Rezension von Cronn
Von oben gesehen wirkt der Steinbruch verlassen und ohne jegliches Leben. Drei Gebäude stehen da, deren Dächer bereits zum Teil eingebrochen sind. Dazu kommen verrostete Riesenwalzen mit Laufketten so groß wie Traktorreifen, deren Förderbänder sich wie die Hälse von Brontosaurier hinab zu radioaktiven Wasserlöchern beugen.
Ich steige die Felsbrocken hinab und stehe alsbald vor dem ersten Haus, mehr einer notdürftig errichteten Baracke. Vorsichtig betrete ich sie und höre alsbald das mir vertraute Schaben von Kakerlaken.
Da ist ja eine! Unter einem Schreibtisch kriecht das Riesenvieh hervor und beginnt mit den Flügeln zu schlagen. Ich ziehe meine Machete und mache kurzen Prozess mit dem ekelhaften Monsterinsekt. Sein Fleisch nehme ich dennoch mit – nur für den Notfall, versteht sich. Denn Kakerlakenfleisch ist radioaktiv verseucht. Aber in der Not frisst bekanntlich der Teufel auch Fliegen!
Ohne Vorwarnung springt mich etwas von hinten an. Ich wirbele um die eigene Achse und sehe mich einem Verbrannten gegenüber, eine Art Ghul. Meine Machete sorgt auch hier für »Frieden«, allerdings durch Gewalt.
Im Hintergrund sehe ich eine Treppe, die hinauf in den ersten Stock führt. Aha, hier muss er also hergekommen sein! Ich gehe hinüber und steige hinauf. Noch während ich auf der Treppe bin, höre ich das Grunzen und die Schritte von jemanden über mir. Ich zücke die Impro-Pistole und lade sie durch. Egal, was mich erwartet. Ich werde schneller sein!
Oben angekommen schaue ich vorsichtig in den Raum. Zwei Ghule laufen herum, sehen mich nicht. Einer steht mit dem Rücken zu mir vor einer Küchenzeile, wo eine runde Abfalltonne steht. Ihm schieße ich sofort von hinten in den Kopf, so dass er in die Tonne fällt, die sofort – vom Schwung des Körpers angeregt – zu kreiseln beginnt. Den anderen erwische ich, indem ich seitlich mich fortbewege und eine Salve von Schüssen in seine Brust jage. Tödlich getroffen sinkt er zusammen. Sofort bin ich bei ihm und schnappe mir sein Gewehr und die Patronen.
Als ich mich umdrehe, sehe ich in der Küche die kreiselnde Tonne. Sie hört gar nicht mehr auf damit! Mit einem Grinsen wende ich mich ab und untersuche das zweite Gebäude.
Ob auch hier mich Ghule erwarten?
Fallout 76 hat bereits im Vorfeld für Diskussionen in der Community gesorgt. Ein Fallout-Spiel ohne Singleplayer-Kampagne im klassischen Sinn und dafür mit Mehrspieler-Aspekt-Schwerpunkt? Kann das gut gehen?
Die Meinungen dazu gingen sehr weit auseinander. Nun ist es erschienen und die Frage nach der Qualität ist auch in diesem Test aufgetaucht. Aber vorrangig geht es um folgendes: Macht »Fallout 76« auch als Singleplayer Spaß?
Hintergrund:
Zunächst die Entwarnung: Der Spieler von »Fallout 76« muss nicht auf eine Singleplayer-Komponente verzichten. Diese fällt aber anders aus, als von Fallout-Spielen gewohnt. Es existiert dennoch eine Hintergrundgeschichte:
Man erwacht in der Vault 76 und folgt den Spuren der Aufseherin, die Atombomben-Codes in ihre Hand bringen möchte. Die Story ist für »Fallout«-Verhältnisse sehr oberflächlich gehalten. Man folgt den Spuren der Aufseherin mittels Audio-Logbüchern wie einer Brotkrumen-Spur quer durch West Virginia.
Es ist klar, was das Ziel dieser Story war: Die Macher wollten den Spieler mit der Welt vertraut machen und ihn alle bedeutenden Ecken der Spielwelt zeigen.
Durch Environmental Storytelling gelingt es Bethesda dabei auch immer wieder interessante, denkwürdige Momente zu erschaffen. Beispielsweise betritt man mal eine Kirche, auf deren Bänke einzelne Skelette in unterschiedlichen Positionen sitzen und liest anschließend in einem Buch davon, wie der Sektenanführer die Leichtgläubigkeit der Menschen für seine Zwecke ausgenutzt hat. Oder man findet die Überreste eines Flugzeugs, das von Supermutanten zu einer Art Festung inmitten einer Stromtrasse umfunktioniert wurde. Derartige Situationen und Szenen findet man allerorten. Das Storytelling mit Umgebungen beherrscht Bethesda hervorragend.
Anders sieht es mit weiteren Quests aus, die von Robotern oder von Terminals aufgegeben werden. Diese sind häufig reine Sammelquests. Aber auch hier gibt es denkwürdige Ausnahmen, so dass man diesen Questtyp nicht völlig verteufeln kann.
Zusammengefasst kann gesagt werden, dass man als Singleplayer durchaus seinen Spaß haben kann, indem man die anderen Spieler ignoriert und sich auf das Lesen und Hören der Überreste (Audiologs, Bücher, Terminals) beschränkt. Allerdings muss man mit Längen und vielen Laufwegen rechnen, um zu den Quests zu kommen. Die Spielwelt entschädigt nur bedingt dafür.
Gameplay:
Die Mechaniken von »Fallout 76« sind hinlänglich von Fallout 4 bekannt. Hier hat sich im Detail etwas beim Rollenspielsystem getan. Bei Levelaufstiegen erhält man Sammelkarten, die man auf die bekannten S.P.E.C.I.A.L.-Attribute verteilt. Dabei profitiert auch der kooperative Multiplayer. Aber für Rollenspielfans ist das neue System eine Vereinfachung und somit ein Rückschritt.
Der Aufbaupart ist ebenfalls bekannt aus »Fallout 4«. Man sammelt Ressourcen und kann damit seine eigene Siedlung aufbauen. Das ist immer noch recht frickelig zu steuern. Wer mag, kann seine Siedlung auch einpacken und an anderer Stelle aufbauen.
Neu ist der Survival-Aspekt. Im Gegensatz zu den Vorgängerspielen muss man in »Fallout 76« zwingenderweise Wasser trinken und Nahrung zu sich nehmen. Das ist allerdings wenig spannend und nervt mehr, als dass es Spaß macht. Das System fühlt sich wie Fleißarbeit an. Immer, wenn man am Verdursten ist, trinkt man halt etwas oder isst, wenn man Hunger verspürt. Spannung kommt dabei kaum auf.
Interessanter ist es, wenn man mit Kumpels auf die Jagd geht. Hier kann man viel Unsinn anstellen und auch miteinander die Quests abschließen. Nervig: Wenn man selber die Audiologs anhören oder die Texte lesen will, die Freunde aber weiterziehen wollen. Storyfreunde werden hier Schwierigkeiten bekommen. Was gut gelöst ist, ist das Gesten-System, so dass man auch ohne Chat kommunizieren kann.
Grafik und Sound:
Die Grafik von »Fallout 76« hat seit »Fallout 4« sich kaum weiterentwickelt. Leider kommt es zu Framerate-Einbrüchen und zu Glitches. Dennoch ist die Grafik immer wieder auch schön zu nennen, gerade die Beleuchtung ist stimmungsvoll gelungen. Dadurch gelingen stimmungsvolle Panoramen, gerade auch im Zusammenspiel mit der Levelarchitektur, die sehr gelungen ist. Aber ehrlicherweise muss man sagen: Inzwischen ist die Grafikengine zu alt und sollte dringend ersetzt werden.
Der Sound hat noch einige Probleme beim richtigen Orten der Geräusche in der Welt (fällt schwer), aber die Synchronisation passt sehr gut.
Fazit:
»Fallout 76« hat noch diverse Ecken und Kanten, die es abzuschleifen gilt. Momentan kann man das Spiel nur Gamern empfehlen, die mit einer festen Gruppe unterwegs sind und auf Story verzichten oder Singleplayern, die mit Längen und Unzulänglichkeiten bei der Menüsteuerung leben können, die sehr unintuitiv ausgefallen ist.
Alle anderen warten und freuen sich auf ein Fallout 5.
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