einen Mörder, der seine Opfer mit Waffen tötet, die noch gar nicht erfunden wurden. Alle Fäden laufen bei einem dämonischen Bibliothekar zusammen. Nur er kennt das Geheimnis der Landkarte der Zeit. Ein Fest der Phantasie, in dem der Leser Jack the Ripper begegnet und H.G. Wells, den Erfinder der Zeitmaschine, in einer völlig überraschenden Rolle kennenlernt.

 

Rezension:

Kann man sich auf eine Zeitreise in die Zukunft einlassen, wenn man diese schon als erlebte Vergangenheit kennt? Diese Frage stellt der Erzähler von Félix J. Palmas Erfolgsroman Die Landkarte der Zeit gegen Ende.

Und tatsächlich ist hier eine der Ursachen zu finden, warum dieser Roman teils sehr ambivalente Leseerfahrungen auslöst.

 

Das Spiel mit der Zeit als frei veränderlicher Schauplatz eines Romans fand seinen ersten vielbeachteten Einsatz in Die Zeitmaschine von Herbert George Wells. Roman, Autor und auch die Zeitmaschine selbst spielen aktive Rollen in Palmas Buch. Und das ist nur eine der Meta-Ebenen. Palma nimmt den Erfinder der Zeitreise und konfrontiert ihn mit weiteren Konzepten, stellt ihn sogar zeitweise ins Zentrum der Zeitreise-Ereignisse. Wells darf sich in dem von ihm geschaffenen Ideenreich austoben, Seitenwege bestreiten, Betrügereien aufdecken und selbst begehen und vor allem darf er eine Persönlichkeit entwickeln, die weit über eine Biographie hinausgeht. Wells bekommt die Chance, sich selbst in seiner eigenen Hommage an ihn zu spielen und das ist eine ganze Menge fiktionaler Brechung die noch verwirrender wird, wenn die in vielen Zeiten verschlungene Handlung einen finalen Sprung macht.

Palma versucht dieses Chaos dadurch in den Griff zu bekommen, dass er einen charmanten Erzähler benutzt, der die LeserInnen immer wieder an die Hand nimmt und auf das Fiktionale der Geschichte hinweist. Natürlich ist es eine Herausforderung, dem Autor auf diese Reise zu folgen. Denn zunächst häufen sich Ungereimtheiten. Jack the Ripper wurde gefasst? Die vierte Dimension ist ein Ort? Die Zeitmaschine funktioniert tatsächlich? Im Jahre 2000 ist London zerstört?

Wen diese Handlungsfixpunkte sauer aufstoßen, mag der weiteren Handlung vielleicht nicht mehr folgen. Doch Palma breitet nach und nach eine raffinierte Geschichte in drei Teilen aus. Nachdem man zweimal in die Irre geführt wurde, dreht Palma noch einmal auf und erhöht seinen phantastischen Output. Vorhersehbar ist keine seiner Wendungen. Bis zum Schluss überrascht Palma mit seinen Ideen zur Zeitreisemechanik, wobei er nicht unbedingt neues erfindet, aber er bindet ganz verschiedene Zeitreisemöglichkeiten sehr geschickt aneinander.

Aber Zeitreisen sind nur ein Aspekt der Handlung. Wesentlich intensiver durchdringt die Seiten eine tiefromantische Grundstimmung. Trotz aller Dramatik bleibt der Roman hoffnungsvoll wie ein Frühlingsmorgen und ist ein Gruß an die Liebe.

Die erste Zeitreise wird geplant, um den Mord einer Geliebten rückgängig zu machen. Eine weitere ist der Beginn einer Liebe und selbst eine nicht angetretene Reise durch die Zeit findet aus Liebe nicht statt.

Der furiose Höhepunkt sind Liebesbriefe, die Wells für ein junges Mädchen schreibt, die sich in einen Helden der Zukunft verliebte. Palma feiert hier die weibliche Sexualität und bringt sie in einem Jahrhundert zum Leuchten, indem sie als gar nicht vorhanden galt. Diese Intimität ist umso überraschender, da uns der Erzähler noch kurz vorher wie ein echter Gentleman vor der Tür zurückhielt.

So wird uns das Jahr 1896 in London immer vertrauter, in feinen Sätzen kredenzt, die sich stilistisch mit Harmonie in die Zeit einfügen. Und selbst, wenn wir im dritten Teil des Buches fast ein wenig gehetzt dem Ende entgegeneilen, bleibt ein Gefühl der Befriedigung zurück. Wir haben am schöpferischen Prozess Wells teilgenommen, sind in seinen Gedanken herumspaziert. Wir erlebten, wie er im Angesicht der Würde des »Elefantenmenschen« Joseph Merrick seine schriftstellerische Berufung auflud. Und wir drangen ganz tief in die persönlichen Geheimnisse ein, die wir an Wells bisher nicht vermissten.

Wer jedoch nach der Lektüre zu einem der vielen erstaunlichen Werke Wells greift, wird sich daran erinnern und einen ganz anderen Menschen vor Augen haben, der hinter dem Namen H. G. Wells stand.

 

Eine gute Zeitreise findet in den Köpfen statt und es ist nicht nur die Zeit, die sich bewegt.

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Buch:

Die Landkarte der Zeit

Original: El mapa del tiempo, 2008

Autor: Félix J. Palma

Übersetzer: Willi Zurbrüggen

Gebundene Ausgabe, 716 Seiten

Kindler, 17. September 2010

 

ISBN-10: 3463405776

ISBN-13: 978-3463405773

 

Erhältlich bei: Amazon

 

Kindle-ASIN: B004WOX40I

 

Erhältlich bei: Amazon Kindle-Edition

Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 202403281408291083443c
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Erstellt: 12.04.2014, zuletzt aktualisiert: 10.03.2024 18:58, 13516