Existenz (Autor: David Brin)
 
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Existenz von David Brin

Rezension von Ralf Steinberg

 

Verlagsinfo:

Es gibt Milliarden von Planeten im Universum, auf denen Leben möglich ist. Sogar intelligentes Leben. Aber wo ist dieses Leben? Machen Zivilisationen immer wieder dieselben Fehler? Und wie ist es mit unserer Zivilisation? Als im Orbit merkwürdige Kristalle entdeckt werden, die auf außerirdisches Leben hindeuten, werden all diese Fragen plötzlich akut: Denn wenn es einer Spezies gelungen ist, so lange zu überleben, könnte es ihr auch gelungen sein, das Geheimnis unserer Existenz zu lüften. Das Geheimnis, warum es etwas gibt und nicht nichts. Und dann stellt sich eine weitere Frage: Welche Macht verleiht uns dieses Wissen?

 

Rezension:

David Brin wählte den Titel Existenz für seinen 2012 erschienenen Roman mit voller Absicht. Denn es geht in jeglicher Hinsicht um die Existenz. Der Titel verspricht einen Rundumschlag und liefert ihn auch.

Wenn man David Brin darüber reden hört, wird erst so richtig deutlich, dass ihn die in »Existenz« behandelten Themen auch weiter intensiv beschäftigen. Umso erstaunlicher ist es, dass er das in einen Roman unterbringen konnte, der trotz des immensen Umfanges fast durchgängig spannend bleibt.

 

Natürlich sollte man sich grundsätzlich für die ganz großen Themen interessieren. Und davon hat der Roman jede Menge und sie verschlingen sich im Handlungsverlauf, ändern ihre Stoßrichtung und dröseln sich zum Teil auch wieder auf.

Sehr zentral erscheint das Thema Intelligenz. Brin untersucht verschiedene Arten von künstlicher Intelligenz. Bewusste Netze, intelligente Sonden, simulierte Menschen/Außerirdische – die Vielfalt ist ihm wichtig. Geschickt baut er diese künstlichen Lebenskonzepte in die Handlung ein und schärft ihr Profil immer in der Interaktion mit anderen, wobei sich teilweise die Grenzen verwischen.

Sehr deutlich wird das anhand der Reporterin Tor Powlow. Während eines Zeppelinfluges stößt sie auf ein Gerücht im Netz, dass jemand versuchen könnte, einen Zeppelin zum Absturz zu bringen, um die Konferenz über das gefundene außerirdische Artefakt zu stören. Ganz Reporterin forscht sie nach, ob ihr Zeppelin vielleicht betroffen ist. Unterstützt wird sie von einem Smart-Mob. Das sind quasi ihre Follower, Abonnementen ihrer Reportagen, die sich ihrer Aktion live anschließen. Allerdings nicht als Chat oder Video-Stream, vielmehr werden die Meinungen und Hinweise künstlich zusammengefasst zu einer Stimme. Je nach Zusammensetzung und Größe des Smart-Mobs und auch je nach Reputation ergibt sich eine verlässliche Hilfe. Es fällt bereits hier schwer, die entstandene künstliche Intelligenz klar zu definieren. Von tatsächlichen Menschenstimmen ausgehen, entsteht durch die computergesteuerte Bündelung etwas Neues. Kurzlebiges. Sehr dynamischen Änderungen unterworfen, da alle Bestandteile des Smartmobs jederzeit etwas anderes wichtiger finden können.

Dabei zeigt sich ein weiterer Aspekt, der mit dieser Gruppenintelligenz verbunden ist. In einer Welt, da sich jeder ganz beliebig einbringen und äußern kann, benötigt man ein verlässliches Referenzsystem. Wie kann man vertrauen? Reputation ist das eine, Wahrscheinlichkeitsrechnung das andere. Vertrauen wird auf eine ganz andere Art und Weise erzielt als heute. Je mehr Leute die Wahrhaftigkeit einer Aussage überprüfen können, umso schwerer wird es, mit einer Lüge durchzukommen.

Das betrifft nicht nur Privatpersonen. Brin gibt diesen Smartmobs eine sehr wichtige Korrektiv-Funktion. Unzählige Hobby-Wissenschaftler können sich ratzfatz zusammenschließen und staatliche Erklärungen überprüfen. Ihre Zweifel und Gegendarstellungen werden von der Öffentlichkeit auch wieder je nach Gusto und Reputation gewichtet und eben geglaubt oder nicht.

 

Brin ist es sehr wichtig zu zeigen, dass diese Seite der umfassenden Öffentlichkeit durchaus der Demokratisierung der Gesellschaft nutzt. Nicht nur der Bürger kann sich nicht mehr einfach verstecken, auch der Staat und seine Eliten sind überprüfbarer geworden.

Die Privatsphäre ist nicht mehr begrenzt durch das, was wir nach außen geben, sondern durch das, was wir hereinlassen.

Auch hier gibt uns Brin einige Beispiele in der Handlung. Sehr beeindruckend arbeitet er mit dem Konzept von Datenbrillen. Sie blenden nicht nur Informationen ein, sie können sie auch ausblenden. Brin beschreibt den Kosmos dieser Visualisierungen als Schichten. Je nach dem, welchen »Layer« man von seiner Brille anzeigen lässt, sieht man die Welt durch die Brille auf eine ganz bestimmte Art. Mal voller Werbung, mal mit verschlüsselten Daten für eine geschützte Gruppe, mal mit staatlichen Informationen, mal für Kinder, mal für Hungrige. Die Möglichkeiten scheinen unbegrenzt.

 

Die Reporterin Tor darf aber noch für eine andere mögliche Weiterentwicklung des Menschen stehen. Nach ihrer Heldentat ist sie so stark verletzt, dass sich der Großteil ihres Lebens online abspielt. Während ihr echter Körper im Heiltank liegt, rast ihr virtuelles Ich weiterhin quicklebendig durch die Datennetze auf der Suche nach Themen und Stoffen. Selbst als man ihr später technische Möglichkeiten zur Verfügung stellt, durch die sie wieder mobil wird, stellt sich ihr Menschsein, bis hin zur Libido, nicht mehr durch gewohnte Körperlichkeit dar.

Das wird umso skurriler wenn sie mit einem Androiden zusammenarbeitet, dessen Äußeres menschenähnlicher ist als Tors Spindelkörper. Selbst hier zerfließen die Grenzen dessen, was man als menschlich ansieht. Die herkömmlichen Definitionen reichen nicht mehr. Brin weist uns darauf hin, dass unsere Ethik mit der technischen Entwicklung Schritt halten sollte. Wir brauchen Antworten auf ganz neue Fragen.

 

Neben der Weiterentwicklung künstlicher Intelligenz baut er auch seine Ideen aus dem Uplift-Universum weiter aus. Genetisch veränderte Tiere, allen voran Delphine und Primaten, erlangen Bewusstsein und werden später sogar zu gleichberechtigten Bürgern. Brin widmet sich dieser Aufwertung jedoch nicht so ausführlich, der Roman platzt so schon aus allen Nähten. Deshalb tauchen etwa Autisten immer wieder in kurzen Texten auf, mit eigener Schreibweise um die Fremdheit zu unterstreichen, aber wirklich begreifbar machen kann Brin nicht, wieso es diese neue menschliche Spezies schafft, in die Weltgemeinschaft aufgenommen zu werden. Das gelingt ihm bei den künstlichen Intelligenzen besser. Schade auch, dass die Idee der Rückkehr des Neandertalers als Rasse, kaum Raum gegeben wird.

 

Ein zweiter ganz großer Theman-Brocken widmet sich dem Kontakt mit Außerirdischen. Das Problem, dass wir immer noch keine Spuren von ihnen gefunden haben, lässt die SF nicht los. Brin nimmt einige der bekannteren Überlegungen zur Problematik und spielt sie in »Existenz« durch. Dabei dreht er die Erkenntnisse innerhalb der Handlung ein paar mal, sodass man ohne Spoiler nicht allzu viel zu den Robotsonden sagen kann. Grandios ist auf jeden Fall, dass er aufgeworfene Fragen auch beantwortet. Seine Szenarien sind einleuchtend.

Er bindet an den ersten Kontakt die Frage, ob das Fehlen weiteren Lebens im All nicht vielleicht einem Naturgesetz geschuldet ist, nachdem Zivilisationen notwendigerweise immer scheitern. Hierzu lässt er einen Blogger sprechen, Das Füllhorn der Pandora, der sich intensiv mit möglichen Untergangsszenarien beschäftigt und dutzendfach Fallstricke aufzeigt, in denen sich die Menschheit verfangen kann. Hier glänzt Brin durch kluge und fast prophetische Analysen, die einem schon Angst und Bange vor der Zukunft machen können. Dennoch ist »Existenz« keine Dystopie, im Gegenteil glaubt Brin fest an die Vernunft und an die Relevanz der Masse. Smarte Zukunft für alle!

Denn darum geht es in der Frage nach unserer Existenz: Wie schaffen wir es überhaupt, weiter zu existieren und welche Rolle soll unser Dasein im Universum spielen?

Tatsächlich das ganz große Gedankenpalaver. Es geht um Alles!

 

Dass Brin zwar seine Gedanken, aber sich selbst nicht allzu wichtig nimmt, merkt man, wenn man sich die Figur des Hamish Brookeman ansieht. Der Autor und Regisseur von Werken zu Verschwörungstheorien erscheint wie eine autobiografische Studie. Selbst einen Scherz über gebürtige Kalifornier gibt es. So bietet Brin immer wieder einen selbstironischen Blick auf sich als Autor und lässt durchblicken, dass auch er gewissen Interessen dient. Zumindest sollte man als LeserIn Zweifel im Auge behalten. Wenn man zudem dabei Ironie und Humor zeigt, ist das Wichtigste für eine positive Entwicklung der Dinge schon getan.

 

Vielleicht ist die Darreichungsweise des Romans nicht jedermanns Sache. Es gibt sehr viele Handlungsfäden, teilweise in Essay- oder Reportageform erzählt, zu Beginn kryptische Texte, die wichtig sind, aber sich erst später erschließen. Einige Konzepte werden vorausgesetzt und nicht näher erläutert. Bei der Fülle an Themen wundert es auch nicht, wenn der Roman erst nach einer ganzen Zeit Fahrt aufnimmt. Hinterher hat man das Gefühl, schon ewig mit den Figuren unterwegs zu sein. Das liegt auch an den Zeiträumen, die Brin überbrückt. Ist man aber erst einmal in den Strudel der Gedanken und Ereignisse geraten, lässt man sich mitreißen und erlebt eine phantastische, kosmische Reise.

 

Ein großes Kompliment muss man Übersetzer Andreas Brandhorst machen. Zum Teil sind die Sätze ungemein komplex und es ist große Kunst der Übertragung, dass hier dennoch ein Verständnis erreicht wurde und die LeserInnen den Gedanken Brins folgen können. Zudem muss es die Hölle sein, Texte wie die der Autisten zu übersetzen.

 

Das Cover hingegen ist mehr als langweilig. Aber der Heyne-Verlag entschied sich wenigstens, das kolossale Werk papiersparend in Buchform zu pressen. Dünnes Papier, schmale Ränder und ein kleiner Font helfen, das Werk nicht noch dicker zu machen.

 

Fazit:

David Brin steckt in seinen Roman »Existenz« ungeheuer viel hinein. Das gesamte Buch glänzt mit Gedankenexperimenten, viele davon in die spannende Handlung integriert. Ein SF-Kracher der ganz besonderen Art. Ein Blick in die Zukunft wie sie sein könnte, wenn wir sie aktiv und mitdenkend selbst gestalten. »Existenz« ist ein Buch über die Chance, weiter zu leben.

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Buch:

Existenz

Original: Existence, 2012

Autor: David Brin

Übersetzer: Andreas Brandhorst

Taschenbuch, 893 Seiten

Heyne, 8. Oktober 2012

 

ISBN-10: 3453529936

ISBN-13: 978-3453529939

 

Erhältlich bei: Amazon

 

Kindle-ASIN: B008L47ZG4

 

Erhältlich bei: Kindle-Edition

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Erstellt: 18.11.2013, zuletzt aktualisiert: 17.08.2023 13:46, 13313