Die Nebelsängerin (Autor: Monika Felten; Genre: Fantasy)
 
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Leseprobe: Die Nebelsängerin

Die Nebelsängerin

Reihe: Das Erbe der Runen

Autorin: Monika Felten

Verlag: Piper

Roman, 458 Seiten, Gebunden, mit Soundtrack-CD

ISBN 3-492-70065-9

Preis: 19,90 Euro

Erhältlich bei: Amazon

 

Disclaimer:

Freigabe zur Weiterveröffentlichung der Leseprobe besteht, soweit vom Autor nicht anders angegeben nur für "FantasyGuide.de". Für alle weiteren Veröffentlichungen ist die schriftliche Zusage des Autors erforderlich.

 

 

Leseprobe:

 

Was immer Ajana sich unter der Garnison am Wilderwil vorgestellt hatte - dies hier gewiss nicht. Mühsam hatte die kleine Gruppe um Bayard den steilen und serpentinenreichen Weg erklommen, der von der südlichen Ebene zur Garnison hinaufführte, und war nun endlich am vorläufigen Ziel ihrer Reise angekommen.

Ajana war erschöpft. Ihre Füße schmerzten, und bei jedem Schritt hatte sie das Gefühl, als stäche ihr ein Messer in die Seite. Sie musste sich sehr anstrengen, um nicht hinter den anderen zurückzubleiben, aber sie hatte nicht geklagt und sich tapfer vorangekämpft.

Nach Luft ringend, stand sie neben Keelin und Maylea und schaute im letzten Licht der Abenddämmerung auf den Ort, der ihnen in der kommenden Nacht Obdach bieten sollte. Im Grunde war er nicht mehr als eine Ansammlung niedriger, gedrungener Holzbauten auf steinernem Fundament, die sich finster von den steilen Felswänden ringsum abhoben. Nur das größte Gebäude war erhellt. Durch die Ritzen der geschlossenen Fensterläden drangen schmale Streifen gelben Lichts, und aus dem Innern waren leise, undeutliche Stimmen zu vernehmen.

„Na, dann wollen wir mal!“ Bayard gab das Zeichen zum Aufbruch und ging allen voran den flachen Hang hinab, der zur Garnison führte. Mit großen Schritten überquerte er den freien Platz vor den Häusern, hielt unbeirrt auf das erhellte Gebäude zu und griff nach dessen Türknauf. Unter protestierendem Quietschen gab das rostige Metall nach, und die Tür schwang auf.

Ein unerträglicher Gestank nach Schweiß, Alkohol und Erbrochenem schlug ihnen entgegen. Die Gespräche verstummten. Zwei Dutzend derbe Gesichter fuhren herum und musterten die Neuankömmlinge mit einer Mischung aus Überraschung und Misstrauen in den Augen. Die Männer, die in kleinen Gruppen zusammenstanden oder an einem der eilig zusammengezimmerten Tische aus Holzbrettern und einem ausgedienten Fass hockten, wirkten ungepflegt. Ihre Kleidung war verschlissen, und es war offensichtlich, dass mehr als die Hälfte von ihnen betrunken war.

Etwas stimmte hier nicht.

„Thorns heilige Rösser, was geht hier vor?“ Bayard hatte den ersten Schrecken überwunden und starrte auf die heruntergekommenen Gestalten, die den Pass am Wilderwil bewachen sollten. Mit energischen Schritten ging er auf einen der Krieger zu und packte ihn am Kragen. „Wo ist der Heermeister?“, herrschte er ihn an.

„D ... da!“ Der Krieger duckte sich wie unter einem Hieb, senkte den Blick und deutete in eine Ecke des Raums, wo ein laut schnarchender Kataure inmitten einer Lache aus Erbrochenem am Boden lag.

Bayards Miene verfinsterte sich. Angewidert von dem jämmerlichen Anblick, versetzte er dem Krieger einen Stoß und stapfte mitten in den Raum. „Also gut!“, rief er mit zornesbebender Stimme. „Wenn ihr mir nicht augenblicklich erklärt, was dieses widerliche Gelage zu bedeuten hat, werde ich es aus euch herausprügeln.“

Niemand antwortete. Die Hände der Männer im Raum wanderten wie auf ein geheimes Kommando hin zu den Waffen.

Ajana hielt den Atem an. Neben ihr raschelte es leise. Auch ihre Begleiter waren auf eine mögliche Auseinandersetzung gefasst.

Bayard hingegen tat so, als spürte er die Bedrohung nicht. „Wo sind die Wachen?“, fuhr er die Männer an. „Auf dem Weg hierher sah ich nicht einen Posten. Und in der Schlucht ...“

„Wachen?“ Das Scharren von Füßen wurde laut. Ein hoch gewachsener Krieger erhob sich und trat vor. Auf dem verdreckten Umhang prangte mit Schwert und Krone das verblichene Wappen der Onur. „Wachen?“, spottete er noch einmal und spie auf den Boden. „Wozu Wachen?“

„Wozu?“ Bayard war außer sich. „Auch am Wilderwil sollte bekannt sein, dass wir uns im Krieg befinden.“

„Krieg!“ Der Onur schnaubte abfällig. „Der Krieg ist längst verloren. Die Uzoma gehen in Nymath ein und aus, wie es ihnen gefällt. Sie morden und brandschatzen, ohne dass wir etwas dagegen unternehmen können.“

„Heißt das, ihr versucht nicht einmal, sie daran zu hindern?“ Bayard tobte vor Wut.

„Könnt Ihr fliegen?“ Völlig unbeeindruckt vom Zorn des Katauren, griff der Onur nach einem Bierkrug und leerte ihn in einem Zug. „Könnt Ihr?“, fragte er noch einmal zynisch lauernd und wischte sich den Schaum mit dem Ärmel vom Mund. „Das müsstet Ihr nämlich können, um den Uzoma Einhalt zu gebieten.“

„Lagaren!“, entfuhr es Bayard.

„Erraten.“ Der Onur nickte und fuhr mit gesenkter Stimme fort: „Die Hälfte unserer Kameraden kam bei dem sinnlosen Versuch um, diese Bestien mit Pfeilen aufzuhalten.“ Er stellte den Krug ab und trat auf den Heermeister zu. „Habt Ihr sie schon einmal aus der Nähe gesehen?“, fragte er leise. „Die aufgedunsenen Gesichter jener, die den Atem der Lagaren zu spüren bekamen? Habt Ihr gesehen, wie die Haut blutige Blasen schlägt? Wie ihnen Blut und Galle aus dem Mund quellen? Na? Habt Ihr das jemals mit eigenen Augen gesehen?“

„Nein.“

„Das dachte ich mir.“ Der Onur wandte sich ab und deutete auf die Umstehenden. „Aber wir haben es gesehen. Wir haben sie sterben sehen. Wir standen hilflos daneben, wie sie ihr Leben qualvoll aushauchten, und begruben ihre geschundenen Körper.“ Er fuhr herum und schob sein Gesicht so nahe an Bayard heran, dass die Nasen sich fast berührten. „Und jetzt sage ich dir eines, Heermeister“, zischte er. „Für uns ist der Krieg vorbei.“

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Erstellt: 29.04.2005, zuletzt aktualisiert: 03.02.2015 07:18, 140