Eine Versammlung von Krähen (Autor: Brian Keene)
 
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Eine Versammlung von Krähen von Brian Keene

Rezension von Torsten Scheib

 

Rezension:

»Brian Keene ist der neue Richard Laymon!«, lautete jene vollmundige Garantie, die der Heyne-Verlag Anno 2010 zur Veröffentlichung von Keenes Roman Totes Meer zum Besten gab; hübsch deutlich via Aufkleber auf dem Cover des Taschenbuchs. Solch ein Versprechen schafft natürlich Erwartungen. Nur: Brian Keene ist gewiss kein Richard Laymon – und umgekehrt. War Laymon zu Lebzeiten stets die bitterböse literarische Inkarnation der seligen B-Movies aus den Drive In- und Bahnhofskinos der 70er und 80er Jahre, sollte der Name Brian Keene – der ganz gewiss ein Laymon-Schüler war; mehr aber auch nicht – eigentlich für ehrlichen, harten, knackigen, spannenden und vor allem modernen Horror mit Tiefgang stehen. Eigentlich.

Doch gerade im deutschsprachigen Raum scheint sich ein Teil der horroraffinen Lesergemeinschaft mit Keenes Elaboraten schwer zu tun, respektive bewusst schwer zu tun. So wurde dem Autor unter anderem übertriebener US-Patriotismus und religiöse Propaganda vorgeworfen – aber eben dadurch die eigene Engstirnigkeit unterstrichen. Denn bereits in seiner Kurzgeschichtensammlung Angst vor dem Sturz und seinem Zombie-Meisterwerk Auferstehung bewies der Agnostiker Keene, dass er keineswegs ausschließlich mit rosaroter Brille von und über seine Landsleute erzählt, sondern zumeist sogar die hässlichen Seiten seines Heimatlandes ungeschönt wiederzugeben weiß beziehungsweise nicht selten die eigenen Ängste katalysiert. Etwa den Verlust des eigenen Kindes. Insofern rückt Keene allein schon deshalb von Laymon ab und näher zu einem anderen Titan: Stephen King.

Richtig gelesen. Denn auch King war und ist stets ein kritischer Beobachter seines Landes gewesen, der bewusst auch mal unschöne Fragen aufwirft. Und ähnlich wie bei Keene sind es zumeist die Schicksale der anständigen, hart arbeitenden Mittelschicht, die bei Keene in den Fokus rücken. Gut möglich, dass die Laymon-Fans deswegen ein bisschen … enttäuscht waren und von ihm abgerückt sind. Oder einfach nur weiterhin Zombie-Reißer von ihm lesen wollten. Was für einen Brian Keene sicherlich kein Problem wäre – stünde ihm nicht gottlob die eigene schriftstellerische Entwicklung im Weg.

Das Keene nun bei Festa gelandet ist, kann man von daher nur als begrüßenswert erachten. Da kommt zusammen, was zusammengehört. Experten unter sich, gewissermaßen. Ohne reißerische Aufkleber und ähnlichen unsinnigen Schnickschnack.

 

Mit Eine Versammlung von Krähen veröffentlicht der Festa-Verlag zudem nicht nur irgendeinen Keene-Roman, sondern einen seiner besten. Das Werk eines gereiften Autors, der mit Verve zu unterhalten weiß – und darüber hinaus.

Dass sich das fleischgewordene Böse auf leisen Sohlen ihrer Heimatstadt nähert, davon ahnen die Bewohner der Kleinstadt Brinkley Springs nichts. Sie plagen andere Sorgen. Krankheiten, Beziehungsstress. Die harten Nachbeben von Rezession und Wirtschaftskrise, die ihr einstmals beschauliches Städtchen mit voller Härte getroffen haben und ganz gewiss in nächster Zukunft Sorge tragen werden, dass Brinkley Springs zur Geisterstadt verkommt …

Bis fünf dunkle Gestalten den Ort für ihr teuflisches Treiben auserkoren haben. Dämonische Entitäten, die zur Stärkung menschliche Seelen benötigen; mariniert in Furcht und Entsetzen. Was mit dem zeitgleichen Ausfall der Strom- und Telefonnetze seinen Anfang nimmt, findet seine Fortsetzung in fahruntauglichen PKWs und anderen Vehikeln, gekrönt von einer Art unsichtbarer Energiebarriere, die den Ort umschlossen hat. Keiner kommt rein – und gewiss gelangt auch niemand nach draußen. Oder wird diese Nacht überleben. Ein Versprechen, welches das sinistre Quintett mit erbarmungsloser Präzision einzuhalten gedenkt; völlig gleich, ob es sich bei den Opfern um Menschen oder Tiere handelt.

Nicht lange, und die ersten Schreie erfüllen die Nacht. Gefolgt von Schüssen, Explosionen. Chaos, Wahnsinn und der Tod erfüllen mit einem Mal die Straßen von Brinkley Springs. Verängstigt suchen Männer, Frauen und Kinder Unterschlupf vor … ja vor was eigentlich? Oder wem? Prompt gesellt sich ein weiterer, unsichtbarer Feind hinzu: die eigene Paranoia. Handelt es sich etwa um einen Terroranschlag? Um einen elektromagnetischen Impuls? Oder war es letztlich doch der eigene Nachbar, den man ja insgeheim schon immer im Verdacht gehabt hatte?

Bis das Erscheinen der Männer in Schwarz schließlich doch die Runde macht – und die Aufmerksamkeit eines ganz besonderen Menschen erregt: Levi Stoltzfus. Einstmals Angehöriger der Amish und nun eine Art umher reisender Einzelkämpfer in Sachen okkulter Erscheinungen. Ganz gleich, ob es nur der Zufall oder letzten Endes doch Gottes Wille war, der ihn hierher geführt hat: er ist der richtige Mann am richtigen Ort. Aber ist er auch diesen mächtigen Gegnern gewachsen? Gemeinsam mit dem desillusionierten Ex-Soldaten Donny Osborne will er es herausfinden …

 

Eine »Versammlung von Krähen« ist ein bemerkenswerter Roman. Gar nicht mal so sehr ob der durchaus bekannten Versatzstücke – die von Keene mit großer Expertise eingebracht werden und niemals als plumpe Kopien durchgehen –, sondern vielmehr weil es sich hierbei nicht einfach »nur« um einen weiteren Horrorroman handelt. In seinen besten Momenten – und davon gibt es reichlich! – überzeugt die »Versammlung« auch als ungetrübte, ungeschöntes Sinnbild auf die USA nach 9/11 und der Weltwirtschaftskrise mit deutlicher Kritik an den politischen Ausrichtungen eines George W. Bush und auch eines Barrack Obama, die vor allem den kleinen Mann von der Straße hart getroffen haben. Und nicht nur den, wie der Irak-Heimkehrer Donny beweist. Glaubwürdig und authentisch wird der junge Mann binnen kürzester Zeit vorm geistigen Auge des Lesers lebendig und dank der erlittenen Schicksalsschläge auch sympathisch. Gleiches lässt sich auch über das Gros vieler weiterer Haupt- und Nebenpersonen sagen. Nicht nur, dass Keene ein untrügliches Gespür für „echte“ und nicht aufgesetzte Dialoge hat, sind es mitunter gerade die, gerne auch schon mal skurril ausgefallenen Details, die zur Glaubwürdigkeit beitragen – und die es durchaus mit einem Stephen K. aufnehmen können. Aber auch in jenen Augenblicken, in denen Angst und Unwissenheit in den Köpfen der Einwohner von Brinkley Springs herumgeistern, erzeugt Keene ein bemerkenswertes Stimmungsbild, welches eben nicht nur den Gemütszustand einer Kleinstadt, sondern eines ganzen Landes zeigt: von Angst und Furcht geprägte Panik, die nicht selten in Gewalt umschlägt; auch mal gegenüber den eigenen Landsleuten. Besonders, wenn sie eine andere Konfession oder Hautfarbe besitzen. Vorurteile, denen auch der »Held« des Buches, Levi Stoltzfus, immer wieder begegnet und sie mittels Humor, Charme, Intelligenz, Mut und Tatendrang beiseite fegt und damit obendrein auch ewig gestriges Schubladendenken. Mit Stoltzfus hat Keene einen genauso untypischen wie ungemein originellen Charakter erschaffen, der hoffentlich auch in kommenden Werken Keenes eine tragende Rolle einnehmen wird. Spätestens nachdem man Stoltzfus’ tragische, wenngleich oftmals auch nur andeutungsweise geschilderte Vorgeschichte erfahren hat, dominiert jedenfalls die Lust nach mehr …

 

Was auch für andere Querverweise (auf frühere Romane und Kurzgeschichten) und Anspielungen gilt, die nicht wahllos hineingestreut wurden; oh nein. Altfans wissen: bei Keene laufen die mitunter interdimensionalen Geschehnisse auf ein sehr großes Ganzes zusammen – den »Labyrinth«-Mythos. Man darf also gespannt sein.

Was bleibt unterm Strich? Ganz großes (Horror-)Kino, vorgetragen von einem der besten Genrevertreter der Gegenwart.

 

Fazit:

Spannend, unheimlich, rasant, mit Ecken und Kanten sowie dem nötigen Schuss Härte – so und nicht anders hat moderner, überzeugender Horror mit Tiefgang zu sein! Mit »Eine Versammlung von Krähen« hat der Festa-Verlag zweifellos eines der stärksten Keene-Romane der deutschen Leserschaft zugänglich gemacht; ein kleines Meisterwerk ohne Längen, aber dafür mit sehr viel Kurzweil.

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Buch:

Eine Versammlung von Krähen

Original: A Gathering of Crows, 2010

Autor: Brian Keene

Übersetzer: Michael Krug

Taschenbuch, 384 Seiten

Festa-Verlag, 16. Mai 2013

 

ISBN-10: 3865522068

ISBN-13: 978-3865522061

 

Erhältlich bei: Amazon

 

Kindle-ASIN: B00CS8XCVQ

 

Erhältlich bei: Amazon Kindle-Edition

Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 20240420112007ab5b063d
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Erstellt: 21.09.2013, zuletzt aktualisiert: 25.07.2022 18:56, 13258