Hörspiel
Rezension von Björn Backes
Inhalt:
Berlin, 1828: Zwei der genialsten Wissenschaftler Deutschlands treffen in gesetztem Alter aufeinander und berichten von ihrem ständigen Bestreben, die Welt neu zu vermessen. Und beide könnten verschiedener nicht sein: Der aus adligem Hause stammende Astronom Carl Friedrich Gauß ist seines Zeichens ein Frauenheld mit eindeutiger Passion für die mathematische Zahlenwelt. Keine Formel, die er bislang nicht diskutierte, keine Liebschaft, der er bewusst aus dem Wege gegangen wäre. Und dennoch ist er ein Eigenbrödler, der sich am sichersten in den eigenen vier Wänden fühlt und nur dann in die Öffentlichkeit tritt, wenn die Situation es erfordert. Alexander von Humboldt indes ist Zeit seines Lebens Weltenbummler gewesen, hat die Steppen und Urwälder der Welt erkundet, Flora und Fauna bis zu ihren Extremen kennen gelernt und ist sich in keiner Phase seiner persönlichen Vermessung für einen abgeschmackten Versuch zu schade gewesen.
Als die beiden sich nun zum ersten Mal begegnen, tauschen sie ihre bewegten Erlebnisse aus und ärgern sich gleichzeitig über die Verdummung der Bevölkerung und die Geringschätzigkeit, die der Wissenschaft entgegengebracht wird. Überzeugt von ihren Techniken entwickelt sich aber dennoch ein eigenartiger Schlagabtausch, während dem sich Humboldt und Gauß ständig davon überzeugen wollen, den genialeren Part abzugeben.
Rezension:
Bereits mit seinem Roman-Bestseller hat Daniel Kehlmann bewiesen, wie frisch die Welt der Naturwissenschaften sein kann, wenn man sich nicht auf gezwungene und schulische Art und Weise mit ihr auseinandersetzen muss. „Die Vermessung der Welt“ mag zwar in gewisser Form, eine Art pointierte Biografie zweier elitärer Wissenschaftler sein und gewissermaßen auch auf den Humor der Inszenierung abzielen, ist aber nichtsdestotrotz zu großen Teilen ein faktisches Sammelsurium wichtiger Erkenntnisse und Aspekte, die auch stellenweise von großem Belangen für die weltliche Wissenschaft sind.
Kehlmann jedoch fasste bei seinem Vorhaben, diese beiden außergewöhnlichen Menschen auf noch außergewöhnlichere Weise zu ehren, eher den hitzigen Was-wäre-wenn-Schlagabtausch ins Auge und lässt die Protagonisten in einer verbal durchaus anspruchsvollen Form über ihr Erlebtes debattieren und diskutieren. Im steten Konjunktiv liefern sich Humboldt und Gauß, stets von sich, ihrem Wissen und ihrer Genialität überzeugt, ein Wortgefecht, dass in der Welt der Literatur seinesgleichen sucht und gerade durch den allgemeinen, bissigen Zynismus Zugang zur Gedankenwelt der beiden eigenbrötlerischen Charaktere gewährt.
Die wahre Kunst liegt unterdessen im Versuch, Fakt und Fiktion stimmungsvoll zu vermischen, dabei den Anspruch zu bewahren, aber auch nie den Humor aus dem Sichtfeld zu verlieren. Gerade hier zeigt sich die Darstellung des Autors nämlich als wahrhaftig beeindruckend, da er selbst die unglaublichen Erzählstränge derart lebendig und glaubwürdig auf die Tapete bringt, dass man von deren Muster sofort in ihren Bann gezogen wird – so geschah es zumindest in der Romanvorlage.
Die Hörspielfassung indes ist ungleich sperriger, was in erster Linie daran festzumachen ist, dass die vielen unterschwelligen Gedankenzüge der Hauptdarsteller nicht so recht zur Geltung kommen. Der offene Schlagabtausch ist zwar durchaus lebhaft und direkt, und auch finden sich die beiden Sprecher Udo Schenk und Michael Rotschopf auf Anhieb problemlos in ihre Rollen ein, allerdings wirkt das Ganze quantitativ sehr stark komprimiert und inhaltlich phasenweise doch recht stark zusammengeschrumpft. Die Detailfülle ist bei weitem nicht so groß wie in Kehlmanns schriftlicher Fassung und gerade durch das Ausblenden der teils arroganten, teils sehr großspurigen Gedankeninhalte der beiden Betroffenen nimmt das Hörspiel dem Ursprungskonstrukt ein ganzes Stück von seiner Brisanz.
Die Inszenierung als solche wiederum bleibt mehr als akzeptabel und kombiniert den angestrebten Humor gekonnt mit den alles andere als nüchternen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Wenn die beiden sich auf Teufel komm raus zu übertrumpfen versuchen und die Sprecher hierbei sehr passioniert ihre Emotionen einbringen, darf man getrost von einem Hörvergnügen, bisweilen sogar von einem Spektakel sprechen, welches eben nur leider daran leidet, dass es in manchen Passagen recht stark editiert wurde.
Fazit:
Letzten Endes richtet sich das Hörspiel vornehmlich an diejenigen, die Kehlmanns Roman schon gelesen haben und ihn mal von einer ganz anderen, noch lebendigeren Seite erleben wollen. Wer mit „Die Vermessung der Welt“ hingegen noch nicht vertraut ist, ist mit dem Buch definitiv besser beraten, da die bestechende Detailfülle in der knappen Hörspielfassung nicht wirklich befriedigend aufgearbeitet wurde.