Druckversion: Die Mächte des Bösen (Autor: Nathaniel Hawthorne)

Die Mächte des Bösen von Nathaniel Hawthorne

Unheimliche Geschichten

 

Rezension von Ralf Steinberg

 

Verlagsinfo:

Auf einer jungen, italienischen Schönheit lastet ein »giftiger« Fluch, die Suche nach einem sagenumwobenen Edelstein nimmt ein überraschendes Ende, und für ein Hochzeitspaar läuten nur die Totenglocken. Dies und vieles mehr findet sich in Hawthornes Geschichten, die in rätselhafte Welten entführen und bis heute faszinieren. Zum Gedenktag versammelt der Band die besten Erzählungen des Schriftstellers, u.a. ›Rappaccinis Tochter‹, ›Der große Karfunkel‹, ›Lady Eleanores Schleier‹ und ›Die Totenhochzeit‹.

 

Rezension:

Nathaniel Hawthornes großer Roman, Der scharlachrote Buchstabe entführte uns bereits in die puritanischen Anfangstage der Vereinigten Staaten, als aus Kolonisten eine Nation wurde. Auch einige der Erzählungen in dem Sammelband Die Mächte des Bösen spielen in jenen fernen Tagen. Doch dienen sie weniger der geschichtlichen Ergötzung als der moralischen Belehrung. Im Gewand von Geistergeschichten und Legenden gräbt Hawthorne tief in den amerikanischen Wurzeln.

Es wird immer wieder kolportiert, dass gerade auch die USA an einem Mangel an Mythen leidet und einige der größten, wie American Gods von Nichtamerikanern geschrieben wurden.

Nun, »Die Mächte des Bösen« belehren uns vielleicht eines Besseren.

 

Doch zunächst geht es ins venezianische Padua. Rappaccinis Tochter handelt von einem jungen Studenten der aus seinem Zimmer in den Garten eines seltsamen Doktors schauen kann, der für seine Experimente berüchtigt ist. Und für seine wunderschöne Tochter. Es geschieht, was unausweichlich ist, der Student verfällt dem jungen Mädchen. Sie, abgeschieden aufgezogen, ist hoch erfreut über seine Gesellschaft, jedoch umweht sie ein fürchterliches Geheimnis, denn auch sie ist ein Experiment ihres Vaters.

Interessant an dieser zunächst reinen Schauergeschichte ist die brachiale Auflösung in mehreren Schichten. Der jugendliche Verführer bemerkt schon bald, dass er sich durch die Annäherung an die junge Frau selbst verändert. Und in einer typisch christlichen Pose gibt er der Frau die Schuld für etwas, das ihn selbst betrifft. Anstatt sich Hinzugeben, entwickelt er Selbsthass, den er dann über das Mädchen ausschüttet. Diese wiederum erkennt zwar den Verrat, versucht aber den männlichen Anforderungen dadurch gerecht zu werden, dass sie sich radikal umzuwandeln bereit ist und damit gegen sich selbst und ihrem Wesen untreu wird. Es stirbt letztlich der unschuldige Spielball in dieser Rangelei männlicher Egos. Ganz unsensibel kommentiert ein alter Kontrahent des Vaters denn auch die Tragödie mit einem wissenschaftlichen Fazit.

Hawthorne lässt die Geschichte damit enden und verweigert wie so oft eine moralische Kommentierung. Neben dieser sehr raffinierten Figurenkonstellation besticht die Erzählung darüber hinaus mit der Idee der giftigen Aura und Blumenverwandschaft und wirkt dadurch sehr modern.

 

Nun aber nach Neuengland, wenn auch erneut mit einer todbringenden Frau in der Hauptrolle. Lady Eleanores Schleier ist die erste der legendenhaften und unheimlichen Geschichten, die sich immer irgendwie auf die englischen Statthalter zu beziehen scheinen. Der Hochmut der jungen Adligen wird letztlich als Ursache dafür genannt, dass sie die Blattern mit sich bringt. Neben offenem Abscheu für den aristokratischen Protz kommt hier erneut der christliche Mythos zum Vorschein, nachdem Frauen ein Hort der Sünde seien und für ein Leben jenseits des Normalen bestraft würden. Ja schlimmer sogar noch, ihr Laster zieht jede Menge Unschuldiger mit ins Unglück.

 

Auch die nächste Frau ereilt dieses Schicksal. Die Höhle der drei Hügel ist eine sehr märchenhafte, verknappte Geschichte. An einem der Sage nach teuflischen Ort bittet eine junge hübsche Frau eine alte Vettel darum, ihr zu zeigen, wie es ihren Liebsten daheim ergeht.

In drei kurzen Erscheinungen wird offenbar, dass die junge Frau ihre alten Eltern und ihr Kind allein ließ und ihr betrogener Ehemann im Irrenhaus leidet. Am Ende ist die junge Frau tot.

Gestorben an einem Pfuhl, da der Teufel seine Jünger taufte, den Kopf im Schoße einer alten Frau, die wohl eine Hexe ist.

Auch hier ist die Moral greifbar, wenn sie auch wieder nicht explizit ausgebreitet wird. Es kann nicht gut ausgehen mit Frauen, die ihren eigenen Weg beschreiten.

 

In eine etwas andere Richtung geht die Erzählung um Die prophetischen Bilder. Ein junges Liebespaar lässt sich von einem Künstler malen, der dafür berühmt ist, in seinen Bildern auf eine prophetische Art das Innerste der Portraitierten einzufangen. Hawthorne lässt offen, ob er diese Gabe wirklich besitzt, oder ob die Gemalten sich nicht vielmehr den Bildern anglichen, die selbsterfüllende Prophezeiung vorwegnehmend. Am Ende gibt es einen unerklärlichen Mordversuch und eine unglückliche Frau.

Diesmal jedoch bietet Hawthorne eine Moral an. Es sei unerheblich, ob man an Vorbestimmung glaubt oder daran, sein Schicksal selbst zu in die Hand nehmen zu können, den Menschen hält ein Blick auf die Zukunft nicht davon ab, seinen Weg zu gehen.

Dieser spannende Gedanke würzt die fesselnde Erzählung um die Wirkung von Bildern und dem Trieb des Malers, seiner Kunst freien Lauf zu lassen, hinter die Fassade der Menschen zu blicken.

 

Die Totenhochzeit erzählt von einer seltsamen Hochzeit in New York. Zwei Alte wollen heiraten. Sie zum dritten Mal und sehr darum bemüht, jung zu erscheinen. Er war ihre erste Liebe und ist etwas schrullig geworden mit den Jahren. Deshalb überrascht er die Hochzeitsgesellschaft auch damit, dass er in Leichenhemd und mit Trauergesellschaft erscheint. Dieser Fingerzeig soll der Dame seines Herzens zu denken geben, ihn erst am Ende seines Lebens erhört zu haben, quasi am Rande des Todes. Die ganze Geschichte ist ziemlich deutlich auf ihre Lehre hingeschrieben und zudem mit einigen hässlichen Äußerungen über das Alter versehen, sodass man hier den Ekel des jungen Hawthorne ganz besonders vor den Falten und Runzeln alter Frauen zu spüren bekommt.

Die skurrile Szenerie entfaltet heute kein Grauen mehr und bietet vielmehr die Gelegenheit, sich an Harold und Maudezu erinnern.

 

Ebenso schlecht gealtert scheint Der große Karfunkel, eine Allegorie auf das einfache Glück und die Abwendung vom Streben nach Reichtum. Die Geschichte handelt von einer Expedition sehr verschiedener Menschen, die einen mystischen funkelnden Edelstein suchen. Allein das einfache Bauernpaar widersteht letztlich erfolgreich der Versuchung, während andere scheitern. Neben der puritanischen Idee stecken in der Geschichte auch biblische Bezügen und eine jede Menge Lokalkolorit, die sich jedoch heute aus der Story selbst kaum erschließen und sie zu einem doch recht naiven Märchen werden lassen.

 

Kommen wir zu den eher politischen und historischen Erzählungen. In Edward Randoplhs Gemälde steht Statthalter Hutchinson vor der Entscheidung, britische Truppen in Boston zu stationieren, um der rebellischen Bürgerschaft klar zu machen, dass sie weiterhin brave Untertanen der britischen Krone zu sein haben. In seinem Büro hängt ein uraltes Bild, so sehr nachgedunkelt, dass nur noch eine schwarze Leinwand zu sehen ist. Die Nichte des Statthalters ist fasziniert von den düsteren Geschichten um das Bild, schaurige Märchen, und erfährt schließlich von ihrem Onkel, dass es ein Portrait des ersten Statthalters, Edward Randoplh, sei. Und auch hierzu gibt es gruselige Mähr, denn Randolph beendete die Unabhängigkeitsbestrebungen seinerzeit mit Gewalt und sei deshalb einem Volksfluch anheim gefallen.

Als nun Hutchinson den Invasionserlass unterschreiben soll, erhellt sich die Leinwand und das vom Fluch gezeichnete Gesicht erscheint mahnend. Doch trotz aller Aufforderungen gibt Hutchinson nicht nach und so nimmt das Schicksal seinen Lauf.

Hawthorne verbindet hier eindringlich eine historische Szene mit einer bedeutungsvollen Erscheinungsgeschichte. Mit wenigen Strichen gelingt es ihm, Zeit und Brisanz wieder auferstehen zu lassen, nicht ohne entsprechende Seitenhiebe gegen Prunk und Adel.

 

Im selben Stil und Ton berichtet Der Maskenball vom allerletzten Fest eines Statthalters in der von Washington belagerten Stadt Boston. Als düstere Vorahnung erscheint ein Totenzug aller bisherigen Statthaltern, einschließlich des letzten, der sich selbst fassungslos gegenübersteht und somit seinem eigenen Tod ins Auge blickt.

Auch hier wird Geschichte lebendig und obwohl der phantastische Anteil eher beschaulich wirkt, bringt Hawthorne eine ganze Epoche zu einem allerletzten, ersterbenden Abschluss.

 

Zurück ins private, aber nicht weniger geschichtsträchtige Kaufmannsleben. Peter Goldthwaites Schatz erzählt von einem Verlierer. Einem Geschäftsmann, der eher Träumen als echten Chancen nachlief und nun am Ende seines Lebens wenig mehr als sein Geburtshaus besitzt und dort mit Tabitha lebt, einer alten Frau, die einst als Waise in den Haushalt aufgenommen worden war und sich damit begnügt, den Küchenarbeit zu erledigen und in einer dunklen Ecke zu sitzen. Von all seinen Ideen und finanziellen Abenteuern unbeeindruckt, ist sie einfach nur für Peter da. Der beschließt, endlich nach dem großen Schatz seines Vorfahren zu suchen, der irgendwo im Haus versteckt sein soll. So beginnt er das Haus zu entkernen und Stück für Stück verbrennt Tabitha die Trümmer im Ofen, um so wenigstens die bittere Kälte zu vertreiben.

Peters alter Kompagnon, der im Gegensatz zu seinem ehemaligen Geschäftspartner, Erfolg und Reichtum für sich verbuchen konnte, erbarmt sich letztlich der beiden und just in dem Augenblick, da er die beiden in sein Heim aufnehmen will, entdeckt Peter in der Küche, dem allerletzten Raum des Hauses. Den Schatz. Ein ebenso verkorkster Traum seines Ahnen wie auch er sie zu hegen pflegte.

Die sehr anrührend erzählte Darstellung einer Obsession zeigt nebenbei einige Schlaglichter auf das städtische Leben jener Anfangstage der Vereinigten Staaten. Wie gewohnt wird Peter als gutartige Figur beschrieben, die ihren Weg abschritt, egal ob es zu einem schlechten oder guten Ende führte. Die alte Frau hingegen wird als hexenhaft und phlegmatisch hingestellt, ganz das duldsame Waisenkind, froh zu dienen. Klassische Rollenverteilungen also in dieser ansonsten sehr herzlichen Geschichte.

 

Das Thema Kunst greift Hawthorne erneut auf in Das hölzerne Bildnis. Wie schon in »Die prophetischen Bilder« fragt er sich hier am Rande, was der Unterschied zwischen Kunst und Handwerk darstellt. Wessen bedarf es, um aus einer Galionsfigur ein Meisterwerk zu machen? Hawthorne vermeidet dabei genau offenzulegen, wodurch der Holzbildhauer Drowne in jenem Zustand geriet, der es ihm erlaubte, eine junge Frau so perfekt aus einem Holzblock zu schneiden, dass sie für echt gehalten wurde und dem Vorbild bis aufs Haar glich. Der Erzähler schließt am Ende aus dem Geschehen, dass wohl in jedem Menschen die Möglichkeit schlummert, ein Genie zu werden. Bei Drowne wurde es durch Liebe geweckt und durch Enttäuschung begraben. Allerdings erleben wir weder, wie Drowne sich in das Mädchen verliebt, noch wie er enttäuscht wurde. Es bleibt der Fantasie der LeserInnen überlassen, die ungeschriebenen Teile zu ersetzen.

Insofern fehlt hier das Unheimliche völlig, wenn man profan vermutet, der Künstler habe sich in sein Modell verliebt und mit ihrem Fortgang nicht nur die Muse, sondern auch das Besondere in seinem Leben verloren, dass ihn zu wahrer Kunst befähigte. Andererseits könnte man auch durch die ausführliche Beschreibung des wundersamen Auftritts der Dame vermuten, dass Hawthorne wieder etwas Hexenzauber in seine weibliche Figur legen wollte.

 

Auch die letzte Geschichte der Sammlung stellt das dunkle Geheimnis einer Frau in den Mittelpunkt.

Zwei Jungfrauen verabreden sich am Totenbett eines Jünglings, sich im Alter hier wieder zu treffen. Zwischen ihnen wabert eine Ahnung von Schuld und Verbrechen.

Aus der einen wird Die alte Jungfer in Weiß, ständiger Begleiter auf Beerdigungen, sodass sie bald zum Bestattungsritual dazuzugehören scheint.

Bis sie zur verabredeten Stunde in das inzwischen verlassene Haus geht. Sehr zur Verwunderung der Gemeinde. Und auch die zweite Frau erscheint, in einer Kutsche, reich und stolz und dennoch mit Zeichen von Elend in den Augen. Es gibt einen Schrei und mit dem Priester voran betritt man das Haus und findet beide Frauen tot vor. Die Reiche kniend, das Haupt im Schoß der Jungfer in Weiß.

Hawthorne lässt seinen Erzähler erneut keine direkte Erklärung verbreiten, vielmehr endet die Geschichte mit einem Munkeln. Dabei sind die Hinweise recht deutlich. Beide Frauen liebten wohl den selben Mann. Die eine ist irgendwie für seinen Tod verantwortlich und musste mit einer Art Fluch im Leben klarkommen, während die andere ihren Lebenszweck in Bestattungen fand. Beiden Frauenfiguren war nach dem Tod ihres Geliebten kein glückliches Leben bestimmt. Man kann sich streiten, ob Hawthorne hier mit Schuld und Sühne hantierte oder den Wert mehr auf die gespenstische Szene in dem alten Haus legen wollte – wie so oft bei ihm, entzieht sich die Geschichte einer eindeutigen Bewertung.

 

Der dtv spendierte seiner Sammlung diesmal keinerlei Extras, die Übersetzungen von Franz Blei stammen allesamt aus dem Anfang des letzten Jahrhunderts, sind also keine modernen Übertragungen.

 

Nathaniel Hawthorne als Autor von Geistergeschichten und amerikanischen Mythen zu erleben bleibt dennoch eine fesselnde Auseinandersetzung, da er nicht nur die Geisteshaltung zu seiner Lebenszeit widerspiegelt, sondern auch ein farbenprächtiges Abbild jener Epoche der Kolonialzeit entwirft, über die er am liebsten schrieb.

 

Fazit:

Die Sammlung »Die Mächte des Bösen« zeigt Nathaniel Hawthorne erneut als einer Begründer der US-amerikanischen Literatur. Seine Erzählungen vermitteln nicht nur den Zeitgeist in der sie entstanden, sondern legen auch einen unheimlichen Schimmer auf die Anfangstage der Vereinigten Staaten. Nicht alle Geschichten mögen heute noch zum Gruseln oder Schaudern verführen können, aber sie dringen oft genug tief in menschliche Abgründe ein.

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Buch:

Die Mächte des Bösen

Autor: Nathaniel Hawthorne

Übersetzer: Franz Blei

Taschenbuch, 191 Seiten

Deutscher Taschenbuch Verlag, 1. April 2014

 

ISBN-10: 3423143002

ISBN-13: 978-3423143004

 

Erhältlich bei: Amazon

Inhalt:

  • Rappaccinis Tochter

  • Lady Eleanores Schleier

  • Die Höhle der drei Hügel

  • Die prophetischen Bilder

  • Die Totenhochzeit

  • Der große Karfunkel

  • Edward Randoplhs Gemälde

  • Der Maskenball

  • Peter Goldthwaites Schatz

  • Das hölzerne Bildnis

  • Die alte Jungfer in Weiß

, zuletzt aktualisiert: 12.04.2024 09:51