Die Welt am Abgrund von Andreas Zwengel
Rezension von Chris Schlicht
Rezension:
In England werden Bohrmaschinen zur Erzförderung zerstört. Ein nach China ausgewandertes Ehepaar bekommt eine Tochter und wird in den ersten aufkeimenden Kämpfen des Boxeraufstandes scheinbar von den Chinesen getötet. Das Kindermädchen der Familie hat das Kind mitgenommen und wird in Peking von einem jungen Mann erwischt. Sie schießt auf ihn.
In Deutschland wird Walther Seyferd als Sonderermittler des Auswärtigen Amtes einberufen. Zusammen mit dem überheblichen Professor Piscator soll er herausfinden, was es mit einem seltsamen Zeichen auf sich hat, das an verschiedenen Orten in Europa immer an einer Unglücksstelle auftauchte. Man befürchtet, dass auf die neu gebaute U-Bahn in der Hauptstadt ein Anschlag verübt werden soll denn auch dort wurde das Zeichen entdeckt.
Tatsächlich geschieht ein Unglück in der U-Bahn und die beiden grundverschiedenen Männer stoßen auf einen Albino, der eine tote Sprache spricht. Doch bevor sie ihn befragen können, wird er von einer anderen Gruppe Männern getötet.
Als Seyferd auf einer Landkarte erkennt, was es mit dem Zeichen auf sich hat und es Piscator tatsächlich gelingt, den Hintergrund zu ermitteln, überschlagen sich die Ereignisse. Ein Anschlag wird auf ihr Büro verübt, Piscator wird in eine Irrenanstalt verlegt, wo man ihn unter Drogen setzt und mundtot macht. Seyferd kann ihn befreien, aber sie verlieren damit nahezu jede Unterstützung und sind auf sich gestellt.
Währenddessen wird an einem geheimen Ort ein Mädchen getestet, das über nahezu irrsinnige Fähigkeiten verfügt – tödliche Fähigkeiten...
Die Geschichte beginnt mit einem Kracher im Prolog, geht dann aber eher behäbig weiter. Ein Ehepaar wird mit all seinen Macken und Hintergründen beschrieben, spielt dann aber keine Rolle mehr. Geschichtliche Gegebenheiten wirken am Anfang eher wie Infodump, zu viel rohe Information ohne Leben auf zu wenigen Seiten. Man wird nach dem ersten und auch dem zweiten Kapitel den Eindruck nicht los, es mit einem zweiten und dritten Prolog zu tun zu haben, auch wenn ein Happen Action darin ist.
Aber dann.
Dann legt der Roman richtig los und man legt ihn nicht mehr aus der Hand. Wer die ersten Kapitel durchhält, wird mit einer temporeichen, unheimlichen und nicht gerade zimperlichen Verschwörungsgeschichte um ein Mädchen mit außergewöhnlichen Fähigkeiten und verschiedenen Gruppen von Menschen mit unterschiedlichsten Zielen belohnt. All das ist spielt vor einem offensichtlich gut recherchierten Hintergrund im Deutschland der Jahrhundertwende, spart aber auch nicht mit Steampunk- und fantastischen Elementen.
Die Charaktere sind selbst in ihren Extremen glaubwürdig ausgearbeitet und auch der Hintergrund um die Unterwelt-Menschen entbehrt nicht der Logik. Das einzig Störende sind ein paar Passagen, in denen ein bisschen Lokalkolorit einfließen sollte, der aber ein wenig aufgesetzt wirkt und der Handlung weder dienlich noch irgendwie wichtig für sie ist (Der Treteimer im Hotel zum Beispiel). Als zeithistorisches Element sind sie nette Anekdoten, könnten aber auch genauso gut weg bleiben.
Der Siegerroman einer Ausschreibung des Onlinemagazins geisterspiegel.de ist als Hardcoverausgabe ein Hingucker. Da aber der Buchblock fest mit dem Rücken verklebt ist (wie bei einem Taschenbuch) muss man es sehr weit aufdrücken, weil das Layout nur sehr schmale Ränder hat. Ein paar Seiten im Buchblock mehr hätten der Optik und der Lesefreundlichkeit gutgetan. Eine etwas auffälligerer Titelfont auch.
Fazit:
Andreas Zwengel hat einen wirklich rasanten Roman geschaffen, der sich nicht vor den großen Namen verstecken braucht.
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