Druckversion: Die Straße (Autor: Cormac McCarthy)

Die Straße von Cormac McCarthy

Rezension von Oliver Kotowski

 

Rezension:

Asche bedeckt die Welt. Eine Katastrophe hatte die Welt, wie wir sie kennen, zerstört. Sie hat alles mit Asche überzogen. Aschewolken bedecken den Himmel, daher ist es stets düster und kalt. Die meisten Pflanzen sind tot: Entweder sind sie verbrannt oder wegen der Dunkelheit eingegangen. Wenn es schneit, ist der Schnee grau. Die Luft ist voller Asche. Man kann sie nur durch einen Mundschutz atmen. Das Wasser ist voller Asche. Bevor man es trinken kann, muss es gefiltert werden. Mittlerweile liegt die Katastrophe einige Jahre zurück. Im Norden, wo der Mann und der Junge leben, gibt es nichts mehr. Dort kann man nur noch sterben. Also packen sie ihre wenigen Habseligkeiten in einen Einkaufswagen und ziehen die Straße hinab nach Süden zur Küste. Doch es gibt nicht nur leere Ruinen – in den beinahe menschenleeren Ortschaften können hungrige Wegelagerer lauern. Für die hat der Mann den Revolver – aber nur noch zwei Patronen.

 

In der nahen Zukunft hatte eine globale Katastrophe weite Teile der Erde verbrannt und die Atmosphäre mit Asche geschwängert. Aufgrund der darauf folgenden Kälte und Dunkelheit sind große Gebiete unfruchtbar geworden. Es gibt nur sehr wenige lebende Pflanzen und noch wenige Tiere. Was für eine Katastrophe dieses anrichtete, bleibt ungeklärt. Die Folgen erinnern an eine Mischung aus Meteoriteneinschlag und Vulkanausbruch – oder an Sodom und Gomorra aus der Bibel. Wie wahrscheinlich ein solches Setting ist soll hier nicht thematisiert werden, doch auf eine Sonderbarkeit sei hingewiesen: Da es kaum mehr Pflanzen und Tiere gibt, ist Kannibalismus weit verbreitet. Einige der Wegelagerer halten sich sogar Herden aus 'Schlachtvieh'. Wie werden diese Herden nun ernährt, wenn man davon ausgeht das analog zur Rindsfleischproduktion für 1 Kilo Fleisch 10 Kilo Futter benötigt werden? Eine Lösung ist nicht ausgeschlossen, würde das Bild aber massiv verändern – und angedeutet oder gar direkt genannt, wird sie auch nicht.

Der Einfluss des postapokalyptischen Settings auf die Figuren ist eines der zentralen Themen des Buchs – es ist damit ein Milieu.

 

Die beiden begegnen überraschend vielen Menschen. Sie sind dürr, zerlumpt, struppig und von Asche überzogen. Von allen geht eine gewisse Gefahr aus. Doch die meisten sind nur Statisten. Sehr wenige spielen kleine Nebenrollen. Über mehr als eine grobe Skizze kommen nur Vater und Sohn hinaus. Namen werden übrigens nie genannt.

Der Vater ist mittleren Alters, vielleicht in den Dreißigern. Er ist handwerklich begabt, technisch versiert und auch darüber hinaus gebildet: Er kann die kaputte Rolle des Einkaufswagen reparieren, weiß wie man am besten Benzin aus einem alten Tank abschöpft und kennt sich mit den Hirnregionen aus. Bei seiner Menschenkenntnis scheint es zu hapern, denn er misstraut allen gleichermaßen. Zwar erzählt er seinem Sohn stets Geschichten, in denen sie – die Guten – auf andere gute Menschen treffen und ihnen aus Bedrängnissen helfen, aber er glaubt nicht mehr daran – und kann sich nur begrenzt an seine eigenen Maßstäbe halten. Er glaubt nicht mehr an einen guten Ausgang und beneidet häufig die Toten; warum er die zwei Patronen nicht entsprechend verwendet, bleibt unklar: Fürchtet er sich oder hat er Mut und Prinzipientreue genug um trotz der Hoffnungslosigkeit weiterzuleben? Ist da gar noch ein Fünkchen Hoffnung? Man weiß es nicht – sicher ist allein die Liebe zu seinem Sohn.

Der Sohn ist vielleicht sieben oder acht: Er kann schon einiges Lesen, das ist aber noch keine Selbstverständlichkeit, und er ist noch klein genug um für eine schnelle Flucht getragen zu werden. Er wurde nach der Katastrophe geboren – die gute, alte Zeit ist für ihn nur eine Erzählung. Solange keine Probleme auftreten, ist er wie der Spiegel seines Vaters. Aber er glaubt wirklich an die Geschichten und ihre Moral. Schwierig wird es, als er bemerkt, dass der Vater sich nicht immer entsprechend verhält. Es beginnt ein langsamer Prozess der Entfremdung.

Die anderen Figuren treten nur in sehr kurzen Episoden auf. Innerhalb der engen Möglichkeiten sind sie relativ unterschiedlich gestaltet.

 

Bei Geschichten mit postapokalyptischen Setting erwartet man in aller Regel einen Abenteuer-Plot oder gar eine Queste, jedenfalls viel Action: Kämpfe, Verfolgungsjagden, Reisen durch gefährliches Gelände und derartiges. Nun, die Straße führt durch ein tödliches Gelände, es gibt gewalttätige Auseinandersetzungen mit und Flucht vor Wegelagerern. Aber der Fokus liegt nicht auf der Action. Die Begegnungen sind kurz. Sie sind realistisch konzipiert und werden entsprechend geschildert. Der Fokus liegt auf dem Umgang von Vater und Sohn miteinander und dem eigensinnigen Kontrast der beiden: Der Vater verändert sich nur physisch, der Sohn vor allem psychisch. Es sind damit zwei eng verzahnte Bildungsgeschichten. Die Charaktere und deren Wandlungen werden im Spiegel alltäglicher Handlungen nachgezeichnet. Dessen ungeachtet können die Schilderungen der Gräuel als Spannungsquelle wirken; diese Szenen werden knapp, aber plastisch geschildert und wirken daher intensiv. Die Gräuel gehen z. T. wie das Setting über das Realistische hinaus.

Der Plotfluss hält eine sonderbare Balance zwischen Rasanz und Langatmigkeit. Die in kurzen Sätzen spottlichthaft geschilderten Episoden erzielen eine hohe Geschwindigkeit – das Ereignis ist zumeist schon halb vorüber, wenn der Vater (und mit ihm der Leser) die Brisanz der Lage erkennt. Andererseits gibt es einige Wiederholungen – so wird Realismus auf Kosten des Plotflusses erzeugt.

 

Der nüchterne, adjektivarme Stil lässt die Erzählperspektive objektiv erscheinen, doch davon sollte sich der Leser nicht täuschen lassen – sie ist tatsächlich personal aus der Sicht des Vaters und unzuverlässig dazu. Das Buch ist ohne Kapiteleinteilung. Dafür gibt es zahllose kleine Abschnitte, selten länger als eine Seite sind. Damit entsteht ein Gefühl der Zerrissenheit.

 

Die einzelnen Aspekte der Geschichte wirken sonderbar zusammen: Das Setting ist eher unrealistisch – es lässt sich am Besten ganz wörtlich als Postapokalypse, nämlich der Zeit nach dem biblischen Weltuntergang, lesen – wozu auch die Gräuel-Schilderungen passen. Die Figuren und der Plot sind dann wiederum sehr realistisch. Ich für meinen Teil hätte mir mehr Kohärenz gewünscht: Entweder ein realistischeres Setting oder eine dramatischere Komposition der einzelnen Episoden; vor allem ersteres hätte ich begrüßt. So bekommt man zwar eine höchst originelle Geschichte, die allerdings mit dem Setting eine gewisse Hürde aufbaut.

 

Abschließend zwei Hinweise zur Rezeption des Werkes: Die US-Kritiken haben das nahezu euphorisch aufgenommen – so ist es nur konsequent, dass es 2007 mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet wurde. Inhalt und Erzähltechnik legten es schon nahe und so ist es nur folgerichtig, dass Die Straße verfilmt wird. Regisseur ist John Hillcoat, Hauptdarsteller sind Viggo Mortensen und Kodi Smit-McPhee. Der Film soll noch Ende dieses Jahres (2008) in die amerikanischen Kinos kommen.

 

Fazit:

Der Vater zieht mit seinem Sohn hunderte von Kilometern aus dem unbewohnbaren Norden auf der Straße durch ein gefährliches Gebiet voller Kannibalen zur Küste im Süden in der Hoffnung auf eine Zukunft – oder zumindest einen Tod an der See. Mit diesem postapokalyptischen Bildungsroman liefert McCarthy ein höchst eindrucksvolles und originelles Werk ab; einzig das sonderbare Zusammenwirken von Setting und Plot kann störend wirken.

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Buch

Die Straße

Original: The Road (2006)

Autor: Cormac McCarthy

Übersetzer: Nikolaus Stingl

Rowohlt Taschenbuch Verlag, 2007

Taschenbuch, 253 Seiten

Titelbild: any.way, Cathrin Günther

 

ISBN-10: 3498045075

ISBN-13: 978-3498045074

 

Erhältlich bei: Amazon

, zuletzt aktualisiert: 17.04.2023 20:56