Frost, Erna Piaf und der Heilige (Autor: Richard Lorenz)
 
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Frost, Erna Piaf und der Heilige von Richard Lorenz

Rezension von Ralf Steinberg

 

Verlagsinfo:

»Mit Gedichten den Sterbenden einen Himmel zeigen.«

Diese merkwürdige Gabe besitzt der junge Frost, mit ihr wächst er zwischen RAF-Gespenstern und Traumgestalten inmitten einer ländlichen Stille auf – und entwickelt sich zu einem Wunderkind. Mit dem Erwachsenwerden jedoch geht der Glaube an Gott und einen Himmel verloren. Die Sehnsucht nach dem eigenen Sterben wird immer größer. Seine einst beseelten Gedichte sind nur noch Buchstaben für ihn, und jedes Sterben statt einer Himmelfahrt nur noch ein trauriger Abschied.

Im Schatten seiner Arbeit in einem Hospiz findet Frost langsam seinen Herzschlag wieder. Er sucht die verworrenen Geheimnisse von Erna Piaf und die dunkelblauen Träume des Heiligen. Und begegnet am Ende seiner großen Liebe.

 

Rezension:

Ein grandioses Debüt, wie es Die Amerika-Plakate ist, führt ohne Zweifel zu Erwartungen an das Nachfolgewerk. Richard Lorenz stellte sich dem Druck und offeriert mit Frost, Erna Piaf und der Heilige eine ähnlich magische Geschichte.

 

Die verträumten Figuren liegen Richard Lorenz am Herzen. Balthasar Frost wächst im kalten Schatten des Deutschen Herbstes auf. Von klein an lässt er sich Frost nennen. Sein Vater schwärmt für die RAF und glaubt auch nach den Stammheim-Todesfällen, felsenfest daran, dass Bader und die anderen RAF-Mitglieder noch leben und durch ihr kleines Städtchen streifen. Die Mutter summt Lieder von Edith Piaf und aus der oberen Etage hört man das schmerzvolle Schreien der todkranken Großmutter. Frost lebt nicht nur mit den Geistern in den Ecken des alten Hauses, er kann der Großmutter auch Ruhe schenken – durch eines seiner Gedichte.

Irgendwie spricht es sich herum, dass er Sterbenden einen friedlichen Tod schenken kann, fast so, als brächten seine Gedichte sie um. Doch es ist eher eine Befreiung und als er immer wieder auf Katzen stößt, die nach einem Todesfall seinen Weg kreuzen, geht Frost von einer Wiedergeburt der Toten aus.

 

Doch mit dem Erwachsenwerden verblassen die Geister, die Gedichte versanden im trockenen Alltag der Großstadt. Zwar arbeitet Frost weiterhin mit Sterbenden, doch zwischen den Ärmsten der Armen, Stadtstreichern und Obdachlosen, die in das Hospiz kommen, verliert er sich. Es bedarf mehr als den Tod, um Frost dem Leben zurückzugeben …

 

Der Tod ist ein stolzer Begleiter in diesem Buch. Richard Lorenz begegnet ihm mit Würde und Respekt und stellt ihn gleichwertig neben die gestrandeten Figuren, die mit ihm umzugehen lernten. Neben Frost sind das vor allem Der Heilige und Erne Piaf. Ein seltsames Obdachlosenpärchen. Er behauptet ständig, jetzt zu sterben, sie sieht sich als Tochter von Edith Piaf. Es ist ein Leben im Augenblick und dennoch ein Füreinander, an dem auch Frost irgendwie teilhat als freundlicher Hospiz-Mitarbeiter. Von der Stadt fast vergessen hilft das Haus vor allem jenen Todkranken, die erst zum Sterben von der Straßen von den Schlafplätzen in vergessenen Ecken der Zivilisation in das letzte heimelige Haus kommen. Wer hier arbeitet, opfert sich auf wie Alma, gibt meist mehr, als er geben kann und doch atmet das Haus Leben und wärmt ihre Besucher und Insassen bis zum Schluss und darüber hinaus. So wird selbst ein Armenbegräbnis durch eine allerletzte Respekterweisung veredelt.

 

Diese Welt der Ausgebrochenen schildert Richard Lorenz voller Melancholie und Zauber. Nicht die Absonderlichkeiten oder die zu erwarteten Probleme mit Drogen prägen die vielen Nebenfiguren, sondern ihre Namen, die Geschichte dahinter und ihre Bedeutung füreinander.

 

Wenn Erna Piaf ihre Reise nach Paris antritt, wird ihr ein einzigartiges Geschenk gemacht, dass nur gegeben werden kann, wenn man liebt und versteht. Wenn man tief in ein Herz schaut. Wie auch Amelie – und der Name dürfte nicht willkürlich gewählt sein – aus dem langsam schwindenden Frost seine Fähigkeit wieder hervorholt, im Angesicht des Todes den richtigen Text zu finden, die richtigen Worte zur Abschiedsmelodie des Sterbens.

 

Das ist die große Fähigkeit von Richard Lorenz. Eine Reise zu wagen, die man aus irgendwelchen Gründen immer wieder aufschiebt. »Frost, Erna Piaf und der Heilige« ist ein Buch für diese Reise, für unseren Mut.

 

Dabei ist es sehr spannend zu beobachten, wie diese innere Erwärmung auch immer mit Träumen und urbanen Lebensräumen zusammenspielt. Richard Lorenz baut viele kleine Inseln des außergewöhnlichen Überlebens auf. Ein ehemaliger KZ-Insasse schafft ein Katzendomizil, auf dem Bahnhof gehen Postkarten auf eine Weltreise, ein Totengräber ruft das untergründige Paris zu einer Totenparade zusammen – immer wieder knüpfen Orte und menschliche Bedürfnisse ein Band, prägen sich gegenseitig und hinterlassen Abdrücke in den unterschiedlichsten Menschen.

 

Richard Lorenz schafft Poesie aus nicht alltäglichen Situationen und lässt unseren Blick mit neuer Freundlichkeit über Dinge gleiten, die wir allzu leichtfertig als schmutzig betrachten.

Und erneut ist es Joachim Körbers Verlag Edition Phantasia, die diesem zauberhaften Werk eine Heimat bietet. Welch ein Glück!

 

Fazit:

Frost, Erna Piaf und der Heilige von Richard Lorenz ist eine Blues-Ballade zu der das Leben mit dem Tod in heftiger Umarmung tanzt und sich dabei einer magischen Verzückung hingeben. Pure Poesie und mit soviel Herzenswärme niedergeschrieben, dass man beim Lesen manchmal selbst überzulaufen meint.

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Buch:

Frost, Erna Piaf und der Heilige

Autor: Richard Lorenz

Gebundene Ausgabe: 208 Seiten

Edition Phantasia, 1. Oktober 2016

Cover: Joachim Körber

 

ISBN-10: 3937897569

ISBN-13: 978-3937897561

 

Erhältlich bei: Amazon

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Erstellt: 06.12.2016, zuletzt aktualisiert: 29.08.2024 16:01, 15145