Druckversion: Frankensteins Monster – Es hätte schön sein können

Frankensteins Monster – Es hätte schön sein können

Artikel von Karin Reddemann

 

Regen peitscht, Blitze zucken, es grummelt, grollt, prasselt, kracht die schaurige Nacht. Die Luft ist dick und schwarz und riecht nach Feuer, die Erde spuckt blutigen Morast. Oder ist es nur Spuk und Trug in der Dunkelheit, die wir genießen wollen, solange sie unsere Ideen küsst? Egal auch.

 

Die schöne junge Lady, – wir betrachten sie wohlwollend: gutbürgerlich fein gekleidet in pastellfarbenem Musselin, die seidene Schärpe gebunden unter der Brust, das dunkle Haar gescheitelt und gelockt –, sitzt am Sekretär, taucht mit eleganter Eilfertigkeit wieder und wieder die Feder in das Tintenfass. Ihr Blick ist stolz, die Stirn klug. Ihre Idee ist kühn, das Monster macht Angst. Aber es ist schön. Und das Papier ist für die Ewigkeit.

 

»Es bewegt sich – es lebt – es lebt! ES LEBT …« (Victor Frankenstein)

 

Die Entstehung des Romans ist beneidenswert originell. Soetwas wünscht man sich schon mal … gemeinsam mit geschätzten Grusel-Phantasie-Verbundenen abends beieinander zu sitzen, Geister-Stories zu erzählen und dabei auf den Einfall zu kommen, jeder der Anwesenden solle selbst eine Geschichte schreiben. So soll es gewesen sein, als Mary Shelley es sich 1816 in der Schweiz mit ihrem Mann Percy, Lord Byron und dessen Leibarzt John Polidori am Kamin für intellektuelle Plaudereien über Schauriges gemütlich gemacht hatte.

Mary Shelley sagte später, dass Berichte, mag sein, Gerüchte über galvanische Experimente Charles Darwins mit toten Würmern sie angeregt hätten, einen Wissenschaftler Herr über Leben und Tod spielen zu lassen. Mit gar fürchterlichem Ende …

 

Victor Frankenstein, völlig überfordert von dem, was er geschaffen hat, panisch entsetzt über sein eigenes, von ihm selbst als teuflisch definiertes Handeln, erhält letztendlich die grausame Quittung: Sein Monster, das er im Stich gelassen, dessen einzige Hoffnung auf Flucht vor der Einsamkeit (eine Frau) er vernichtet hat, tötet seine Braut. Und zeigt seinem »Vater« damit, was er unter Gerechtigkeit versteht. Als wütendes Monster. Als verzweifelter Mensch.

1818 wird der Roman Frankenstein oder der moderne Prometheus veröffentlich. Zweihundert Jahre später beim Karneval in Rio fährt ein prunkvoller Jubiläums-Mottowagen durch die Straßen. Die Menschen jubeln ihrem Monster zu, dem Andersartigen, dem Ausgestoßenen, wegen seines so fremden, gleichwohl erschreckenden Erscheinungsbildes Gefürchteten und Verfolgten, den sie (nicht nur) in Brasilien lieben, weil er für sie authentisch, ehrlich, echt ist.

Gefürchtet und geliebt

Hat sie geträumt, was sie bewirken würde mit ihrer Geschichte, die 18jährige Mary Godwin, spätere Mrs. Shelley, eine für die damalige Etikette und Moral recht progressiv denkende und agierende Frau, Tochter eines Sozialphilosophen und einer Schriftstellerin, die von Percy Shelley, mit dem sie durch Europa reiste, schwanger wurde, als der noch ein verheirateter Mann war?

 

Nach dem Selbstmord seiner von Gram und Schmach besudelten Frau Harriet im Londoner Hyde Park heiratete er Shelley zwar, die feine Gesellschaft freilich blieb verschnupft. Nach Percys Tod unterstützte der Schwiegervater Mary finanziell. Vom Schreiben allein konnte sie nie leben. Kaum vorstellbar … genügt uns heutzutage ein einziger literarischer Knaller, und wir gelten als hoch gehandelte Bestseller-Autoren forever. Andere Zeiten eben.

 

Wen’s belangt: Die Schreibmaschine wurde erst 1829 erfunden, zwei Jahre nach der Photographie. Mary wurde (noch) ganz üblich porträtiert. Und gehörte grundsätzlich zu den im positiven Fall liebreizenden Mädchen jener Tage, die Klavier spielen, etwas zeichnen, tanzen, bescheiden französisch parlieren konnten und etwas von Mythologie, wenig von Geographie, nichts von den großen Wissenschaften verstanden. Grundsätzlich, wohlgemerkt. Mary war besonders.

 

Ahnte die Besondere das Phantastische, als sie während eines längeren Aufenthaltes am Genfer See, – es waren trübe, regnerische Tage, wie geschaffen für die von genialster Finsternis umarmte Muse –, zu schreiben begann und nicht mehr aufhörte, bis er stand, einer der berühmtesten Horror-Romane aller Zeiten? Mit einem Helden, der über einhundert Jahre später als hässliches Monster weltweit Film-Karriere machte, obgleich er von seiner Schöpferin definitiv nicht als unansehnliche, abstoßende Kreatur gedacht und beschrieben war?

 

Mary, zum Zeitpunkt der (vorerst) anonymen Veröffentlichung ihres Buches frisch verheiratet mit dem älteren Percey Shelley, der trotz seiner Affären und seines frühen Todes, – er ertrank 1922 während einer Bootstour im Golf von La Spezia –, immer ihre große Liebe blieb, malte mit ihren beschreibenden Sätzen einen überdurchschnittlich großen, athletisch gebauten Mann mit schwarzem Haar und weißen Zähnen. Das klingt fast zum Dahinschmelzen. Einwandfrei zu schön für:

Hollywoods Gruselkabinett

In Frankenstein – The Man who Made a Monster (1931, Regie: James Whale) mit Boris Karloff in der Hauptrolle wurde festgelegt, wie der von Dr. Victor Frankenstein aus Leichenteilen gebastelte künstliche Mensch, bei Weltuntergangs-Gewitter durch Elektrizität zum Leben erweckt und für das Endzeit-Leid bestimmt, auszusehen hatte:

Mit grotesk hoher Stirn, plattem Kopf, tief hängenden Augenlidern und einem wuchtigen, ungelenken Körper. Die Stahlbolzen im Hals erinnern an den – wieder verworfenen – Gedanken, das Monster als eine Art Roboter darzustellen.

 

Mit Karloff the Uncanny (der Unheimliche) erhielt das Monster, dem erstmalig 1910 in einem sechzehnminütigen Stummfilm, in England produziert von Thomas Alva Edison, dem Erfinder des Telefons, auf der Leinwand schreck- und ehrfurchtsvoll gehuldigt worden war, – Untertitel: A liberal adaption of Mrs. Shelley’s Tale –, ein unzerstörbares Spiegelbild.

So sah, sieht es aus, so kommt es zurück in The Bride of Frankenstein (1935, Regie erneut James Whale). Da wird das Herz warm bei seiner Begegnung mit dem blinden Einsiedler, da fröstelt es einen, wenn das bitterlich traurige Ende naht: Victor Frankenstein vernichtet die Braut, dem Heulen des Verfluchten gilt die Rache … und mächtig Eindruck schindet zweifellos die Frisur von Elsa Lanchester: Einen halben Meter hoch senkrecht stehendes Haar mit einem hineingefärbten Blitz.

 

Boris Karloff in seiner Ur-Maske, mit diesem deformierten, traurigen, hilflosen, enttäuschten, zornigen Gesicht, hat dem Monster eine Identität geschenkt, die zumindest in der Pop-Kultur als nicht mehr austauschbar gilt: In Trickfilmen, Comics und in der Werbung ist es Karloff, den wir sehen. Zwar ist auch Christopher »Dracula« Lee 1957 in The Curse of Frankenstein (Regie: Terence Fisher) in die Haut der Kreatur geschlüpft, aber die Rechte für das typische, klassische Make-Up befanden sich im Besitz der Universal Studios. Hammer musste neu kreieren. Im globalen Kopf blieb/bleibt freilich Karloff.

 

Den Mann, den Mary Shelley beschrieben hat, kennen wir, wenn überhaupt, nur aus der Vorstellung heraus: Das Monster hätte schön sein können. Durfte, sollte, musste es aber nicht, um sich einen Platz im Horror-Olymp, gleichsam in der Gunst des Publikums zu sichern. Das wollte und will das Tragische an der wenn auch scheußlichen Figur, das Mitleiderregende, Bedauernswerte.

Platz im Horror-Olymp

Die Szene aus »Frankenstein – The Man who Made a Monster«, in der das Monster versehentlich ein kleines Mädchen ertränkt, weil es möchte, dass es wie die Seerosen schwimmt, wurde nach der Uraufführung gekürzt: So poetisch sie ist, umso grausamer wirkte sie auf die Zuschauer. Die aber sollten die Kreatur nicht hassen, sondern begreifen. Und sich gleichwohl auch nicht über die Blasphemie des Monstermachers erzürnen sollen. Der von Victor Frankenstein mit gellend lauter Stimme in die Nacht gebrüllte Satz …

 

»Jetzt weiß ich, was es heißt, sich wie Gott zu fühlen!«

 

… fällt in seinem Original-Ton der Schere zum Opfer. Zu anmaßend. Zu ungehörig.

 

Shelleys Monster erfuhr 1994 in Frankenstein (Regie: Kenneth Branagh) mit Robert de Niro in der Hauptrolle ein aufwühlendes, bewegendes Bekenntnis zur Quelle der Geschichte.

 

Das vermenschlichte Geschöpf demonstriert die ganze Schwere, Traurigkeit, Verletzbarkeit und Wut seiner ungewöhnlichen Persönlichkeit, die sich so wesentlich gar nicht vom wahrhaftig Menschlichen unterscheidet. Auch De Niro beweist Mut zu einer generell als hässlich eingestuften Optik. Gleichwohl wirkt diese zwar fremd und furchterregend auf den ersten Blick, wird aber vertraut und damit fast sympathisch.

 

Allemal, dieses Monster geht an die Substanz.

Ein Tragik-Revival anderer Machart erfolgt auch in der US-amerikanisch-britischen Horror-Serie Penny Dreadful (2014 - 2016, Regie: John Logan); Rory Kinear spielt das Monster.

 

Er ist genial. Es ist (fast) schön.

 

Und so soll’s bitte sein. In bester böser Erinnerung, Mary!

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, zuletzt aktualisiert: 09.04.2024 19:17