Essay: Das »Gschmäckle« bei Avatar
 
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Essay: Das »Gschmäckle« bei Avatar

Redakteur: Torsten Scheib

 

»Es wird wohl ein ganzes Weilchen dauern, bis man jemals wieder SO ETWAS im Kino bestaunen darf.«

Hatte noch jemand solche oder ähnliche Gedanken, als er oder sie damals, nach fast vier Stunden (oder mehr, falls es eine Pause gab) das lokale Kino verließ, nach dem Genuss von Peter Jacksons Herr der Ringe – Finale Die Rückkehr des Königs?

Aha, die ersten heben schon die Hände. Sehr schön.

Und wie habt ihr euch nach diesem Epos gefühlt? Zufrieden, glücklich oder einfach nur geplättet wie die Korsaren von Umbar, nachdem die Armee der Toten sie auf Briefmarkengröße gefaltet haben? (Ausgeschlossen sind all jene, die bereits vor der Vorstellung dem Drang der eigenen Blase nicht nachgekommen sind und zu spät bemerkt haben, dass der Streifen 193 Minuten lang ist und der Filmvorführer nicht im Traume daran gedacht hat, eine Unterbrechung einzubauen – allerdings wissen diejenigen seitdem wohl ganz genau, welche Qualen Théodens Männer auf den Schlachtfeldern durchzustehen hatten. Ist doch auch nicht schlecht.)

Gut möglich, dass es alle drei Emotionen zusammen gewesen waren. Und verständlich: „Die Rückkehr des Königs“ ist ja auch atemberaubend. Ein Epos, das Seinesgleichen sucht und nicht eine Millisekunde langweilig ist (okay, die vierzehn Schlussszenen – ich weiß …). Diese Aufnahmen! Diese Dramatik! Diese Monumentalität! Und das alles von einem Mann, der wenige Jahre zuvor mit Braindead eine einzigartige, absurde Splatterfun-Granate abgeliefert hatte, in der – bewiesenermaßen – pro Filmsekunde 20 Liter Filmblut verbraucht wurden!

(Okay, der „Braindead“-Verweis passt nicht wirklich hier rein, aber ich konnte nicht anders. Man möge mir verzeihen.)

Wann also würde man jemals wieder SO ETWAS im Kino bestaunen?

(Nicht „Braindead!!!“ Grmpf. Obwohl …)

Die Antwort: Rascher, als man damals womöglich gedacht hatte. Oder anders formuliert knappe fünf Jahre später.

AVATAR. Richtig.

Zwölf Jahre nach seinem letzten, „richtigen“ Spielfilm (Titanic) markierte dieser Streifen James Camerons fulminante Rückkehr und ist schon jetzt zu einem gewichtigen Eckpfeiler der Filmgeschichte geworden. Ach ja, und mit fast 2,5 Milliarden Dollar Einspielergebnis ist er – nach „Titanic“ – der finanziell erfolgreichste Film aller Zeiten und gleichzeitig der erste, der die magische 2 Milliarden Dollar-Schallmauer durchbrochen hat. Uwe Boll wird’s schwer haben in der Zukunft …

Das Schöne an „Avatar“: Man sieht ihm das Budget von grob geschätzten 237 Millionen Dollar (andere behaupten eher 300 Millionen; eine Vermutung, der ich mich übrigens anschließe) überdeutlich an. Da wurde geklotzt und nicht gekleckert. Und wer sich dieses visuelle Erlebnis zudem noch in 3D angeschaut bzw. erfahren hat, der wird diesen Kinobesuch unter Garantie nicht mehr so schnell vergessen.

Der eigene Geldbeutel übrigens auch nicht.

Versteht mich jetzt nicht falsch – ich habe schon damit gerechnet, für „Avatar“ ein wenig mehr hinblättern zu müssen. Der Film kratzt ja schon an der Drei Stunden-Länge, hat demnach also Überlänge. Meine Vermutung waren daher circa 10 Euro – letzten Endes waren es drei Euro mehr dank 3D und der dazugehörigen Brille.

Aber mal ganz ehrlich – wer von euch ist jemals zuvor in ein Lichtspielhaus gegangen und hat DREIZEHN EURO für einen Film hingeblättert? Und „Avatar“ mag noch so revolutionär und visuell atemberaubend sein; letztlich sind es doch nur bewegte Bilder, ist es nicht mehr und nicht weniger als ein, zugegebenermaßen, großartiger Science Fiction-Film.

Sicher, es wurde und wird gezahlt um der Vision eines brillanten Filmemachers und Vordenkers beizuwohnen und natürlich auch, um am nächsten Tag auf der Arbeit entweder den Kollegen von den sagenhaften Effekten vorschwärmen oder endlich mitreden zu können.

Aber ist deswegen ein Aufschlag von circa 52 Prozent gerechtfertigt?

Irgendwie hat die Avatar’sche Preispolitik doch schon etwas Dreistes. Da wird einem herzlich lächelnd die Pistole auf die Brust gelegt und wunderbar diplomatisch argumentiert, dass es eben „Avatar“ und nicht irgendein Film sei, für den man hier bleche. Oder zahlt man doch eher drauf, weil dem Filmstudio trotz allem die Flatter ob der Vorstellung ging, dass sich Camerons neuestes Machwerk womöglich doch nicht als profitabel herausstellen würde?

Irgendwie hat die ganze Geschichte etwas Ironisches. Im Kern dreht sich die Story von „Avatar“ um die rücksichtslose Ausbeutung eines Planeten durch ein skrupelloses Konsortium von der Erde, ehe sich die in Gleichklang mit der Natur lebenden Na’vi unter Anführung eines – terranischen! – Anführers zur Wehr setzen und die Ausbeuter in ihre Schranken weisen.

Schaut man sich den Gesichtsausdruck eines Familienvaters an, der mit seinen Liebsten gerade vor der Kinokasse steht, um für die nächste „Avatar“-Vorstellung zu zahlen, dann lassen sich gewisse Parallelen einfach nicht vermeiden. Der Gute weiß nämlich, dass er binnen weniger Minuten um gut und gerne 90 Euro erleichtert sein wird, sofern die Kleinen noch nach Popcorn, einer Cola oder einem Eis drängen. Was sie natürlich auch tun werden – und man es ihnen selbstverständlich nicht krumm nehmen kann.

Keine Ahnung, wie es anderswo ist; ob es in Berlin mehr Besserverdienende gibt oder in einer Stadt wie Köln die Lohntüten grundsätzlich praller gefüllt sind als anderswo. Und da Vergleiche eh müßig sind, bleibe ich bei dem Ort, den ich am besten kenne: Ludwigshafen (am Rhein, nicht am Bodensee).

Wir sind eine Arbeiterstadt. Die Menschen hier sind bodenständig und größtenteils der Mittelschicht zugehörig. Die wenigsten wurden mit einem goldenen Löffel im Mund geboren und geraten nicht selten ins Schwimmen, wenn es darum geht, finanziell über die Runden zu kommen. Und bei denen schmerzen besagte 90 Euro unter Garantie besonders schwer.

Aber interessiert das die Kinobetreiber? Hat man schon mal die Produzenten damit konfrontiert? Die Filmstudios? Oder James Cameron himself?

So weit mir bekannt ist, nicht. Und höchstwahrscheinlich wären die Antworten entweder ziemlich zurückhaltend ausgefallen oder gar nicht. Womöglich lehne ich mich jetzt ein wenig zu weit aus dem Fenster hinaus, wenn ich behaupte, dass der Filmindustrie die Sorgen und Nöte des kleinen Mannes schlichtweg scheißegal sind. Was zählt, ist das Geld.

Man könnte es auch Gier nennen.

Offenbar ist den Film-Mogulen der Begriff „Finanzkrise“ weniger ein Begriff. Stattdessen wird weiterhin gnadenlos an der Budget- und Werbeschraube gedreht, bis die Summen entweder schwindelerregend hoch oder nur noch grotesk oder sogar beides zusammen sind. Und der Kinobesucher darf hübsch draufzahlen, erhält aber – nicht immer, aber immer öfter – qualitativ nicht unbedingt das zurück, was er eigentlich erwartet hatte beziehungsweise was ihm zugestanden hätte.

Freilich kann man sich dagegen wehren. Man hat es hierzulande sogar schon einmal getan.

Erinnert sich jemand noch an das Schicksal von Ang Lees Hulk-Interpretation?

Dabei ist der Film eigentlich gar nicht mal soo schlecht. Doch der Verleih hatte sich einen ganz besonderen Deal ausgedacht: Wer im darauf folgenden Jahr für den damals noch in der Produktion befindlichen Van Helsing lediglich 55 Prozent Leihmieten (also jener Anteil, der pro verkauftem Ticket an den Verleih abgedrückt werden muss) zahlen will, der kriegt den „Hulk“ ebenfalls zu vergünstigten Konditionen. Klingt toll, oder? Die Kinobetreiber waren da allerdings anderer Meinung. Verständlicherweise, da a) die 55 Prozent Leihmiete deutlich über dem Standardsatz lagen und man b) traurigerweise kein Wahrsager auftreiben war, der eine hundertprozentige Aussage darüber machen konnte, ob „Van Helsing“ denn wirklich ein Erfolg werden würde oder nicht.

Das Ende vom Lied dürfte klar sein: Viele Kinos verzichteten auf den „Hulk“ und in jenen Kinos, in denen der „Hulk“ gezeigt wurde (zu verteuerten Preisen natürlich) blieben die Säle häufig leer.

(Außerdem wurde „Van Helsing“ tatsächlich ein Jahr später auf die ahnungslose Menschheit losgelassen … und der UN-Sicherheitsrat tat nix dagegen!)

Wenn Kinder mit Feuer spielen und sich verbrennen, dann lernen sie in den meisten Fällen aus dieser schmerzhaften Lektion. Als UIP mit dem „Hulk“ richtig böse auf die Fresse fiel, hätte man auch davon ausgehen können, dass man dort den Wink verstanden hätte (und nicht nur dort). Doch offenbar ist dem nicht so. Stattdessen – siehe oben.

Logisch, der gemeine Kinogänger hat auch bei „Avatar“ die Wahl. Ansehen und ordentlich draufzahlen – oder durch Abwesenheit glänzen. Aber sagt das mal einem Vater von drei Kindern oder eurem Kumpel mit der quengelnden Freundin. Die haben praktisch keine andere Wahl, als diese relativ bittere Pille zu schlucken, auch wenn der Film – anders als 2012 und Konsorten – sämtliche Anforderungen erfüllt oder gar übertrifft.

Und dank der Tatsache, dass „Avatar“ richtig Kohle gebracht hat und damit der Testlauf in 3D gewissermaßen erfolgreich verlaufen ist, könnte es durchaus möglich sein, schon sehr bald auch mal 16 Euro an der Kinokasse hinlegen zu müssen.

Oder 20. Oder …

Die weltweiten Finanzmärkte haben für das „Platzen der Spekulationsblase“ zahlen müssen (und nicht nur die). Die Blase von Hollywood nähert sich sehr schnell einem ähnlichen Niveau – und vielleicht genügt schon ein Flop oder das Fernbleiben von Kinogängern, um auch sie zum Platzen zu bringen. Denn ganz so wehrlos wie womöglich angenommen, sind wir, die Konsumenten nicht immer.

Was trotzdem jedoch nichts an der Tatsache ändert, dass „Avatar“ ein echtes – aber eben auch nicht gerade preisgünstiges – Erlebnis ist.

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Avatar - Aufbruch nach Pandora

USA/GB 2009

Regie: James Cameron

Laufzeit 162 Minuten

Musik: James Horner

Twentieth Century Fox, 31. Dezember 2010

 

ASIN: B00332G54M

 

Erhältlich bei: Amazon

DarstellerInnen:

  • Sam Worthington

  • Zoe Saldana

  • Sigourney Weaver

  • Stephen Lang

  • Joel Moore

  • Giovanni Ribisi

  • Michelle Rodriguez

  • Laz Alonso

  • Wes Studi

  • CCH Pounder

  • Dileep Rao

  • Matt Gerald

  • Sean Anthony Moran


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Erstellt: 10.03.2010, zuletzt aktualisiert: 31.05.2022 08:09, 10187