A Christmas Carol: Von Geistern, Geiz und großem Glück
 
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A Christmas Carol: Von Geistern, Geiz und großem Glück

Artikel von Karin Reddemann

 

Geister haben ihre Geschichten. Unheimliche, unglaubliche, unsterbliche Geschichten. Wer an Geister glaubt oder zumindest die Möglichkeit ihrer Existenz in Erwägung zieht, hat definitiv bessere Karten als der Skeptiker und der Leugner. Taucht solch ein Geist tatsächlich mal auf, fällt der Verfechter des durchaus (Un-)möglichen nicht gleich aus allen Wolken. Weil er eh insgeheim einkalkuliert hat, dass einer aus dem Jenseits auftauchen könnte. Irgendwo im Wald, im Nebel, gern auf einem Friedhof, auch recht wahllos in irgendeiner dunklen Ecke oder im eigenen Haus. Mit einer Botschaft, einer Warnung, in gut gemeinter oder bitterböser Absicht. Vorzugsweise um Mitternacht, weil diese Zeit sich am besten eignet, um Angst zu kriegen. Und Angst zu machen. Das ist so, weil es schon immer so war.

Schon immer so

Um auf sich als furchterregende Erscheinung mit unguter Vergangenheit vernünftig aufmerksam zu machen, rasselt der Geist möglicherweise mit Ketten. In alten Burgen erscheint das sogar logisch. Das kann zwar im speziellen Fall auch mal nicht wirklich böse fruchten, – dem berühmten Canterville-Ghost wird Schmieröl gegen den lausigen Krach, den er veranstaltet, empfohlen –, aber grundsätzlich zielt die Methode perfekt auf empfindsame Nerven. Dass er denn wahrhaftig gleichsam solche hat(te), obgleich sein Gefühlsleben recht lange schon auf Eis gebettet war, stellt der Londoner Geschäftsmann Ebenezer Scrooge erst im hohen Alter fest. Da erscheint ihm sein vor sieben Jahren verstorbener Kompagnon und (einziger!) Freund Jacob Marley am Abend vor Weihnachten mit dicken Ketten, an denen Geldkassetten und fette Geldbeutel hängen, und prophezeit ihm schlimmste Seelenqual nach dem eigenen Tode, übler und furchtbarer noch als die eigene. Verkündet ihm gleichwohl den mitternächtlichen Besuch von drei Geistern, die in Folge erscheinen würden, und rät ihm, die ganze schaurige Angelegenheit bitterernst zu nehmen, es wäre seine einzige Chance auf Bewahrung vor der Höllenqual. So ungefähr spricht er und rasselt mit seinen leidigen Ketten, selbst geschmiedet im Laufe seines Lebens als geldgieriger, egoistischer Ignorant jeglichen Mitgefühls.

Gespenstisches Szenario

Fürwahr, ein gespenstisches Szenario. Ebenezer, schrecklich aufgewühlt, da er es nie einen Deut besser gemacht hat als der von Schuld und Fehl gepeinigte Marley, wartet bange auf die Geister. Begibt sich um dreimal Mitternacht auf eine Reise durch Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Sieht, erlebt und fühlt, wie es früher mal war, wie es tatsächlich ist und wie es sein wird. Und es ist kurz vor zwölf im Sinn des eindringlichen Glockenschlages, als er die ganze Geschichte begreift, wie er sie begreifen muss, damit wir den alten Knöterich mögen. So richtig mögen.

 

Es ist eine gute Geschichte. Eine unheimliche, unglaubliche, unsterbliche Geschichte: A Christmas Carol. Eine Weihnachtsgeschichte.

DIE Weihnachtsgeschichte.

 

Kennen wir? Kennen wir natürlich. Gelesen. Gehört. Gesehen. Gestern oder vorgestern oder irgendwann war das, wir erinnern uns. Und lassen uns ein großes, wahres Märchen erzählen, unvergleichlich in seiner berührenden Art, so schrecklich ehrlich, traurig schön und auch finster genug, um das gute Ende flackernden Blickes inbrünstig zu ersehnen.

 

Wir wissen, was passiert. Wie es passiert. Und warum es passiert, wissen wir auch. Weil es so und nicht anders sein sollte, wenn nichts mehr stirnrunzelnd hinterfragt werden muss. Es wird zufrieden lächelnd verstanden.

Missstände im Königreich

»A Christmas Carol in Prose« stammt aus der Feder des englischen Schriftstellers Charles Dickens (1812–1870) und wurde erstmalig 1843 veröffentlicht, illustriert von dem britischen Künstler John Leech (1817–1864), einem begabten Karikaturenzeichner mit großem Faible für das Londoner Volksleben mit seinen Alltags-Facetten jeglicher gesellschaftlicher Couleur. Dazu gehörten selbstverständlich auch und vor allem die Schattenseiten, die vielen Randfiguren, mit denen das Schicksal es nicht wirklich gut gemeint hatte.

 

Soziale Missstände im Königreich zu thematisieren, lag Dickens gleichwohl am Herzen. Er war in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen, musste sehr jung bereits für die Familie als Hilfsarbeiter mit Geld verdienen (der Vater saß im Schuldgefängnis) und brachte sich in seiner knappen Freizeit selbst das Lesen und Schreiben bei. So war es ihm möglich, eine Stellung als Advokatenschreiber in London zu erhalten. Die deprimierende Not aus Kindertagen damit hinter sich lassen zu können war wohl der erste befreiende Schritt für ihn. Aber vergessen hat er nie. Vorrangig in seiner Geschichte über den Waisenjungen Oliver Twist (1837), der in seiner Bedürftigkeit und Schutzlosigkeit beinahe gegen Elend, Schmutz und Unrecht verliert und letztendlich doch noch gewinnen kann, sind autobiografische Elemente enthalten.

Dass alles gut wird …

In »A Christmas Carol« gewinnt das Menschliche. Dieses Gefühl, dass alles gut werden kann, wenn das Augenmerk auch wahrhaftig auf das Gute gerichtet wird. Deshalb ist die Erzählung so eindringlich, so unter die Haut gehend. Deshalb wird sie geliebt. Mit einem Anti-Helden, Prototyp des Null-Sympathieträgers, einem Fiesling namens Ebenezer Scrooge als Hauptperson, der wir ihr Happy-End aufrichtig gönnen. Ohne nachtragend zu sein. Obgleich wir Scrooge anfangs nur als alten, reichen, übellaunigen, griesgrämigen Geizhals im Blick haben, dem wir die Hand nicht schütteln möchten. Das ändert sich ganz wundersam. Aber anfangs …

 

Bob Cratchit, einziger Angestellter im Warenhaus »Scrooge and Marley«, hat es denn auch wahrlich schwer mit dem extrem sparsamen, gefühlsrohen Kauz. Es ist der Abend vor Weihnachten, und der eingeschüchterte, gebeutelte Cratchit, ermüdet und frierend im ungeheizten Laden, macht sich keine Hoffnung, dass Scrooge für ihn und seine Familie etwas Schönes zum Fest im Kopf haben könnte. Hat er auch nicht. Er verlangt von ihm, auch am 25. Dezember pünktlich zur Arbeit zu kommen, wettert »Weihnachten? Humbug!« (Christmas? Shut up!), und erteilt seinem netten Neffen Fred, der ihn zum Festtagsessen bei sich zuhause einlädt, eine barsche Absage. Zwei freundlichen Herren, die ihn um Spenden für die Notleidenden bitten, verweigert er schroff jegliche Unterstützung, weil es schließlich Armen- und Waisenhäuser gäbe, von meinen Steuern! finanziert.

 

Soweit. So unerfreulich. Mit dem Erscheinen des toten Marley und der Geister der vergangenen, diesjährigen und zukünftigen Weihnacht wendet sich das Blatt. Scrooge beginnt, sich selbst zu überdenken. Der Blick in sein Gestern, – Kindheit, Traurigkeit, Jugend, Ehrgeiz, verpatzte große Liebe –, in das Heute, – der harte Existenzkampf seines getreuen Angestellten Bob und dessen Familie, die böse Krankheit des kleinen Tim Cratchit, die Lebensfreude seines Neffen Fred, der trotz allem kein schlechtes Wort über ihn verliert, und die Armut überall, vor der er so verbohrt die Augen verschlossen hatte –, und in das Morgen: Er erfährt, dass jemand gestorben ist, und niemand vermisst ihn, weint gar um ihn.

Scrooge öffnet sein Herz

Der Geist der zukünftigen Weihnacht lässt ihn wortlos in das Gesicht des Toten blicken, und mit blankem Entsetzen erkennt Scrooge sich selbst. Erkennt, dass er so nicht weiterleben kann und will, dass er alles umkrempeln und endlich ein guter Kerl werden muss, – und will! –, um seine Seele noch retten zu können. Mehr noch: Um sich glücklich zu fühlen, indem er Glück teilt. Er öffnet sein Herz. Beschenkt die Notleidenden, schickt Bobs Familie einen fetten Festtagsbraten, nimmt Freds Einladung doch noch an und nimmt sich vor, alles besser zu machen. Dazu gehört, dass er dem kleinen Tim die Operation bezahlt und ihm damit das Leben rettet. Und Ende. Und so schön. Märchenhaft und lehrsam, wie es sein soll. Scrooge bekommt eine Riesenchance, und die nutzt er ganz im Sinn der einwandfreien Intention. Wäre herrlich, wenn das tatsächlich so funktionieren würde. Wenn da Geister wären, die einem klar zeigen, wo es wie und warum langgeht und dass man nie vergessen darf, zurück- und vorauszuschauen, gegenwärtig auch stets nach rechts und links, um sich im Guten orientieren zu können. Wenn da denn Geister wären … Scrooge glaubte wohl nicht daran und wurde eindringlich, vor allem wirkungsvoll belehrt. Dickens hat sie mit viel Sinn für das Wesentliche für ihn kreiert. Für uns auch. Und irgendwie auch für eine gewisse Ewigkeit. Weil »A Christmas Carol« keiner Mode unterliegt, sondern eine Herzensangelegenheit ist. Zeitgeist spielt da keine Rolle. Nur die Moral einer menschlichen Geschichte.

Immer wieder Weihnachten

Und die wurde unzählige Male auf die Bühne, auf die Leinwand gebracht, erstmalig 1901 als britischer Kurzfilm von ursprünglich elfminütiger Spieldauer (Scrooge, or Marley’s Ghost) . Drei Minuten Laufzeit existieren noch, von den Darstellern ist keiner mehr namentlich bekannt. 1938 kam die erste amerikanische Adaption von A Christmas Carol unter der Regie von Edwin L. Marin mit Reginald Owen als Ebenezer Scrooge und Gene Lockhart als Bob Cratchit auf die Leinwand. Tatsächlich ist diese Version immer noch die bekannteste und vielerorts beliebteste Version, obgleich die Zeit in Sachen Tricks, Maske, Technik immer mehr aufpolierte. Nicht nur gern und oft mit ausschließlich menschlichen Akteuren:

In Mickys Weihnachterzählung (1983) übernimmt selbstverständlich der 1947 von Carl Barks erdachte und von Dickens’ Scrooge inspirierte weltberühmte Disney-Onkel Dagobert Duck alias Scrooge McDuck die Rolle des alten Nickelpotts, Micky spielt den netten Bob. Diese Rolle wird Frosch Kermit in der Muppets-Weihnachtsgeschichte (1992) auf den Leib geschrieben, Michael Cane spielt den Scrooge.

 

Good old school ist die wirklich sehenswerte Verfilmung von David Hugh Jones aus dem Jahr 1999 mit Patrick Stewart (Captain Picard). Disneys Eine Weihnachtsgeschichte mit Jim Carrey (Scrooge) und Gary Oldman (Bob), ein 3D-animierter Fantasyfilm von Robert Zemecki, wurde zehn Jahre darauf mit viel Sorgfalt und Spektakel gezaubert.

 

Und (etwas) augenzwinkernd mit durchaus Ernst im Blick, angelehnt an Dickens’ Story, drehte elf Jahre zuvor Richard Donner Die Geister, die ich rief … mit Bill Murray als knallharter, frostiger Geschäftsmann Frank Cross, der einem gewissen Scrooge durchaus das Wasser reicht. Glück und Segen am Ende auch hier. Herz, was wollen wir bloß mehr?!

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Erstellt: 19.12.2020, zuletzt aktualisiert: 25.11.2023 10:13, 19285