Drei Zeichen sind ein Wort (Autorin: Waldtraut Lewin)
 
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Drei Zeichen sind ein Wort von Waldtraut Lewin

Rezension von Chris Schlicht

 

Die 16-jährige Berlinerin Leonie lebt mit ihrem arbeitslosen Vater im Berlin der 20er Jahre. Galoppierender Geldwertverfall, hohe Arbeitslosigkeit und dementsprechende Armut prägen diese Zeit. Unbekannte Verwandte laden das theaterverliebte Mädchen nach Frankreich ein. Eine Einladung, die ihre nationalistisch denkender Vater nur zu gern abgelehnt hätte, doch er kann seiner Tochter den Wunsch nicht abschlagen, diese Einladung anzunehmen. Eigentlich kann er ihr überhaupt nichts verwehren, denn sie ist alles, was ihm noch geblieben ist.

So macht sich Leonie auf die Reise zum „Erbfeind“, der die Reise auch gleich mit Devisen bezahlt hatte. Doch nicht nur die Tatsache, dass es Franzosen sind, zu denen Leonie fährt, bereitet ihrem geliebten Vater Sorgen, er hat auch noch ein anderes Geheimnis.

In den Pyrenäen, wo Leonies Urgroßeltern in einem kleinen Schlösschen leben fühlt sich Leonie heimischer, als sie es erwartet hatte, denn vieles ist ihr von zuhause vertraut, nicht nur das Essen, von dem sie glaubte, es seien Kreationen ihres Vaters, der ein sehr guter Koch ist und in noblen Hotels gearbeitet hatte. Von ihrer Urgroßmutter erfährt sie, dass die Laskers eine jüdische Familie sind, die in allen Teilen Europas verstreut lebt. Isabelle Laskère hat eine Vision: Großes Leid wird über die europäischen Juden kommen. Nur die Wiedererweckung des Golem könne dieses Leid abwenden. Leonie bekommt es mit der Angst zu tun, sie hält ihre Verwandte für eine Irre und will sofort abreisen, doch der Ehemann Isabelles kann sie dazu überreden, noch zu bleiben, indem er ihr von Isabelles Geschichte erzählt. Von ihre drei Brüdern, welche die Hüter dreier Buchstaben aus Gold waren, sich jedoch hoffnungslos zerstritten und in alle Winde verstreuten. Mit den Buchstaben, deren mystische Bedeutung nur Isabelle erfassen konnte. Diese drei goldenen Buchstaben, die sich seit Jahrhunderten im Besitz der Laskers befinden, müssen wieder zusammenkommen und an der Stirn des Golem befestigt werden. Wie zuletzt im mittelalterlichen Prag.

Diese drei Buchstaben bilden zusammen das hebräische Wort „Emeth“ – Wahrheit. Die Familien von Isabelles Brüdern leben in Berlin, Wien und Spanien. Leonie soll die Brüder oder deren Erben finden und die Buchstaben zusammenführen. Leonie willigt zögernd ein.

Doch die Familienzweige sind verfeindet und Leonie muss feststellen, dass sie von ihrem deutschnational gesinnten, zum Christentum konvertierten Vater keine Hilfe erwarten kann. Sie ergattert unerkannt eine Anstellung am Theater ihrer jüdischen Verwandten im Berliner Scheunenviertel. Damit erfüllt sie sich auch selbst einen Traum – am Theater zu arbeiten. Die Laskers waren schon immer Künstler, sei es in Schauspiel, Musik oder Kochkunst. Es gelingt ihr, das Vertrauen der Laskarows zu gewinnen. Ihrem Cousin Schlomo, dem Heldendarsteller des Theaters ihrer Verwandten, in den sie sich verliebt, vertraut sie sich schließlich an und er verspricht zu helfen.

Doch die Zeiten ändern sich und mit dem ersten Putsch Hitlers in München wird das Leben für Juden in Deutschland gefährlich, der Mob macht Jagd auf Juden und Schlomo wird bedroht. Schließlich brennt das Theater.

Leonie findet den ersten Buchstaben, doch um welchen Preis...

 

Waldtraut Lewin entwirft mit diesem ersten Teil ein detailliertes Panorama des Europa in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts und lässt den Leser eine großartige Liebesgeschichte in unheilvoller Zeit miterleben. Ohne Kitsch und Schmalz, aber trotzdem mit viel Gefühl. Es gelingt ihr, glaubhaft die Gestalt der Leonie durch diese Geschichte zu führen, sich in ihre Person hineinzuversetzen und die Geschehnisse aus der Sicht einer jungen Frau zu beschreiben. Die Schauplätze Berlin und Südfrankreich sind nicht minder spannend und werden sehr anschaulich beschrieben. Wer kennt heute noch das Leben in der damaligen Zeit? Selbst wenn es im Detail nicht ganz stimmig sein sollte, es wirkt hervorragend recherchiert und wird verständlich vermittelt, auch die Verhältnisse der Menschen zueinander, speziell die Animositäten zwischen Franzosen und Deutschen nach dem entsetzlichen ersten Weltkrieg.

Diejenigen, die es erreichen müsste, werden es vermutlich nicht lesen, leider, aber für diejenigen, die es erreichen kann, ist es eine spannende, leidenschaftliche und mitreißende Geschichte, die viel Aufschluss über die damalige Zeit und ihre Wirrungen gibt. Lokalkolorit und Kultur wird in eine flüssig zu lesende Geschichte eingebunden, die über die Geschichte, Riten und den Glauben der jüdischen Gesellschaft aufklärt, ohne belehren zu wollen. Wie Leonie erfährt der Leser die Hintergründe jüdischer Mystik, verständlich erklärt. Zum Beispiel die Bedeutung von hebräischen Buchstaben und ihren Zahlenwerten und der Bedeutung der Kabbala.

 

Wichtiges Hintergrundwissen über eine unheilvolle Zeit wird vermittelt, auch die ganzen Hintergründe, welche es einem Mann wie Hitler später ermöglichte, die Deutschen für sich einzunehmen – Armut, Arbeitslosigkeit, tief verwurzelte Abneigung gegen die scheinbar ewigen Sieger, die gefühlten Demütigungen, ohne das eine Wertung mit einfließt oder man sich wieder einmal vom Geschichtsunterricht gelangweilt fühlt.

 

Die Wechsel in der Erzählperspektive, mal die eines Dritten, eines Erzählers, mal die von Leonie in der Ich-Form, verwirren nur ganz am Anfang. Nach einem Kapitel ist auch diese Überraschung im Lesefluss eingegangen, denn es geschieht fast filmisch und hilft, Leonies Reaktionen und Gefühle in der gegebenen Situation besser zu verstehen und richtig mitzufühlen.

 

Die Suche nach den anderen beiden Buchstaben wird mit Spannung erwartet. Ein sehr gutes, vielleicht sogar wichtiges Jugendbuch.

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Buch:

Drei Zeichen sind ein Wort

Autorin: Waldtraut Lewin

Cbj, Februar 2007

Gebundene Ausgabe, 420 Seiten

 

ISBN-10: 3570130789

ISBN-13: 978-3570130780

 

Erhältlich bei: Amazon


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Erstellt: 18.05.2007, zuletzt aktualisiert: 18.04.2024 09:19, 3898