Eines Menschen Flügel (Autor: Andreas Eschbach)
 
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Eines Menschen Flügel von Andreas Eschbach

Rezension von Matthias Hofmann

 

Seit 2014 erscheint alle zwei Jahre ein neuer Roman von Andreas Eschbach. Am 30. September 2020 war es wieder soweit. Und seine zahlreichen Fans, sowie alle, die sich für Science-Fiction-Literatur aus deutschen Landen interessieren, waren gespannt, was sich der geborene Ulmer denn diesmal überlegt hatte.

 

Eschbachs bisheriges Œuvre ist durchaus vielseitig. Nicht alles ist zur Fantastik zu zählen und der versierte Schriftsteller hat auch keine Berührungsängste zu Heftromanserien wie Perry Rhodan, die er in jungen Jahren als Heranwachsender mit großem Interesse verschlungen hat. Seine Romankarriere begann im Jahr 1995 mit Der Haarteppichknüpfer und ging bis NSA – Nationales Sicherheits-Amt, dem zuletzt erschienenen Werk von 2018. Und nun das gewichtige Buch mit dem Titel Eines Menschen Flügel. Und schwer ist es allemal, denn bei einem mehr als 1250 Seiten umfassenden Hardcover kann man durchaus die in solchen Fällen immer gerne genommenen Vergleiche mit Türstoppern und Mauerziegelsteinen bemühen. Was für ein Wälzer. Er fühlt sich mit seinem dünnen Papier fast wie eine Bibel an.

 

Um eine Schöpfungsgeschichte im weitesten Sinne geht es auch bei »Eines Menschen Flügel«. Da ist diese Welt, bevölkert von Menschen, die fliegen können wie Vögel. Die Legenden besagen, dass ihre Vorfahren, die Ahnen, einst auf diesem Planeten landeten und nachfolgende Generationen gentechnisch veränderten, indem sie ihnen die Flügel von Pfeilfalken, den größten fliegenden Vögeln, implantierten. Es war dringend nötig, dass die Menschen fliegen können, denn unter der Erde lauert eine Gefahr namens Margor, die alle mit Haut und Haaren (oder Federn) verschlingt, die einen Fuß auf den Erdboden setzen. Nur über Wasser, im Gebirge und in der Luft ist man wirklich sicher, wenngleich es einige neutrale Stellen gibt, die aber nur sogenannte »Margorspürer« ausfindig machen können.

 

Das war vor über tausend Jahren. Inzwischen leben sie in großen, weit verzweigten Bäumen in diversen Sippen und es gibt nicht nur keinen technischen Fortschritt, sondern sogar das Verbot von Erfindungen wie Maschinen, die einen technischen Fortschritt bedeuten würden.

 

Die eigentliche Geschichte beginnt, als einer ausschert und sich für den Himmel, und was sich dahinter befinden könnte, interessiert. Schon als Kind fragte Owen: »Was sind die Sterne?«. Er ist besessen von der Idee, so hoch zu fliegen bis er die Wolkendecke durchstößt und herauszufinden, was dahinter liegt. Eines Tages schafft er es, und stirbt fast dabei, doch niemand glaubt ihm.

 

Owen ist nur einer von gefühlt über hundert Charakteren, die Eschbach in seinem neusten Werk vorstellt. Auch nur einen Bruchteil davon aufzuzählen, würde den Platz einer herkömmlichen Rezension sprengen. Die Fülle der Figuren und Namen macht »Eines Menschen Flügel« zu einer Schwarte, die viel Aufmerksamkeit verlangt, selbst wenn es oftmals um ganz banale Dinge geht. Als Gag hat sich Eschbach nämlich einfallen lassen, dass alle Namen eines Stammes gleich enden. So heißen die Menschen aus dem Stamm der Wen dann auch Owen, Hekwen, Sarwen usw., während Menschen aus dem Stamm der Ris Namen tragen wie Eiris, Oris, Anaris, Eteris, etc. Wer mit dieser unfreiwilligen Hommage an die Nomenklatur von Asterix nichts anfangen kann, wird sich schon nach den ersten Kapiteln hilflos verwickeln und leichte Mühe haben, die einzelnen Charaktere auseinanderzuhalten. Zum Glück gibt es eine Landkarte in den Buch, die aufzeigt, welche Stämme es gibt und wo sie angesiedelt sind.

 

Wer sich davon nicht abschrecken lässt, kann eintauchen in diese vielschichtige Fantasy-Welt, die Eschbach bis ins kleinste Detail ausgearbeitet hat und dadurch selbst hirnrissige Ideen wie den mysteriösen Margor oder dass Menschen mit Flügeln in Nestern leben und in Kuhlen schlafen, irgendwie glaubhaft macht. Wobei: Es hat schon seinen Sinn, dass ein humanoider Körper eigentlich keine Flügel hat, denn beim Liegen auf dem Rücken sind große Flügel schlicht und ergreifend hinderlich und müssten recht schnell taub werden …

 

Die Handlung plätschert besonders in der ersten Hälfte gemächlich vor sich hin. Es passiert viel Geplänkel, aber doch zu wenig, um fürs große Ganze einen Spannungsbogen zu schaffen. Erst als die fortschreitende Handlung das Buch vom Fantasy- in einen Science-Fiction-Roman verwandelt, wird es richtig interessant. Bis dahin glaubt man sich stellenweise in einem schnulzigen Liebesroman der Young-Adult-Kategorie, denn viele Kapitel sind unglaublich geschwätzig. So manches Abenteuer der Protagonisten entpuppt sich als unnötiger Abstecher, den man als Leser nicht gebraucht hätte. Und durch das ständige Wechseln der Erzählperspektive gerät so manches Ereignis redundant, einfach weil bereits bekanntes noch einmal aus einem zweiten Blickwinkel geschildert oder rekapituliert wird.

 

Was das Werk rettet, ist der routinierte und unterhaltsame Schreibstil von Andreas Eschbach. Bei mehr als 1250 Seiten ist man jedoch mit dem Lesen ganz schön beschäftigt. Selbst wenn ein ganz normaler Leser, der tagsüber einem Beruf und darüber hinaus einen Privat- und Familienleben nachgeht, es schafft, im Schnitt 50 Seiten pro Tag zu lesen und keinen einzigen Tag Pause macht, so ist er gut 25 Tage mit dem Buch beschäftigt, also fast einen ganzen Monat.

 

Auch wenn »Eines Menschen Flügel« ein Roman ist, den man hätte besser um ein Drittel kürzen können, ohne dass die Leser etwas vermissen, oder ihn besser als Trilogie geschrieben und vermarktet hätte, möchte ich ihn den Leserinnen und Lesern empfehlen, die sehr gut ausgearbeitetes Worldbuilding lieben und auch die einen oder anderen ziemlich trivialen Rosamunde-Pilcher-eske Passagen aushalten. Flüssig zu lesen ist er allemal. Aber unter den Eschbach-Romanen eher im Mittelfeld anzusiedeln. Hoffen wir, dass der nächste Roman von Andreas Eschbach mehr zum Punkt kommt.

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Buch:

Eines Menschen Flügel

Autor: Andreas Eschbach

Titelillustration: Max Meinzold

Hardcover, 1258 Seiten

Lübbe, 30. September 2020

 

ISBN-10: 378572702X

ISBN-13: 978-3785727027

 

Erhältlich bei: Amazon

 

Kindle-ASIN: B087RHFWPH

 

Erhältlich bei: Amazon Kindle-Edition


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Erstellt: 25.01.2021, zuletzt aktualisiert: 17.08.2023 13:46, 19402