Die weiße Frau: Mit fahlem Antlitz soll sie gehen!
Artikel von Karin Reddemann
Frauen in Weiß sind bösartige tote Bräute oder wahnsinnig gewordene tote Mütter, die ihre Kinder umgebracht haben. Entfesselt vom eigenen Entsetzen, das wirklich richtig finster macht, sind beide Charaktere.
Durchaus können sie auch just ihrem Grab Entstiegene in ihren Leichenhemden sein.
Aber das interessiert uns im speziellen Kontext nur bedingt. Und der grausigen Dame im Spitzengewand in The Bride (Regie: Svyatoslav Podgayevskiy, 2017) bleibt eine andere dunkle Ecke vorbehalten.
Denn hier sprechen wir im vertrauten Flüsterton über Frauen, die sich in weißen Kleidern irgendwo in Burgruinen, Altbauwohnungen, verwitterten Parkanlagen, Spiegeln und Bildern, auf Türmen, Brücken, Highways und vergilbten Schreckfotos, an dunklen Flüssen und bröckelnden Mauern zeigen, um auf ihre Not, Verzweiflung, Wut und Mordlust aufmerksam zu machen.
Boten und Killer
Diese Frauen sind Boten. Wer sie sieht, sieht den Tod. Nicht unbedingt den eigenen. Mag sein, den eines lieben Verwandten, eines geschätzten Freundes. Vor allem aber sind sie Killer. Wenn sie es auf einen selbst abgesehen haben, gibt es kaum eine Chance. Sie töten ungnädig. Kompromisslos. Eiskalt. Grundsätzlich ähnlich rachedurstig, – und das nun will für die wachsamen Cineasten vermerkt sein, die bei sowas vielleicht ganz automatisch an weiße, blutdurchtränkte Kleider denken müssen –, wie es Carrie (nach dem Roman von Stephen King) und Tarantinos Beatrix (Kill Bill) im gesondert krassen Stil sind. Weiße Frauen im hier gewünscht Speziellen sind sie natürlich nicht.
Die Gesichter der echten Frauen in Weiß sind (auch) schön, aber auf verfluchte Art trügerisch. Tatsächlich sind es die schlimmsten Fratzen, die einen plötzlich mit Irrsinn im flackernden Blick anstarren. Sie sind bedrohlich, uneinsichtig, zudem gefährlich und haben finsterste Gedanken im Kopf. Ergo sollte man sie tunlichst meiden und, sofern das partout nicht gelingt, eine mit Steinsalz gefüllte Schrotflinte bei sich tragen.
Särge öffnen, Gebeine salzen
Auf die sicherste Fährte begibt man sich, wenn man ihre Gräber aufsucht, die Särge öffnet, die Gebeine salzt und anschließend verbrennt. Das klingt unangenehm gruselig, ist aber die übliche Verfahrensweise bei unliebsamen Geistern, die technisch auch bei den Frauen in Weiß funktionieren dürfte.
Freilich wissen wir, dass Horrorgestalten wie Freddy, Jason, Dracula, der Babadook und eben auch die klassischen Gespenster stur sein können und einfach dreist trotzdem wiederkommen, egal, was man an hoffnungsvollem Zauber anstellt. Und da ist es, – ungeachtet aller Furcht und Pein –, doch recht beruhigend zu hören, dass die Weiße Frau es im Ernstfall nur auf untreue Männer abgesehen hat. Die werden nicht gewarnt, denen wird gezielt aufgelauert, und verstecken oder flüchten nützt da gar nichts: Sie wittert alles.
In Lateinamerika kursieren etliche alte Geschichten über La Llorona (die Weinende), eine einstmals wunderschöne Frau, die in Rage ihre Kinder ertränkt, weil ihr, – oftmals gesellschaftlich höher stehender –, Mann sie für eine Geliebte verlassen hat. Als ihr klar wird, was sie getan hat, begeht sie Selbstmord und weint fortan als Geisterfrau in Weiß um ihre toten Kinder. »Die Weinende« hat auch ihren Auftritt in der Serie Grimm, natürlich so schön, so unglücklich und so furchtbar, wie man es erwarten darf in bester Finsternis.
In anderen Versionen wird geraten, die Llorona zu meiden, weil sie Wanderer hypnotisiere, um mit ihnen die Nacht zu verbringen. Und um sie anschließend zu töten. Es wird auch gesagt, dass sie Männer aus ihren Betten hole, um sie zu entführen, und dass sie Kinderseelen raube, um diese vor Gott als die ihrer eigenen umgebrachten Kinder auszugeben. Und dass sie bedauernswerte Menschen, die zufällig zu später Stunde ihren Weg kreuzen, aus dem gleichen Grund im Fluss ertrinken lassen würde: Um die Seelen zu missbrauchen.
Im Süden Mexikos wird erzählt, La Llorona sei eine Prostituierte gewesen, die ihre Kinder abgetrieben und die Leichen in den Tecpan geworfen habe. Nachdem sie gestorben war, verlangte Gott von ihr, ihm all ihre toten Kinder zu bringen. Seine Engel hüllten sie in ein weißes Kleid und schickten sie auf die Suche. Seitdem streift sie weinend an den Flüssen der Erde umher.
Eine auffallend hübsche, von ihrem Mann sitzengelassene Frau, die sich in ein furchtbar hässliches uraltes Weib verwandelt, wenn jemand ihr, geblendet von falscher Schönheit, näher kommt, ist La Llorona in Honduras. Auch sie, genannt »La Sucia« (die Schmutzige), weint um ihre ertränkten Kinder. Aber sie treibt auch Männer, die ihr in die Hände fallen, in die geistige Umnachtung. Es gibt kein Entkommen, wenn sie einen packt und krächzt: »Toma mi teta, que soy tu nana« (Fass meine Brüste an, ich bin dein Kindermädchen).
Dieses Grundmotiv, Basis allen Schreckens, – eine Frau tötet ihre Kinder, weil der Mann sie betrogen, verlassen, belogen, verschmäht oder im Stich gelassen hat, bringt sich selbst um, findet (natürlich!) keine Ruhe und kehrt zurück, von Rastlosigkeit, Reue, Rache und Sündenwahn getrieben –, ist tatsächlich in Anlehnung an die Legenden um La Llorona Thema der überhaupt allerersten Folge der US-amerikanischen Mystery-Serie Supernatural (Die Frau in Weiß, 2005):
Constanze wird von ihrem Mann Joseph verlassen, kommt damit nicht klar und ertränkt in ihrem Wahn die gemeinsamen Kinder in der Badewanne. Am Highway bringt sie sich um und lockt fortan als weißgekleidete Geisterfrau Männer ins Verderben, indem sie als vermeintliche Anhalterin nachts einsam am Straßenrand steht. Wer anhält und sie einsteigen lässt, stirbt einen grausamen Tod. Die Dämonenjäger Dean und Sam erledigen sie letztendlich mit einem gezielten Schuss, – Munition in solchen Fällen: stets Steinsalz, wohlgemerkt –, und mit der Hilfe der toten Kinder, die ihre Mutter ins Jenseits zerren. Zurück bleibt eine riesige Pfütze.
Nun waren hier auch Profis am Werk. Für Amateure gilt, die Geisterfrauen nicht unnötig wütend zu machen, sonst zeigen sie sich in abscheulicher Gestalt mit krallenähnlichen Händen. Zudem sind sie, wie alle Geister, extrem stark und schnell, können sich unsichtbar machen und Telekinese anwenden.
Europäische Düster-Folklore
Fürwahr guter Stoff: Kein Wunder, dass die Weiße Frau optisch und inhaltlich auch europäischer Düster-Folklore beschwörend gefällt. Besonders berühmt ist die Ureigene der Hohenzollern, die gebeutelte, gequälte, gleichwohl absolut unselige Kunigunde von Orlamünde, die auf der Plassenburg in Oberfranken durch die Gänge geistert.
Ferdinand Freiligrath (1810 – 1876) widmete ihr 1844 ein Gedicht. Da heißt es unheilvoll:
Man sagt, es läßt die weiße Frau
Sich hier und dorten wieder sehen;
Durch mehr als einen Fürstenbau
Mit fahlem Antlitz soll sie gehen.
In weißer Robe, weiß verbrämt,
Tritt sie aus Wänden und aus Bildern;
Dastehn die Wachen wie gelähmt,
Die in den Korridoren schildern. […]
Zur wahren Mär: Die Witwe Kunigunde, Mutter von zwei kleinen Kindern, war verliebt in Albrecht den Schönen. Der erklärte, einer Verbindung stünden wohl einzig zwei Paar Augen im Wege. Damit meinte er die des Nürnberger Burggrafen nebst Gemahlin, ihres Zeichen seine unwilligen Eltern. Kunigunde freilich ging davon aus, dass es ihre Tochter und ihr Sohn aus ihrer Ehe mit dem verstorbenen Graf Otto seien, die den Geliebten störten. Und anstatt sich aufgrund dieser vermeintlichen Ablehnung ihrer Kinder von Albrecht zu lösen, brachte Kunigunde sie um, indem sie ihnen mit einer dicken Nadel in die Köpfe stach. Albrecht, entsetzt über diese Gräueltat, wandte sich von ihr ab. Kunigunde ging ins Kloster. Allein, da halfen Beten, Buße und Bereuen nichts, sie wurde nach ihrem Ableben zum herumwandelnden Geist mit unfriedlicher Seele. Es galt und gilt: Wem sie erscheint, der stirbt in kürzester Zeit. Oder wird auf diesem Weg über das drohende Anstehen einer familiären Katastrophe unterrichtet.
[…]Wem gilt ihr abermalig Nahn
Rings in den Reichen und Provinzen?
Sagt sie, wie sonst, ein Sterben an?
Tod eines Fürsten oder Prinzen?
Es könnte sein – ich weiß es nicht!
Die Rede geht: ein tiefrer Jammer
Treibt sie hervor ans Tageslicht
Aus ihrer dunst’gen Totenkammer![…]
Kunigundes Geist
Nun spukt seit dem 15. Jahrhundert in etlichen Schlössern europäischer Adelsfamilien die Frau in Weiß, die White Lady, Dame Blanche, nicht immer als Mörderin und Selbstmörderin, auch als Ermordete, gar Hingerichtete, meist als vom Schicksal Gebrandmarkte, arme, verzweifelte, – und des Öfteren –, auch dunkle, manchmal böse Seele.
Die Wundergläubigkeit im 17. Jahrhundert ließ sie wie Wappen und Herkunftssagen zu einer Art Standesattribut werden.
Die Prominenz der Weißen Frau der Hohenzollern machte ergo nicht nur ängstlich, sondern so manches Geist-lose Blaublut auch neidisch:
[…]Die Toten weckt es in der Gruft –
Herr Gott, und die Lebend’gen schlafen!
Abschüttl’ ich Staub und Moderduft:
Ich möchte wecken, warnen, strafen!
Ich hab’ nicht Rast, ich hab’ nicht Ruh’ –
Eil’, o mein Stamm, dich zu erheben!
Der Mund des Todes ruft dir zu:
Erfasse frisch und kühn das Leben![…]
Es steht geschrieben: Napoleon Bonaparte leibhaftig verbrachte mit Kunigundes Geist am 14. Mai 1812 in der Bayreuther Eremitage eine Schreckensnacht. Dort hing (laut Fontane, Effi Briest) ein
»… stark nachgedunkeltes Frauenporträt, kleiner Kopf, mit herben, etwas unheimlichen Gesichtszügen und einer Halskrause, die den Kopf zu tragen scheint.«
Das Bild der Hohenzollern-Kunigunde! Sie schritt aus dem Rahmen, auf Napoleons Bett zu, starrte ihn an, griff nach ihm … ja, warum bloß? Allemal, Napoleon schrie gellend nach seinem Adjutanten, verließ fluchtartig das Schlafgemach und sprach mit Entrüstung und Entsetzen bis an sein Lebensende vom »maudit château« (»verdammtes Schloss«).