Schlauer werden mit Zombies, Werwölfen und Vampiren
Rezension von Oliver Kotowski
Rezension:
Ein verwesender, zombifizierter Nietzsche, ein blutverschmierter, vampirisierter Kant. Die Untoten und die Philosophie. Schlauer werden mit Zombies, Werwölfen und Vampire gibt die Marschrichtung an. Oder beinahe; Werwölfe kommen im Buch nicht in bedeutsamer Form vor. Sind ja auch keine Untoten. Das macht aber nichts, denn die Aufsatzsammlung ist auch so unterhaltsam und anregend genug. Die Herausgeber Richard Greene und K. Silem Mohammad haben vierzehn Aufsätze gesammelt, die von Akademikern verfasst wurden, und auf fünf Abschnitte verteilt. Die Texte sind jeweils etwa zwanzig Seiten lang. Es geht um philosophische Themen wie den ontischen Zustand von Personen, Geist, Moral, Gesellschaft oder Ästhetik, die anhand von Zombie- und Vampirfilmen erläutert werden. Doch nun zu den Aufsätzen im Einzelnen:
Richard Greene; Warum es schlecht ist, untot zu sein …: Green stellt die Frage, warum so viele Menschen den Tod dem Dasein als Untoter vorziehen. Er versucht mithilfe vom Vergleich der fehlenden Möglichkeiten, die eigenen Wünsche zu erreichen, der generellen Eingeschränktheit und dem Mangel moralischer Handlungsoptionen eine Antwort zu finden.
William S. Larkin; "Res Corporealis" – Körper, Zombies und Personen: Es ist eine alte Frage, ob die Person eher von der Kontinuität des Geistes oder der des Körpers ausgeht. Larkin macht sich für die des Körpers an Beispielen aus Zombiefilmen stark.
Hamish Thompson; "Sie ist nicht mehr deine Mutter, sie ist ein Zombie!": Zombies, Wert und personale Identität: Thompson geht der Frage nach, ob die Vernichtung von Zombies moralisch rechtfertigbar ist, wenn sie nicht mehr die Lebenden fressen. Zentral für die Beantwortung ist dabei die Frage nach dem "Selbst" des Menschen.
Larry Hauser; Zombies, Blade Runner und das Körper-Geist-Problem: Hauser geht der Frage nach, ob der menschliche Geist vollständig von materiellen Zuständen abhängig ist. Die philosophischen Zombies, wie sie in Blade Runner zu finden sind, scheinen zunächst dagegen zu sprechen.
Adam Barrows; Heidegger, Schrecken der Vampire: Die Untoten und die Fundamentalontologie: Barrows widmet sich Heideggers Werk Sein und Zeit, in dem der Philosoph den Blick auf das Wesen des Menschen lenken will; eine zentrale Forderung ist die Akzeptanz des eigenen Todes – etwas, das Dracula verabscheut.
Matthew Walker; Wenn die Hölle überfüllt ist, gehen die Toten auf der Erde shoppen: Romero und Aristoteles über Zombies, Glück und Konsum: Walker macht sich für eine Interpretation von Romeros Zombies als lebenshungrige Konsumenten stark, die die Befriedigung der Grundbedürfnisse des Lebens überkompensieren – darauf passt Aristoteles Hedonismus-Kritik (die er in seiner Politik und in der Nikomachischen Ethik entwickelt) überraschend gut.
K. Silem Mohammad; Zombies, Ruhe und Bewegung: Spinoza und der Speed der Untoten: Mohammad versucht mithilfe von Spinozas Definition der "Dichotomie" Leben-Tod, die Kritik von Zombiefilmen an dem beschleunigten Kapitalismus zu veranschaulichen.
Dale Jacquette; Zombies als Gladiatoren: Jacquette zeigt, wie man den philosophischen Zombie fruchtbar verwenden kann – nämlich als Gladiatoren. Da sie keinerlei Bewusstsein haben – auch wenn es anders scheinen mag – besitzen sie nicht mehr moralischen Wert als ein Stein. Doch welche moralischen Implikationen folgen daraus?
Wayne Yuen; Das verdammte Blut – Vampire und Vegetarier: Yuen wendet sich der Frage zu, ob man Vampiren unmoralisches Verhalten vorwerfen kann, wenn sie Menschenblut trinken. Dazu diskutiert er, was einen Träger moralischer Akte ausmacht.
Robert Arp; Zwischen Skylla und Charybdis: Vampire und das hedonistische Paradox: Arp befasst sich mit dem hedonistischen Paradox: Wer stets nach Vergnügen strebt, wird irgendwann Opfer der Langeweile. Können Vampire dieses Problem meistern?
Douglas Glen Whitman; Politische Ökonomie einer zwangsfreien Koexistenz mit Vampiren: Whitman erläutert, warum ein libertäres Gesellschaftsmodell die Koexistenz mit Vampiren eher akzeptieren sollte, als eines, das auf Absicherung der Grundbedürfnisse setzt.
Phillip Cole; Rousseau und der Vampirismus: Vorbemerkung zu einer politischen Philosophie der Untoten: Cole legt die Stärken einer zu entwerfenden politischen Philosophie der Untoten dar. Genau wie die Vampire oder Hexen seien Immigranten oder Terroristen (oder für Deutschland: Harz IV-Empfänger) in erster Linie gesellschaftliche Konstrukte. Natürlich gibt es Immigranten, aber in der Diskussion wird nicht auf reale Personen Bezug genommen, sondern auf abstrakte Bedrohungen, die meistenteils die Einführung neuer Macht- und Kontrollinstrumente für die Politik rechtfertigen sollen. Anhand von Beispielen aus Vampirgeschichten legt Cole die Verwerfung eines dämonisierenden Wir-Die-Gegensatzes nahe.
Simon Clark; Der untote Märtyrer: Sex, Tod, Revolution in George Romeros Zombiefilmen: Clark verwendet Siegmund Freuds Begriff von Zivilisation als repressiver Gesellschaft und Eros und Thanatos sowie Herbert Marcuses Idee einer freien Gesellschaft, um Romeros Zombiefilme zu beschreiben.
Leah A. Murray; Wenn sie uns gerade nicht essen, bringen sie uns wenigstens zusammen: Zombies und der amerikanische Gesellschaftsvertrag: Murray greift die alte Frage auf, ob der Individualismus ("Der Stärkste ist am Stärksten – allein!") oder der Kommunitarismus ("Gemeinsam sind wir stark!") als Gesellschaftsmodell zu bevorzugen sei, und interpretiert Romeros Filmreihe als Argument für Letzteres.
Noël Carroll; Die Angst vor der Angst: Eine Philosophie des Halloween: Carroll geht der Frage nach, was an Halloween und Horrorfilmen so faszinierend ist; zunächst probiert er die psychoanalytische Lösung aus, anschließend seine eigene, die davon ausgeht, dass hier die Angst vor der Angst bekämpft werden soll.
Joan Grassbaugh Forry; "Mächtig, schön und ruchlos": Über die männliche und weibliche Vampirästhetik: Grassbaugh Forry geht den Unterschieden in der Darstellung von Vampiren und deren Verknüpfung mit Charakterzeichnungen unter Gender-Aspekten nach.
Bei verschiedenen Aufsätzen kommt es aus unterschiedlichen Gründen zu kleinen Fehlern: So zwischentitelt Barrows "Draculas willige Vollstrecker", obwohl es dem Duktus des Textes nach "Van Helsings willige Vollstrecker" heißen müsste; hier unterlag der Autor der Versuchung des markigeren Titels. Mohammad befindet etwa, dass die Zombies in White Zombie nur hypnotisiert und nicht wirklich untot seien – das ist meines Erachtens falsch, denn auch Hypnotisierte sollten nicht mehrere Jahrhunderte alt werden und eine Revolverladung Blei in den Bauch ohne zu blinzeln wegstecken; aber tatsächlich stärkt die Richtigstellung dieses kleinen faktischen Fehlers die von Mohammad vertretene Position. Außerdem ist das Wort "gun" stets mit Gewehr übersetzt worden, wobei Pistole mehrfach richtig gewesen wäre – anscheinend haben die Übersetzer die entsprechenden Filme nicht gesehen. Aber das sind meines Erachtens alles Kleinigkeiten, die dem jeweiligen Aufsatz nicht wirklich schaden – um es mit den Worten von Rot Eins zu sagen: "Nicht reingegangen. Nur auf der Oberfläche eingeschlagen."
Es sind natürlich nicht alle Beiträge so überzeugend, wie die Verfasser vielleicht meinen mögen. (In meinem Blog gehe ich kurz exemplarisch zwei Texte an, deren These ich nicht teile. Einer bietet ein löchriges Argument, der andere bringt meine Haltung zumindest ein bisschen ins Wanken.) Doch für alle Aufsätze gilt, dass sie interessante Thesen aufbringen, die alle bedenkenswert sind. Die besten von ihnen – und das sind einige – regen den Leser zum Überdenken einer Haltung gegenüber den zentralen Momenten des menschlichen Lebens an und eröffnen gleichzeitig eine neue Perspektive auf manch alten Klassiker des Horrors; vielleicht wird der geneigte Leser sich fragen, auf wessen Seite er stehen sollte, wenn die abgebrühten Vampirjäger ihre (hölzernen) Pfähle in die Leiber der kreischenden (vampirisierten) Frauen stoßen. Der Komplexitätsgrad der Abarbeitung ist nicht besonders hoch – wer sich in den philosophischen Schützengräben des jeweiligen Frontabschnitts am Leben halten kann, für den werden die philosophischen Aspekte natürlich einem Heimaturlaub gleichkommen, doch für Anfänger ist das Niveau gerade richtig.
Stilistisch sind die Texte zumeist locker und unterhaltsam, doch im entscheidenden Moment weicht die Lockerheit einer wissenschaftlichen Präzision. Es wird zwar nicht explizit gesagt, doch ich vermute, dass die meisten Texte ursprünglich als Halloween-Vorlesungen konzipiert waren; es gibt gelegentliche Running Gags, zentrale Ideen werden wiederholt aufgegriffen und Ähnliches – alles Techniken, die einen mündlich vorgetragenen Text leichter verständlich machen; Anfängern sollte dieses ebenfalls zugutekommen.
Abschließend will ich auch noch einmal auf die freundlichen Mitarbeiter des Klett-Cotta Verlages (oder von Tropen Imprints, falls man da trennen sollte) hinweisen; die hier für den Pressekontakt verantwortliche Frau Wilts verwies mich mit meinen Fragen bezüglich des Fahnenexemplares prompt an Herrn Czaja, der als Lektor für das Projekt verantwortlich ist, der wiederum mir einigen Einblick gewährte. Insgesamt war dieses eine Rezension, die mir in allen Aspekten Spaß gebracht hat – so kann ich das Buch mit viel Nachdruck weiterempfehlen.
Fazit:
Richard Greene und K. Silem Mohammad geben mit Die Untoten und die Philosophie vierzehn Texte heraus, die sich mit zentralen Fragen des menschlichen Lebens befassen und diese anhand von Geschichten mit Vampiren und Zombies unterhaltsam erläutern. Dieses großartige Buch kann ich allen empfehlen, die ein Interesse an ebenjenen Fragen haben, aus einer neuen Perspektive auf bestimmte Horrorgeschichten blicken wollen oder Laien die Philosophie mit einem Augenzwinkern näherbringen wollen – jeder Philosophielehrer sollte mindestens einen Blick hineinwerfen. Das Buch ist anregend und unterhaltsam – was will man mehr? Ich hoffe sehr, dass noch weitere Titel aus der Reihe übersetzt werden.