Rezension von Carina Schöning
Was wäre, wenn wir alle für einen kurzen Moment in unsere Zukunft blicken könnten? Im CERN, dem europäischen Zentrum für Kernforschung in Genf wird 2009 ein neuer Teilchenbeschleuniger getestet. Die Wissenschaftler Lloyd Simcoe und Theo Prokopides haben den Hadronenbeschleuniger modifiziert, um endlich die Existenz eines Higgs-Boson in der Quantenphysik zu beweisen. Bei dem Experiment geht jedoch irgendetwas schief und alle Menschen auf der Welt fallen für kurze Zeit in einen Koma-ähnlichen Schlaf. Eine Zeitverschiebung ermöglicht ganze 1,43 Minuten lang den Blick in die Zukunft von 2030.
Die ganze Welt ist erstmal geschockt und das pure Chaos bricht aus. Flugzeuge sind durch die Vision abgestürzt, Züge verunglückt und Autos gegeneinander gerast. Menschen sind verletzt oder sogar bei den Unfällen gestorben. Die Nachrichtensprecher überschlagen sich förmlich und von überall her kommen neue Ideen und Visionen aus der Zukunft. Auch die Wirtschaft hat es schwer getroffen. Einige Menschen sahen Börsencrash voraus und wollen noch schnell ihr Geld von den Banken abheben, andere sahen ihren Tod und wollen noch eine Lebensversicherung abschließen. Chaos, wohin man auch blickt.
Theo hatte gar keine Vision und erwartet nun irgendwann in den nächsten 21 Jahren zu sterben. Zusammen mit Michiko, der Verlobten von Lloyd gründen sie im Internet ein Netzwerk, um alle Informationen durch die Zeitverschiebung zu sammeln und auszuwerten. Vielleicht ist die Zukunft doch veränderbar und man kann irgendwie den Tod von Theo verhindern?
Die potenziellen Klagen häufen sich und das, obwohl die Mitarbeiter am CERN noch nicht einmal sicher sagen können, dass der Hadronenbeschleuniger der Auslöser für das Ganze war. Lloyd will jedoch trotz seinen Überzeugungen das folgenschwere Experiment wiederholen.
Während der Kanadier Robert J. Sawyer international fast schon einen regelrechten Star Status in der Science Fiction Szene genießt, ist er hier noch so gut wie unbekannt. Trotz vieler Preise und Awards hat es ganze neun Jahre gedauert sein 1999 erschienenes „Flashforward“ endlich ins Deutsche zu übersetzen. Gelohnt hat es sich aber allemal. In bester Michael-Crichton-Manier werden auch hier gekonnt Versatzstücke aus Wissenschaft und Science Fiction zu einem stimmigen Ganzen zusammen gesetzt. Das Thema der Zeitreise ist zwar nicht unbedingt neu wird hier aber sehr geradlinig und kurzweilig erzählt. Hauptfrage ist dabei immer die Veränderlichkeit der Zukunft und die Existenz von möglichen Parallelwelten? Jeder Mensch hat auf der Welt seine Zukunft gesehen, doch können gewisse Faktoren die Zukunft wirklich ändern, oder ist die Zukunft schon längst festgelegt?
Da die wissenschaftliche Grundlage im Roman die allgemeine Quantenphysik ist, sind Sprache und Erzählstil stellenweise recht sperrig und anspruchsvoll geworden. Aber auch ohne Vorwissen kann man die Erklärungen des Autors verstehen und Spass an dem spannenden Roman haben.
Leider wirkt die Darstellung der Figuren insgesamt etwas zu oberflächlich und lieblos. Gerade Michiko und Theo hätte etwas mehr Tiefe gut getan. Dafür überrascht der Schluss mit einer interessanten Wendung. Besonders hervorheben muss man auch noch den schwarzen Humor des kanadischen Autors. Neben den jetzt schon absehbaren Naturkatastrophen und globalen Entwicklungen gibt es auch witziges in 2030: Pepsi gewinnt endgültig den Cola Krieg, Donald Trump baut sich sein Grabmal als große Cheops-Pyramide in der Wüste von Vegas, Microsoft ist pleite und George Lucas ist immer noch fleißig an seiner Star Wars Saga am basteln.
Insgesamt ist Robert J. Sawyer mit „Flash“ eine interessante Mischung aus Science Fiction und Wissenschaft gelungen. Trotz der schwachen Charakterzeichnung weiß der schmale Roman zu unterhalten und macht neugierig auf mehr.