Ein Pyrenäenbuch von Kurt Tucholsky
Rezension von Ralf Steinberg
Verlagsinfo:
Mehr noch als die bizarre Schönheit der Pyrenäen faszinierten Tucholsky ihre Bewohner und ihre Kultur. Seine Aufzeichnungen sind lebendige und humorvolle Impressionen seiner Begegnungen und Erlebnisse, geistreiche Reflexionen über Alltagssituationen – auch für heutige Leser und Reisende ein besonderer Begleiter.
Rezension:
Kurt Tucholsky gehörte zu den bedeutendsten deutschen Journalisten des 20. Jahrhunderts. Seine Artikel für die Weltbühne galten politischen Themen ebenso wie künstlerischen und obwohl er sich räumlich von Deutschland immer mehr entfernte, blieb er bis zu seinem Tod stark an seinem Heimatland interessiert.
Dies ist auch in seinem Pyrenäenbuch zu spüren.
1925 machte sich der 35 Jährige Wahlpariser auf, eine kleine Reise durch das Baskenland und die Pyrenäen anzutreten. Dafür musste er sich zunächst einen »Beichtzettel« beschaffen, wie er die notwendigen Einträge im Reisepass titulierte. Immerhin liegt in den Pyrenäen die Grenze zwischen Spanien und Frankreich und auch ein Abstecher nach Andorra stand auf dem Plan.
Start der Reise war Bayonne. Das französische Städtchen an der Atlantikküste forderte dem Pazifisten Tucholsky einiges ab. Nicht nur das Bajonett stammt von dort, auch Stierkampf wurde zu seiner Zeit noch aktiv betrieben. Während heute dabei kein Tier mehr sterben muss, beschreibt Tucholsky den blutigen und vor allem mitleidslosen Schlachtprozess mit überdeutlicher Detailtreue. Dabei stupst er seine Leserschaft nicht nur tief in das Leid der Tiere, er fragt sie auch zugleich, wieweit sich derartige sadistische Kulte mit der Religion vertragen.
Religionskritik gibt es ebenfalls bei seinem Besuch in Lourdes. Im längsten Abschnitt des Buches seziert er Wunderheilung und religiöse Abverkäufe. Sein ätzender Spott richtet sich dabei weniger gegen die Opfer und gläubigen Menschen, sondern gegen die Institutionalisierung und Ausbeutung ihrer Leichtgläubigkeit.
Mit wenigen Bildern und kurzen Beschreibungen ersetzt Tucholsky die fehlenden Fotografien, die heute Reportagen illustrieren. Fast wie ein Radioreporter führt er durch die Orte und Landschaften der Region. Er legte großen Wert darauf, seine Beschreibungen neutral zu halten. Erst wenn es um Menschen und ihre Tätigkeiten geht, wird es emotional, etwa wenn er anlässlich seines Besuches von Saint-Jean-Pied-de-Port über die Basken und ihre Leidenschaft für das Pelote-Spiel berichtet.
Aber selbst die mitreißende Spielreportage reichert Tucholsky mit Spitzen auf deutsche Wissenschaft an und lässt es sich auch nicht nehmen, freundlich nach Deutschland zu winken um befreundete Dichter zu grüßen.
Amüsant ist seine Einschätzung, französische Autofahrer seien besonders rücksichtsvoll und auch seine katastrophale Talwanderung reizt zu einem Schmunzeln. Dieses Kapitel inszeniert er als larmoyanten Brief an seinen Freund Jakopp, dem Kosenamen für Hans Fritsch, den er ebenso wie den Karlchen genannten Erich Danehl später auch in Schloß Gripsholm ein literarisches Denkmal setzte.
Melancholisch, aber mit feiner Ironie beschreibt er die morbide Leere verlassener Kurorte und nutzt den Anblick französischer Wahlplakate, sich mit den Befindlichkeiten der Demokratie zu befassen. Man fühlt die Fragen hinter diesen Beobachtungen. Frankreichs diverse Erfahrungen mit Republiken standen den wenigen Jahren der Weimarer Republik gegenüber und Tucholsky sah die Entwicklung in Deutschland sehr kritisch.
Und natürlich kommt er auch auf den noch nahen Weltkrieg zu sprechen und die französische Art mit den Opfern und auch mit ihm, dem deutschen Besucher umzugehen. Wie Heinrich Heine musst sich auch Tucholsky mit dem Vorwurf auseinandersetzen, als Freund der Franzosen ein Vaterlandsverräter zu sein. Keine flapsiger Ton kann hier den Schmerz hinter den Worten verbergen.
Berührend ist auch seine Schilderung seines Besuchs in Albi, der Heimat von Henri de Toulouse-Lautrec. Er besuchte nicht nur eine regionale Ausstellung, sondern traf auch im Geburtshaus des Malers dessen Vetter und durfte die dort lagernden Arbeiten besichtigen. Höhepunkt ist der Besuch bei der Mutter des Künstlers in Toulouse, der zu einem herzzerreißend eindringlichen Beweis von Tucholskys Bewunderung wird.
Zum Abschluss bedankt sich Kurt Tucholsky bei seiner damaligen Wahlheimat Frankreich und bittet Paris um Entschuldigung, es beinahe langweilig gefunden zu haben. Er musste erst fort sein, um sich zu erinnern, was er an dieser Stadt hat.
Man sollte sich immer wieder die Zeit vor Augen halten, in der Tucholsky seine Reise unternahm. Die Wunden des ersten Weltkriegs waren noch nicht verheilt, das Erstarken nationalistischer Kräfte in Deutschland begann bereits. Tucholsky gehörte zu den ersten, deren Analyse das wahre Ausmaß der aufziehenden Nacht offenbarten. All jene Spuren finden sich bereits im »Pyrenäenbuch«. Und dem jungen Wanderer blieben danach nur noch zehn Lebensjahre.
Fazit:
Mit aufmerksamen Augen und spitzem Stift notierte Kurt Tucholsky in »Ein Pyrenäenbuch« seine Reiseerlebnisse im Baskenland und dem französischen Süden. Zwischen Stierkampfarena, alten Schmugglerpfaden und Pilgermassen bahnte sich der deutsche Politik- und Kulturkritiker seinen eigenen Weg durch die Pyrenäen. Eine kleine Zeitreise zu einem fast stillen Moment inmitten der großen Verwüstungsstürme des 20. Jahrhunderts.
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