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Karloff the Uncanny

Artikel von Karin Reddemann

 

Hollywood 1931, Premierenfeier.

Taft raschelt, Gläser klirren, die Luft trägt Tabak und schweres Parfum. Jemand raunt. »Ist das nicht der?« Irgendwer zögert, nickt. »Der Unheimliche. Das Monster.« Irgendwo auf dem Film-Olymp, nur zwei, drei Wimpernschläge später, eine weitere lange Nacht. Jemand sagt: »Da. Endlich.« Alle heben die Köpfe. Einige flüstern. »Karloff the Uncanny.« Andere rufen. »Er ist es. The Master of Horror.« Und er lächelt, verneigt sich, der Mann, den eine einzige Rolle zur Ikone der Populär-Kultur gemacht hat, zu einem der ganz Großen des Finster-Genres. Boris Karloff. Frankensteins Monster.

Master of Horror

Einer von vielen Träumern, die Ehrgeiz hatten und hofften, war Karloff, gebürtig William Henry Pratt (1887-1969), ein noch recht unbekannter britischer Theater- und Filmschauspieler, bevor ihm das Angebot seines Lebens unterbreitet wurde. Er sollte die von genial-wahnsinniger Menschenhand erschaffene Kreatur in der ersten Ton-Verfilmung des Romans von Mary Shelley (1818) darstellen, nachdem der berühmte Kollege Bela Lugosi (Dracula) dankend und wohl auch leicht empört, da gekränkt in seiner Künstlerehre, abgelehnt hatte. Das ganze Make-Up würde ihn unkenntlich machen, und seiner Auffassung von wahrem Schauspiel schien die Sprachlosigkeit des Monsters so gar nicht zu entsprechen. Lugosi wollte ergo nicht, – manche Irrtümer müssen schmerzen –, und Karloff, der Mann mit den markanten Gesichtszügen und den wachsamen Augen, trat ins Rampenlicht. Dort blieb er. Geboren war eine Legende. Manchmal geht es so verdammt großartig schnell.

Weltstar über Nacht

Da war er nun ein Weltstar, der mittlerweile 44jährige Pratt, der bis dahin eher als Typ-Darsteller, – oft ungenannter Indianer, Araber, Inder, Leibwächter, Taschendieb oder Bösewicht und Schurke allgemein –, freilich auch als ernstzunehmender Charakter durch Hollywood lief, verweilte, weiter lief und suchte. Gute Rollen. Die Rolle. Gefragt war er schon. Den schwierigen Übergang vom Stumm- zum Tonfilm, – eine Hürde, die vielen das Genick brach –, schaffte Karloff problemlos. Er spielte nicht überzogen künstlich, seine Stimme war geschult, sein leichtes Lispeln empfand man als ungewöhnlich, ergo positiv, und seinem Oxford-Englisch trainierte er ein tiefes, dunkles Knarren an. Seine Optik trug Übriges dazu bei: Er klang exotisch, er sah auch so aus.

 

Von den Gagen allein konnte Karloff freilich so nicht in der Filmmetropole überleben. Er fuhr nebenher LKW (ohne Führerschein), heiratete allerdings auch bis Ende der 1920er dreimal und ließ sich gleichsam dreimal scheiden, was grundsätzlich unklug ist und den Geldbeutel zusätzlich derb lädierte. Der füllte sich nicht nur ganz beträchtlich mit Frankenstein (Regie: James Whale), er war jetzt auch ein Mann, den alle kannten, schätzten und haben wollten. Die 1930er Jahre stehen für eine besonders prägende Zeit. Die Maske des Fu-Manchu, Das Haus des Grauens, Scarface, Die Mumie, Der Rabe, Die schwarze Katze … es war das ganz große Kino.

 

Mit Frankensteins Braut (»Bride of Frankenstein«, 1935), ebenfalls unter der Regie von James Whale, mit der phantastischen Elsa Lanchester in der Titelrolle, gelang dann der absolute Wurf. Der Film gilt nicht nur als einer der besten des Schwarz-Weiß-Horrors, des Genres überhaupt, er wird auch zu den Meisterwerken des Hollywood-Kinos gezählt.

 

In der genial-köstlichen Verfilmung des Theaterstücks Arsen und Spitzenhäubchen (1944, Regie: Frank Capra) mit dem göttlichen Cary Grant (Mortimer Brewster) sollte ursprünglich The Uncanny höchstpersönlich den aus dem Knast entflohenen Massenmörder Jonathan Brewster spielen, der nach einer missglückten Gesichts-OP wie Karloff in seiner Frankenstein-Maske aussieht. Der Gag wäre phänomenal gewesen, zumal die Rolle eigens für Karloff geschrieben worden war; allein, es war nicht machbar, er stand zeitgleich zu den Dreharbeiten als Jonathan auf der Bühne am New Yorker Broadway. Die Theaterproduktion war überaus erfolgreich und brachte es auf über 1.400 Vorstellungen; da Karloff selbst sie finanziert hatte, verdiente er damit viel Geld.

Mit ironischer Prise

Karloff, der Alt-Meister, konnte natürlich nicht ewig auf dem Thron bleiben. Sein persönliches Zepter nahm er mit, wer sollte ihm nachfolgen?, andere Zeiten, Techniken, Ideen, Möglichkeiten, Stars kamen. Und die Farbe. Immerhin drehte man mit Karloff noch bis Ende der 1950er Jahre in Schwarz-Weiß, um die düstere Atmosphäre, die morbide Stimmung, sein unvergleichliches Finster-Schauspiel zu verstärken. Er blieb auch später immer noch ordentlich im Geschäft, engagierte sich weiterhin gewerkschaftlich (SAG: Screen Actors Guild), arbeitete für das Fernsehen, als Synchronsprecher, Vorleser und Erzähler, – seine markante Stimme konnte wunderbar sanft sein, sagt man –, im Radio und auf Schallplatten. 1962 drehte Roger Corman mit Karloff noch einmal Leinwand-Finsternis mit ironischer Prise: Der Rabe – Duell der Zauberer und The Terror – Schloss des Schreckens, zwei B-Movies, gelten als Kult-Muss in Genre-Kreisen.

Das Licht ging aus

Ende der 1960er ging für typische Einzel-Heroen wie Karloff so langsam endgültig das Licht aus. Realer Schrecken beeinflusste den Horror-Film, das Grauen wurde anonymer und allumfassender: Gesichts- und namenlose Zombies (Night of the Living Dead, 1968, George A. Romero) kämpften und bissen sich durch die Kinosäle. Der Vorhang für The Uncanny fiel. Er starb 1969 in West Sussex, England. Seit 1946 bis zu seinem Tod an seiner Seite: die sechszehn Jahre jüngere Evelyn Helmore, seine fünfte Ehefrau.

 

»Frankensteins Monster« brachte Karloff weltweit Aufmerksamkeit und Anerkennung: Bereits 1938 wurde die Monstermaske mit dem traurig-hilflosen Blick aus dem Film zum Symbol der Surrealismus-Ausstellung in Paris. Filmplakate wurde zu gigantischen Summen versteigert, Briefmarken mit seinem Konterfei wurden gedruckt, Künstler porträtierten ihn als Pratt (ohne Maske), der Nr.-1-Hit »Monster Mash« (1962) wurde ihm gewidmet, und bis Anfang 1980 zierte er als Zeichnung die Comicbuch-Reihe »Boris Karloff's Tales of Mystery« (Gold Key Comics).

 

»Frankensteins Monster«: Für Boris Karloff durchaus ein Segen. Auch sein Fluch? Sagt man ja so. Segen ist klar, zum (bedingten) Fluch wird’s, wenn man es nicht mehr schätzt, auf ewig auf etwas reduziert zu werden, das einem unweigerlich etwas von der eigenen Persönlichkeit gestohlen hat, obgleich es einem so viel schenkte. Karloff war zufrieden, das erzählt man sich, das glauben wir.

Glückliches Monsterleben

Sympathisch war er auch.

 

Eine kleine Anekdote, die so ein bisschen verrät, wie richtig nett er gewesen ist: Zum Set von »Frankensteins Monster« fuhr die siebenjährige Marilyn Harris, ein damaliger Kinderstar, – sie war die »Little Mary« im Film, das kleine Mädchen am See, das vom Monster (versehentlich) getötet wird –, gemeinsam mit Karloff, der in voller Montur neben ihr saß und vergnügt mit ihr plauderte. Die Crew hatte zuvor gedacht, sie hätte vermutlich furchtbare Angst vor ihm, aber Marilyn lächelte ihn lieb an, nahm seine Hand und fragte ihn ganz unbekümmert, ob sie mit ihm in seiner Limousine sitzen dürfe. Karloff, ganz Gentleman, sagte:

 

»Es wäre mir ein Vergnügen, Kleines.«

 

Er selbst war nur zwei Jahre älter als Marilyn, man schrieb das Jahr 1896, und der kleine William war im Schultheater der Dämonenkönig in Cinderella.

 

Und sagte lange Zeit später:

 

»Das war der Beginn eines langen und glücklichen Lebens als Monster.«

 

Ein Mann.

Ein Wort.

Sein Monster.

Seine Unsterblichkeit.

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, zuletzt aktualisiert: 25.11.2023 10:13