Druckversion: Die Spur des Bienenfressers (Autor: Nii Parkes)

Die Spur des Bienenfressers von Nii Parkes

Rezension von Oliver Kotowski

 

Rezension:

Das Ding, das auf Kofi Attas Matte lag, wabbelte. Es war schwarz und glänzte, aber als der große rote Polizist etwas näher kam, waren das Fliegen, Tausende und Abertausende. Sie flogen hoch, und die Hütte war voll von ihrem Summen. Ich rannte zur Wand, aber die Polizisten, die wurden eingekreist. Sie stampften herum und versuchten, sie zu verscheuchen. Ich drehte mich um und zog die Matte von Kofi Attas Tür, und die Fliegen zogen alle raus, bis auf eine, die immer noch ihre Kreise machte. Die Sonne strömte in den Raum, und wir sahen alle, was auf der Matte war. Es sah, wenn ich das so sagen darf, wie eine gehäutete Antilope aus, hatte aber keine Knochen und war so rot wie die Monatsblutung einer Frau.

"Es ist ein totes Baby", sagte der große rote Polizist.

Sargie schüttelte den Kopf.

Ein anderer, ein ziemlich Dunkler, aber nicht ganz Schwarzer, mit einer Lücke zwischen den Vorderzähnen, sagte: "Das ist nicht natürlich."

 

Im ghanaischen Hinterland Sonokrom, nahe Tafo, sitzt der Jäger Opanyin Poku mit seiner Kalebasse Palmwein, als ein cremefarbener Benz in sein Dorf gebraust kommt. Eine Frau mit zu kurzem Rock und zu dünnen Beinen – wie bei einer Babyantilope – springt heraus und läuft einem blauen Vogel nach, bis zu Kofi Attas Hütte. Sie ruft: "Agoo!", tritt ein und kreischt schrill. Opanyins Mutter hatte es ihm schon vor Jahren prophezeit: "Yaw Poku! Ich hab gesagt, pass bloß auf, wenn du mit Kofi Atta spielst. Verstanden?" Vor vielen Jahren hatte sie das gesagt – Opanyin ist mittlerweile vierundsiebzig. Die Frau fährt mit ihrem Benz wieder davon, und schon wenige Stunden später kommen fünf Polizeiautos ganz aus Accra, als ob es in Tafo keine Polizei gäbe. Das kommt, weil die Frau mit den dünnen Beinen die Freundin eines Ministers ist, und der wiederum hat bei Inspektor Donkor Druck gemacht. Die Frau hatte in der Hütte etwas gesehen: ein kindsgroßes, knochenloses Stück Fleisch. Der herbeigeholte Pathologe vermutet, dass es eine Nachgeburt, vermutlich menschlich, sei. Donkor beschließt, der Fall müsse CSI-mäßig aufgeklärt werden. Von einem Studierten – da gab es doch diesen Kwadwo Okai Odamtten, der sich als Forensiker beworben hatte. Der soll's machen! Dumm nur, dass sein Chef ihn nicht abstellen will – mit etwas Druck an der richtigen Stelle wird sich das aber sicher regeln lassen.

 

Das Geschehen trägt sich an zwei Orten zu: in Accra, der Hauptstadt Ghanas, in der der Inspektor Donkor und Kwadwo sitzen, und natürlich in Opanyins Dorf, dem Tatort. Die Konkreta werden nur rasch gestreift – in Accra gibt es Labors und Straßenlaternen mit elektrischem Licht, im Dorf haben die Hütten Böden aus gestampftem Lehm. Radios und Gewehre gibt es überall, auch wenn es im Dorf nur ältere und deutlich weniger gibt. Parkes wendet sich vielmehr den soziokulturellen Aspekten zu. So gibt es immer wieder Sprachprobleme – es gibt in Ghana etwa fünfundsiebzig Sprachen und Dialekte, und nicht alle Ghanaer sprechen die Amtssprache Englisch. Wichtiger noch sind die Institutionen. In den Städten sind sie postkolonial. Die Strukturen sind den westlichen Demokratien nachgeahmt, doch das ganze System funktioniert nicht trotz, sondern aufgrund der weitverbreiteten Korruption. Das Hinterland ist dagegen "außerkolonial" – die gesellschaftlichen Strukturen sind seit Jahrzehnten, vielleicht seit Jahrhunderten, kaum verändert worden. Der Häuptling und der Medizinmann sind die Ansprechpartner, und vieles wird den Ahnen überlassen. Langsam rückt allerdings auch da die Moderne ein: Opanyin ist der letzte Jäger in der Region, die jungen Leute gehen in die Stadt, um Geld zu verdienen; kommen sie zurück, dann wollen sie am Sonntag nicht mehr arbeiten. (Und in der letzten Hütte spielt man Rechtsstaat mit dem Untersuchungsbeamten: "Sagten, ich hätte keinen Durchsuchungsbefehl. Haben mir aber auch die Mangos gegeben.")

Damit ist das Setting ein Milieu. Es wird in soziokultureller Hinsicht relativ weit ausgeführt – das ist aber auch bei der Rolle, die es spielt, absolut notwendig.

Die Frage nach dem phantastischen Element ist nicht ganz leicht zu beantworten. Kwadwo ist ein waschechter Wissenschaftler und kennt viele wahrscheinliche Deutungen für seltsame Vorkommnisse. Doch das Leben im Dorf wird von magischen Ereignissen bestimmt, die allerdings eher subtiler Art, wie Vorzeichen oder das Wirken der Ahnen, sind. Auch für die menschlichen Überreste in Kofi Attas Hütte wird es wie in John Dickson Carrs Die Doppelgängerin zwei Lösungen geben – eine natürliche passend für Donkor in Accra und eine übernatürliche passend für Opanyins Dorf.

 

Die Anzahl der auftretenden Figuren ist verhältnismäßig groß – es gibt eine Handvoll Dörfler und eine Handvoll Städter. Aufgrund der Kürze des Romans und der großen Rolle des Settings sind die meisten von ihnen in erster Linie Träger der soziokulturellen Eigenheiten des Settings. Darüber hinaus werden sie aber noch ausreichend skizziert, um als echte Figuren durchzugehen. Da gibt es Inspektor Donkor, der seine Karriere skrupellos vorantreibt, Kwadwos ignoranten Chef, den eitlen und aufgeblasenen Acquah, den nach außen coolen Städter Garba, der im Herzen noch das Dorf trägt, den gewitzten, toleranten Medizinmann Oduro oder die attraktive Wirtin Akosua Darko. Etwas weiter werden der Jäger Opanyin Poku und der Kakaobauer Kofi Atta charakterisiert, die gewissermaßen Rivalen sind. Zentral ist allerdings Kwadwo Okai Odamtten. Er stammt ursprünglich aus einem Fischerdorf, aber seine Eltern hatten ihm ein Studium in England finanziert. Dort konnte niemand seinen Namen richtig aussprechen, so nannte er sich Kayo – und begreift sich selbst immer noch so. Er spezialisierte sich auf Gerichtsmedizin, weil er den Tod seines Großvaters nicht verstehen konnte. Er praktizierte zwar in England als Forensiker, aber weil die ghanaische Polizei ohne Forensik auskommt, leitet er ein Labor in Accra, um das Geld für das Studium seiner Geschwister zu verdienen. Die tief verwurzelte Korruption verblüfft und erschrickt ihn immer wieder – soll er sich damit arrangieren? Wie viel ist die Wahrheit wert – ein halbes Jahresgehalt, eine Seele, ein Leben? Und was ist überhaupt "Wahrheit" – ist das Motiv schon gleichbedeutend mit dem Warum? Alles Fragen, die Kayo bewegen.

 

Mit dem Plot ist es nicht so leicht, wie es zunächst scheinen mag. Auf den ersten Blick ist es ein typischer Police-Procedure-Plot: Kayo ermittelt im Fall der menschlichen Überreste in Kofi Attas Hütte. Dabei wird nicht nur die Lösung des Falls thematisiert, sondern die Methodik der Polizei und generell die Arbeitsbedingungen, zu denen auch finanzieller und gesellschaftlicher Druck im Privaten gehören. Parkes nutzt diesen Plot jedoch, um einer wesentlicheren Angelegenheit auf den Grund zu gehen: der Spannung zwischen postkolonialer Stadt und "außerkolonialem" Dorf. Somit ist der Roman im Kern ein Sittengemälde, auch wenn nur ein gewisser Aspekt herausgegriffen wird, und auch hier nur der Duktus und nicht die Details behandelt werden. Nicht zuletzt geht es um die Spannung zwischen der westlichen Rationalität der Städter und der Spiritualität der Dörfler – Magischer Realismus oder todorovsche Phantastik ist nicht leicht zu entscheiden.

Entsprechend sind die Spannungsquellen verteilt. Im Zentrum steht das Rätsel um die menschlichen Überreste. Darum sind allerlei soziale Konflikte gruppiert – Action gibt es keine, schwere Drohungen durchaus. Das ist allerdings nicht nur bedrohlich, das ist oftmals auch bitter-komisch: Soll man über die Bedingungen lachen oder weinen? Die Lakonie, mit der die Menschen an die Dinge herangehen, lädt den Leser zu ersterem ein. Und schließlich sind die Überreste in den Glauben der Dörfler eingebunden und erzeugen daher in einigen Momenten echtes Grauen.

Der Plotfluss ist wechselhaft: Meistens geht es kraftvoll und zügig voran, mitunter geht es aber auch gemessen zu – und bisweilen enthüllen langsame Stellen ihre Brisanz erst im Nachhinein.

 

Erzähltechnisch ist der Roman ebenfalls interessant. Es gibt zwei Erzählstränge. Da ist Kayos Strang. Erzählt wird aus seiner personalen Perspektive. Sieht man von einzelnen kurzen Rückblenden ab, so ist der Handlungsaufbau dramatisch und in der für Police-Procedure-Geschichten üblichen Mischung aus Progressivität und Regressivität gehalten. Dann gibt es noch Opanyins Strang. Opanyin tritt als Ich-Erzähler auf, der nur wenig beeindruckt von westlichen Maßstäben seine Geschichte eher im Muster oraler Erzählungen Afrikas schildert: Er springt in seiner Erzählung ganz nach Belieben vor und zurück, macht Schlenker, ändert die Personen nach dramaturgischen Erwägungen und greift zu Metaphern und Gleichnissen, um die Wahrheit verständlich zu machen. Apropos Wahrheit – ist das, was er erzählt überhaupt wahr? Er ist nebenbei möglicherweise auch noch ein unzuverlässiger Erzähler. Die Paare Dramatisch-Episodisch und Progressiv-Regressiv sind damit für seinen Strang nur sehr bedingt zu gebrauchen.

Im Stil unterschieden sich die Erzählstränge ebenfalls erheblich. Während Kayos Strang eher nüchtern mit klaren und präzise-kurzen Sätzen ist, ist Opanyins Strang eher blumig mit vagen, länglich-verschlungenen Sätzen. Die Figurenrede ist dann noch ein eigenes Ding: Je nach Situation gibt es präzise Sätze, Pidgin-Stil und Einsprengsel aus dem Twi.

 

Fazit:

Im ghanaischen Hinterland macht die Freundin eines Ministers einen grausigen Fund – nach etwas Druck überzeugt Inspektor Donkor den Studierten Kayo davon, CSI-mäßige Ermittlungen zu führen. Im Dorf geraten dann zwei Welten aneinander. Die Spur des Bienenfressers ist ein toller Roman: Police-Procedure, Sittengemälde, Magischer Realismus, todorovsche Phantastik, die bitter-komische Geschichte balancier trittsicher zwischen den Genres, wobei die verschiedenen Aspekte des Romans sauber aufeinander abgestimmt sind. Wem das Thema zusagt, der sollte Parkes Talent unbedingt eine Chance geben.

 

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Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 202404181136506aedd44c

Roman:

Titel: Die Spur des Bienenfressers

Reihe: -

Original: Tail of the Blue Bird (2009)

Autor: Nii Parkes

Übersetzer: Uta Goridis

Verlag: Unionsverlag (Juli 2010)

Seiten: 221 - Klappbroschur

Titelbild: Dragon/Dutch Uncle

ISBN-13: 978-3-293-00422-1

Erhältlich bei: Amazon

, zuletzt aktualisiert: 12.04.2024 09:51