Auf den Autor Thomas Olde Heuvelt wurde ich über Umwege aufmerksam. Das war im Jahr 2019 in Dublin auf dem Science-Fiction-WeltCon. Dort habe ich eine Diskussionsrunde mit dem Titel Horror: Where Are We Going? besucht, dessen Podium über neue Trends in der Horrorliteratur konferierte.
Im Publikum saß ein Niederländer, der sich gemeldet hat, als man über Heuvelts Roman Hex diskutierte und diesen als Lesetipp empfahl. Er würde den Autor persönlich kennen und hätte auch schon dessen neusten Roman gelesen. Dieser wäre verdammt gut, besser als »Hex«.
Also machte ich mir Notizen und besorgte mir wenig später »Hex«, der auf Deutsch ebenso bei Heyne erschienen ist wie nun der neue Roman Echo. Das Werk aus dem Jahr 2016 bedeutete den internationalen Durchbruch für den 1983 geborenen Heuvelt und setzte die Messlatte wirklich enorm hoch. Zwar hatte der Niederländer zuvor den Hugo Award 2015 für The Day the World Turned Upside Down in der Kategorie »Beste Erzählung« gewonnen, aber die Reichweite seiner davor geschriebenen Romane kam nicht sonderlich weit über die Grenzen seines kleinen Heimatlandes hinaus.
Für die englischsprachige Ausgabe hatte Heuvelt »Hex« neu geschrieben und den Handlungsort in das fiktive Städtchen Black Spring im US-Bundesstaat New York umgesiedelt. Und nicht nur das: Er hatte auch das Ende völlig neugestaltet. Die Geschichte der Einwohner von Black Spring, die seit 300 Jahren von einer alten Hexe terrorisiert werden, da diese von ihren Vorfahren auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden war, ist wirklich spannend und unterhaltsam und kann als Highlight der Horrorliteratur der 2010er Jahre gewertet werden.
An dem Nachfolger schrieb Heuvelt einige Jahre. Das Buch musste mehrfach verschoben werden, einfach, weil der Niederländer zum Teil mit den hohen Erwartungen und einer Art Schreibblockade zu kämpfen hatte. Rund vier Jahre später liegt »Echo« vor. Mit 720 Seiten ein mächtiger Wälzer. Man möchte fast sagen: So imposant wie die Berge, in denen er spielt.
Die Geschichte handelt vom homosexuellen Paar Sam Avery und Nick Grevers, die ziemlich gut aussehen und völlig verliebt sind. Sam ist US-Amerikaner und eher der oberflächliche Typ. Sam ist Niederländer, mit einer besonderen Liebe zum Bergsteigen ausgestattet. Hier gibt es wohl Parallelen zum Autor Heuvelt, denn dieser ist ebenfalls Niederländer, hat Bergsteigen zum Hobby und ist schwul.
Nach einem etwas längeren Prolog, präsentiert sich die Situation wie folgt: Nick war mit seinem deutschen Kumpel Augustin in den französisch-schweizer Alpen unterwegs. Sie wollten einen Gipfel besteigen, den es offiziell gar nicht gibt, den sogenannten Le Maudit. (Wer des Französischen nicht mächtig ist, das steht für verdammt, verflucht oder auch unheilvoll.)
Nick und Augustin erleben dort oben, hoch in den Bergen, das Grauen. Was genau passiert ist, bleibt rätselhaft. Augustin ist verschollen, höchstwahrscheinlich tot. Nick ist besonders im Gesicht so dermaßen entstellt, dass er mehrfach operiert wird und wochenlang einen Verband wie eine Mumie tragen muss.
Die Liebe zwischen Sam und Nick wird auf eine harte Probe gestellt, denn gerade Sam ist eher der oberflächliche Typ, der viel auf Aussehen, Partys, Sex und Reichtum gibt. Die ewige Liebe, die sich die beiden geschworen hatten, wird auf eine harte Probe gestellt. Nick scheint von etwas Unheimlichen besessen zu sein. Es wirkt, als hätte der Maudit in manchen Situationen von ihm Besitz ergriffen.
Der Roman, dessen Autor als »neuer Stephen King« vermarktet wird, ist definitiv ein paar hundert Seiten zu lang. Während sich auf den ersten 200 Seiten durchaus eine packende Story entrollt, kommt der Erzählmotor danach ganz schön ins Stottern. Die Handlung, die zur Hälfte in Rückblenden in Form von Nicks Aufzeichnungen erzählt wird, erreicht phasenweise die Viskosität von altem Honig. Heuvelt ergießt sich mitunter in seitenlangen Selbstreflexionen seiner Protagonisten, sodass der Plot sich kaum weiterentwickelt. Statt fesselndem Horror kommt gähnende Langeweile auf.
Wirklich gruselig ist »Echo« manchmal dort, wo es nervt. Der Amerikaner Sam verwendet so viele Anglizismen oder einfach englischsprachige Begriffe, dass das Ergebnis ein Wortgeschwurbel ist, welches den guten Willen beim Lesen ganz schön strapaziert. Nur zwei Beispiele des strapaziösen Denglischs, dass immer schön in kursiv geschrieben ist: »Ich war voller Angst, conspiracy-theory-haft voller Angst«. »Es musste Notwehr gewesen sein. Der Beweis war in your face. Like, literally. Aus irgendwelchen Gründen war die Sache da oben grauenhaft aus dem Ruder gelaufen, cabin fever, Höhenwahn, whatever.«
Das geht alle paar Seiten so, wenn aus Sams Perspektive geschrieben wird. Mitunter wird auch munter »gehashtagt«, als wären wir bei Facebook und Twitter. Aber natürlich kann man dies auch als individuellen und modernen Stil durchwinken, denn Sam spricht und denkt einfach so. Und so wirkt er besonders authentisch. #loveyouall.
Auf dem Buchrücken wird der Autor Ronald Malfi zitiert mit den Worten: »Echo raubt dir den Atem und lässt dir das Blut in den Adern gefrieren.« Das trifft vielleicht auf Flachlandtiroler oder Leute, die weit weg von den Bergen wohnen, zu. Auf mich, als jemand, der zwischen Schwarzwald und den Schweizer Bergen wohnt und dem Ruf der Berge schon mehr als einmal gefolgt ist, hat das Buch ganz und gar nicht gruselig gewirkt. Und der Schluss, die Auflösung, ist auch eher so mittel.
Dabei hat sich Heuvelt ziemlich bemüht. Wie um sich zu rechtfertigen, dass er sich in der großen, weiten Welt des Schauders auskennt, leitet er jedes größere Kapitel mit einem Zitat aus der Horrorliteratur ein: Das Böse kommt auf leisen Sohlen (Ray Bradbury), Der Unsichtbare (H. G. Wells), Logbuch der Demeter (Bram Stoker), Spuk in Hill House (Shirley Jackson), Die Legende von Sleepy Hollow (Washington Irving) und viele andere mehr.
In diesem verneigenden Zitatereigen darf H. P. Lovecraft nicht fehlen, der gleich mehr als einmal zitiert wird. Natürlich aus Berge den Wahnsinns, einer Geschichte, mit der Lovecraft schon in den 1930er Jahren bewiesen hat, dass Berge auch etwas tief Unheimliches haben können. Nur hat Lovecraft für diesen Effekt nicht so viele Worte benötigt wie Heuvelt.