Die Reisen mit meiner Tante (Autor: Graham Greene)
 
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Die Reisen mit meiner Tante von Graham Greene

Rezension von Ralf Steinberg

 

Verlagsinfo:

Wie kommt das Haschisch in die Urne seiner Mutter? Hat Tante Augusta ihre Finger im Spiel? Diese und weitere unangenehme Fragen muss sich der solide Junggeselle und pensionierte Bankbeamte Henry Pulling stellen, nachdem er sich entschlossen hat, der neue Reisebegleiter seiner lebenslustigen Tante zu werden. Skurrile Erlebnisse und makabre Geschichten sind an der Tagesordnung, wenn man mit der ungezwungenen Fünfundsiebzigjährigen unterwegs ist. Und auf den braven Henry scheint ihr kriminelles Potential abzufärben – so stürzen sie sich gemeinsam in ein Leben voller Gefahr und Abenteuer.

 

Rezension:

Die Reisen mit meiner Tante gehören zu den amüsantesten Werken Graham Greenes. Hatte er in seinen früheren Werken Abenteuer und Gesellschaftsfragen in eine weitgehend trübe Stimmung getaucht, bringt der 1969 erschienene Roman eine gehörige Menge britischen Humor ins Spiel.

Es beginnt auch gleich skurril. Der frühpensionierte Filialleiter einer Kleinstadtbank trifft auf der Beerdigung seiner Mutter deren fidele Schwester und ehe er es sich versieht, reißt sie ihn hinein in einen Strudel aus Ereignissen. So wird nicht nur die Urne seiner Mutter zum Gegenstand polizeilicher Ermittlungen, sie entwickelt sich auch zu einem Symbol seiner eigenen Langeweile, der er an der Seite seiner Tante zu entkommen sucht. Allerdings dauert es einige Reiseabenteuer lang, bis ihm das klar geworden ist.

 

Greene lässt den alternden Bankbeamten für sich selbst sprechen. In typisch britischer Distanziertheit bindet er sich zunächst aus Pflichtgefühl an das Leben seiner Tante. Gewohnt, anderen zu Diensten zu sein, kommt ihm gar nicht in den Sinn, dass seine Tante eigentlich ihm einen Gefallen tut. Die quirlige Frau hat sich ein wesentlich jugendlicheres Gemüt bewahrt als ihr Neffe, der sich schon damit abgefunden hatte, den Rest seines Lebens mit Dahlien und Gottesdiensten zu verbringen.

Als Begleiter auf ihren chaotischen Reisen, voller Geheimnisse, seltsamer Geschichten aus dem Leben seiner Familie und reihenweise illegaler Aktivitäten erkennt Henry Pulling aber recht bald, wie sehr ihm dieses Leben gefällt. Greene selbst nutzte das Reisen um Langeweile zu vertreiben.

Tante Augusta erzählt ihrem Neffen unter anderem auch den Grund für ihre vielen Reisen. Sie verlängern das Leben. Nicht in realen Jahren, sondern in gefühlter Lebenszeit. So steht ihre pralle Biografie, und sie erzählt bei weitem nicht alles von sich, seinem mageren Leben gegenüber, dass selbst durch eine mögliche Heirat kaum interessanter zu werden verspricht.

Greene gelingt es ganz nebenbei, dass man sich selbst die Wand anstarren sieht und sich fragt, ob man ebenfalls auf ihr Näherkommen wartet. Oder ob man nicht lieber sofort hinaus in die Welt streifen möchte. Hauptsache, das Leben da draußen sprengt das eigene Begräbnis.

 

Doch Greene gewährt uns nicht nur einen Blick in die Metamorphose eines alltagshypnotisierten Mittelstandsbriten. Die wilden Fahrten mit Zug und Schiff vermitteln auch eine breite Einsicht in die Weltgeschichte Ende der Sechziger. Zwischen Empire, französischer Restauration, Hippie-Wanderungen nach Indien und dem repressiven Leben unter Pinochet reisen wir mit offenen Augen. Greene zaubert uns den Duft eines italienischen Restaurants ebenso leicht in die Nase wie die schwüle Hitze Argentiniens. Sein Henry Pulling beschreibt uns selbst brutale Verhöre mit ironischem Understatement und man wünscht sich eine derartige Distanz auch für heutige Berichterstatter.

 

Eine großartige Figur ist ohne Zweifel Tante Augusta. Ihre ungetrübte Libido, ihr harmloser Anarchismus, die selbstlose und verschwenderische Liebe, grenzenlose Begeisterung für Abenteuer und natürlich die tief in ihr versteckte Traurigkeit funkeln in jeder ihrer Szenen. So wie sie ihren Neffen verzaubert, zieht sie auch uns mit sich. Tanzend, staunend und mit verschmitzen Kniffen in den Wohlstandsspeck. Spätestens, wenn Henry aus dem Gedicht Maud von Alfred Tennyson zitiert, erinnert man sich an eine ähnlich grandiose Frauenfigur, Maude aus Hal Ashbys wunderbarem Liebesfilm Harold und Maude, deren Lebendigkeit ein Zitat Augustas sein könnte.

 

Wer nach der Lektüre noch etwas weiter reisen möchte, dem sei empfohlen, sich auf die Suche nach der Verfilmung von George Cukor aus dem Jahre 1972 zu machen. Maggie Smith prägt das Gesicht der Tante Augusta für immer.

 

Fazit

Es war einmal eine graue Maus, die wurde von einer roten Katze mit blauen Augen im Genick gepackt und durch die Welt geschleift – »Die Reisen mit meiner Tante« sind eine urbritische Geschichte über die Grenzen des Lebens und der berauschenden Freude, sich die ganze Welt zu eigen zu machen. Und jede dieser Reisen verlängert das Leben. Näher kommt man nicht an die Unsterblichkeit als an der Seite von Tante Augusta.

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Buch:

Die Reisen mit meiner Tante

Original: Travels with my Aunt, 1969

Autor: Graham Greene

Übersetzerin: Brigitte Hilzensauer

Taschenbuch, 348 Seiten

dtv, 1. Januar 2013

 

ISBN-10: 3423141794

ISBN-13: 978-3423141796

 

Erhältlich bei: Amazon

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Erstellt: 12.09.2014, zuletzt aktualisiert: 08.04.2024 09:56, 13689