Die Spieluhr (Autor: Ulrich Tukur)
 
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Die Spieluhr von Ulrich Tukur

Rezension von Ralf Steinberg

 

Verlagsinfo:

Wilhelm Uhde, der großbürgerliche Preuße, und Séraphine, eine einfache Französin, die von den Bewohnern ihres Dorfes verspottet und von den Kindern mit Dreck und Steinen beworfen wird, trennen Welten. Und doch hat das Schicksal sie zusammengeführt: den sensiblen Kunstsammler und seine tiefgläubige Putzfrau, die Bilder malt, seit ihr ein Engel des Herrn erschien. Viele Jahre und zwei Weltkriege später wird beider Leben verfilmt. Der Schauspieler, der im Film Uhde verkörpert, macht dabei eine seltsame Entdeckung, die ihn unversehens in den phantastischen Kosmos der Séraphine de Senlis katapultiert: in ein Leben hinter den Bildern und Gobelins eines vergessenen Schlosses der Picardie. Ulrich Tukur erzählt von der Macht der Malerei und der Magie der Musik. Er nimmt uns mit auf eine Reise durch drei Jahrhunderte, in eine beunruhigende Welt zwischen Traum und Wirklichkeit.

 

Rezension:

Ulrich Tukur ist Schauspieler und seine Filmographie weist etliche bekannte Werke aus Kino und Fernsehen auf. Darunter auch Séraphine über die Malerin Séraphine Louis (1864–1942) aus dem Jahr 2008 unter der Regie von Martin Provost.

Tukur spielt darin den deutschen Kunstsammler Wilhelm Uhde (1874–1947).

 

Seine Novelle führt uns zu den Dreharbeiten dieses Films. Der Ich-Erzähler ist offensichtlich Tukur selbst und zunächst erscheint die Beschreibung des Hotels und der so malerischen wie morbiden Umgebung wie eine elegante Abendunterhaltung für eine gebildete Zuhörerschaft. Doch recht bald lässt Tukur phantastische Elemente in die Handlung einfließen und aus dem träumerischen Bericht über die Dreharbeiten wird eine magische Karussellfahrt.

Es beginnt mit dem seltsamen Bericht des Regie-Assistenten Jean-Luc, der auf der Suche nach einem Drehort, der die ärmliche Unterkunft der Malerin Séraphine vor ihrer Entdeckung durch Wilhelm Uhde möglichst genau entsprechen soll, in einem mysteriösen Schloss übernachtet. Der alte Marquis bringt ihn in einem Zimmer unter, das sich als das echte Zimmer der Séraphine erweist.

 

Doch eine spätere Suche nach dem Schloss bleibt ergebnislos. Jean-Luc, der sich mit dem Misserfolg nicht abfinden mag, stürzt sich in den Wald und bleibt verschwunden, biss er kurz vor dessen Abreise den Erzähler Tukur im Hotel aufsucht, um den Rest der Geschichte zu erzählen …

 

Das ist natürlich noch nicht der Rest der Geschichte. Vielmehr spinnt Autor Tukur die Figuren noch viel weiter in die Geschichten hinter der Geschichte ein. Er lässt sein Alter Ego selbst von den verschiedenen Schichten sprechen, ja sogar an seiner Existenz als Schauspieler zweifeln. Das Mystische wird zum Zauberhaften, wird zum Grotesken und nimmt immer mehr die Züge einer klassischen Schauergeschichte an. Der Filmstoff wird ebenso lebendig, wie die Biografien der Filmcharaktere, verfilzt sich mit der Geschichte des Schlosses und ihrer Bewohner, um auch das Leben Tukurs zu assimilieren.

Musik und Malerei bilden begleitende Welten, die durch ihre Kunsthaftigkeit das Traumwesen des Erlebten verdeutlichen. Tukur malt hier mit großem Pinsel.

 

Der autobiografische Kontext lässt den Gedanken aufkommen, der Autor möchte das Besondere der damaligen Dreharbeiten unsterblich werden lassen, indem er sie magisch überzeichnet. Gleichzeitig bietet sich eine Gelegenheit, sowohl an die beiden historischen Persönlichkeiten zu erinnern, als auch an die Männer des Hitlerattentats vom 20. Juli 1944. Er macht das mit großartiger Leichtigkeit. Gleichzeitig gelingt ihm ein bezauberndes Stückchen Gegenwartsphantastik.

 

Seine erzählerische Tradition ist zwar deutlich im 19. Jahrhundert zu finden. Tukur spielt stilistisch mit den Tönen E.T.A Hoffmanns und erinnert in seiner Handlungsverschlingung an Wilhelm Raabes Stopfkuchen. Dennoch sind Themen und Orte modern. Lebendig. Vorstellbar.

 

Die Buchgestaltung trägt diesem Duktus mit einer wunderbar altmodischen Edition Rechnung. Grünes Leinen und Goldprägung, dazu Schriftfonts, die an die Buchkunst der Zwanziger Jahre erinnern. Hier wird haptisch das phantastische Empfinden gesteigert, welches die Lektüre bietet.

 

Fazit:

Ulrich Tukur gelingt mit seiner magischen Novelle das Kunststück, eine sehr traditionell gehaltene Schauergeschichte mit Zeitgeist anzureichern. Er nimmt uns auf ganz zarten Schwingen mit auf eine Reise in sein eigenes phantastisches Erleben. Möge er noch viele Expeditionen in seine Fantasie geplant haben!

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Buch:

Die Spieluhr

Autor: Ulrich Tukur

gebunden, 156 Seiten

Ullstein, 11. Oktober 2013

Cover: Steve Viezens

Illustratorin: Bärbel Fooken

 

ISBN-10: 3550080301

ISBN-13: 978-3550080302

 

Erhältlich bei: Amazon


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Erstellt: 25.10.2013, zuletzt aktualisiert: 18.04.2024 09:19, 13294