Gespiegelte Fantasie (Herausgeber: Michael Haitel und Jörg Weigand)
 
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Gespiegelte Fantasie herausgegeben von Michael Haitel und Jörg Weigand

Franz Rottensteiner zum 80. Geburtstag

 

Rezension von Matthias Hofmann

 

Es gab einen weiteren runden Geburtstag zu feiern. Dr. Franz Rottensteiner ist am 14. Januar 2022 stolze 80 Jahre alt geworden. Das ist ein würdiger Anlass, beim Verlag p.machinery wieder die Gratulationsmaschine anzuwerfen, um die inzwischen schon gewohnte Mischung aus Texten in einem Büchlein zusammenzustellen. Beiträge von den üblichen Verdächtigen, die quasi jeden, der 70 oder 80 Jährchen auf dem Buckel hat, beglückwünschen wollen.

 

Solche Textsammlungen haben etwas tiefst »fannisches« und sind daher eigentlich nicht mit normalen Maßstäben zu messen. Als Rezensent begibt man sich auf wackliges Terrain und mit Kritik sollte man vorsichtig und sparsam sein. Schließlich gilt es den Jubilar zu feiern. Dennoch darf man über so manches seine Verwunderung äußern. Wie z. B. wieso dieses Buch mit dem Titel Gespiegelte Fantasie nicht von Rottensteiners österreichischen Spezis herausgegeben wurde, sondern von dem Duo Haitel/Weigand, das kein Mensch in Verbindung mit Franz Rottensteiner bringen würde?

 

Franz Rottensteiner war in seiner aktiven Zeit, besonders in seiner Sturm-und-Drang-Phase, eine höchst umstrittene Person. Es ist schön, dass nach all den Jahren in der Szene eine gewisse Altersmilde eingekehrt ist. Zwar können sich die alten Recken von damals noch gut an diverse Verbalschlachten erinnern, besonders die Rivalität zwischen Franz Rottensteiner und Walter Ernsting, als es darum ging, wer denn wirklich bestimme, wie gute Science Fiction sein sollte, aber wie sagt man so schön? Die Zeit heilt alle Wunden.

 

Denn Rottensteiner ist seinen Weg gegangen. Er war zur richtigen Zeit am richtigen Ort und hat sich und der Fantastik mit der Reihe Phantastische Bibliothek ein beachtliches Denkmal gesetzt. Von 1976 bis 1998 (Nachzügler gab es bis 2000) ist die stolze Zahl von 370 Bänden, zunächst im Insel-Verlag und anschließend beim renommierten Suhrkamp Verlag, erschienen. Das muss erstmal einer schaffen.

 

Wer Franz Rottensteiner ist und was ihn ausgemacht hat, wird in dem Geburtstagsband durchaus deutlich. Ich selbst hatte zu meiner ersten aktiven Zeit in den 1980er und 1990er Jahren nichts direkt mit ihm zu tun. Ich habe sporadisch sein Fanzine Quarber Merkur gelesen. Auf Cons war er sehr selten anzutreffen. Auf der Frankfurter Buchmesse schon eher. Man stand vielleicht mal eher zufällig in einer Gruppe zusammen. Er war der »pausbäckige, nicht übermäßig modebewusste« oder der »scheue Mensch« und der »sf- und fantasy-versessene, scharfsinnige und -züngige Kritiker, der sich mit (fast) allen SF-Autoren und -funktionären ob deren (geschmeichelt ausgedrückt) literarischen Mediokrität anlegte« wie ihn Rolf Gindorf in seinen Beitrag mit dem Titel Reminiszenzen eines alten Kampfgefährten treffend beschreibt. Wenn Rottensteiner sprach, musste man ganz schön die Ohren spitzen, wegen des starken österreichischen Akzents. Er wirkte von außen eher ruhig und introvertiert, wie man sich einen klassischen Bücher-Nerd damals so vorstellte.

 

Sein Motto »Kampf der verderblichen Schundliteratur«, das die Leser seines »Quarber Merkur« direkt auf Seite 2 unter Impressum und Inhaltsverzeichnis begrüßte, fand ich auf Anhieb cool. Den Untertitel »Franz Rottensteiners unillustrierte Literaturzeitschrift« fand ich sowohl ehrlich als auch mutig. Ebenso wie seine gefürchteten Kritiken. Die Rezensionen allerdings waren mir oft zu dogmatisch. Auch seine Liebe zum Werk von Stanislaw Lem fand ich übertrieben.

 

Seine These, dass alles, was nicht als Buch publiziert worden ist, automatisch eher Schund ist, war damals gewagt, aber im Kern und im Nachhinein oft richtig. Und zwar wenn man bedenkt, dass die ganzen Heftromane damals mitunter mies übersetzt und stark gekürzt waren. Dass manche argumentierten, man müsste froh sein, dass überhaupt Science Fiction auf Deutsch veröffentlicht wurde, ließ er nicht gelten. Zu Recht.

 

Das mit den Kürzungen hat Rottensteiner mit seiner süffisanten Art später relativiert. Nicht in dem Geburtstagsband, sondern im Internet beim Online-Portal Zauberspiegel fand ich diese wunderbare Antwort von Rottensteiner in einem Interview, das Horst Hermann von Allwörden geführt hat, als er nach dem Stand zeitgenössischer deutscher Fantastik gefragt wird: »Das Triviale triumphiert entschieden, denn die meisten Fantasy-Romane sind breit ausgewalzte Banalitäten. Seinerzeit, in der grauen Vorzeit des Fandoms, habe ich mich dadurch »beliebt« gemacht, dass ich gegen die Kürzungen angloamerikanischer Originale auftrat. Heute würde ich sagen: Verteilt doch endlich Rotstifte an die Lektoren und macht wieder nette kleine Romane von 160-200 Seiten Umfang. Die meisten Autoren haben ohnedies nichts zu sagen, was einen Umfang von 500 Seiten aufwärts erfordern würde.« Auch hier könnte man ihm zu großen Teilen beipflichten.

 

Rottensteiner war noch nie einer, der sich um Trends geschert hat. Sein »Quarber Merkur« ist das beste Beispiel dafür. Er erscheint noch immer. Und dass, obwohl dessen Zeitschriftenleben sehr oft an einem seidenen Faden hing. Einer Stichprobe meiner Sammlung lässt mich in alten Ausgaben blättern, deren Vorwörter voll von Lamento sind. In seinem Vorwort von Heft Nr. 46 (März 1977, 15. Jahrgang) schreibt er: »Im Moment sieht es auch keineswegs aus, als ob ich für den Quarber Merkur in Zukunft mehr Zeit haben würde. Jedenfalls bitte ich alle meine Bezieher, keine Bestellungen mehr über die Nr. 50 hinaus aufzugeben, denn es scheint mir sehr wahrscheinlich, dass der Quarber Merkur dann eingestellt wird, denn er erweist sich immer mehr als zeitraubende Belastung.«

 

Aber nicht nur das. Rottensteiner würde auch wenig Material für kommende Ausgaben vorliegen, nicht eine einzige Rezension. »Ich habe weder die Zeit, selbst welche zu schreiben, noch die rechte Lust, da mich das Angebot an Science Fiction immer mehr langweilt und es sehr schwierig ist, wenigstens ein paar halbwegs interessante Titel aus der Riesenproduktion herauszusuchen«, ergänzt er. Und so enden seine Worte »Zum Geleit« mit der Erklärung: »Manche Leser werden das sicherlich bedauern, aber der Quarber Merkur war ja keineswegs als Lebensaufgabe gedacht, und immerhin dauert er jetzt schon 15 Jahre – lang genug.«

 

Rund fünf Jahre später begann sein Vorwort von Heft Nr. 57 (Juli 1982, 20. Jahrgang) mit dem Satz: »Nach verschiedenen Überlegungen, den Quarber Merkur einzustellen, habe ich mich jetzt doch entschlossen, ihn auf absehbare Zeit weiterzuführen.« Und so ging es weiter. Bis heute. Totgesagte leben eben doch länger.

 

Länger wie kaum ein anderes Blatt, weigerte sich der »Quarber Merkur« die Erscheinungsform umzustellen. Ob vom Umdruckverfahren auf Kopie oder von der Erstellung der Druckvorlagen mit Schreibmaschine zum Eintippen am Computer. Doch war nicht nur die Optik schwer zu verarbeiten, auch die Inhalte waren meist schwere Kost. Die Texte und Artikel waren betont literaturwissenschaftlich, nicht selten auch einfach verkopft und mitunter gar schwer verdaubar. Oder schlicht unleserlich. Dieses Markenzeichen hat sich über Jahrzehnte gehalten und hartnäckig verhindert, dass die Auflage stieg. Über die Signifikanz der Zeitschrift könnte man durchaus streiten, aber wenn nur eine kleine Gruppe Freunde, Liebhaber und Sammler zu den Stammlesern gehören, dann ist der Wirkungsgrad zwangsläufig überschaubar.

 

Als Rottensteiner im Zauberspiegel-Interview gefragt wird, ob der »Quarber Merkur« in seiner jetzigen Form noch up-to-date sei und es nicht sinnvoll wäre, einen »zeitgemäßeren« Titel zu suchen, entgegnete dieser: »Der Quarber Merkur war, glaube ich, nie sehr zeitgemäß, unzeitgemäßer kann er kaum werden. Die Leserzahl ist so gering, dass der Titel gar keine Rolle spielt. Ich glaube nicht, dass ein »zündenderer« Titel Leser anlocken würde. Und der Quarber Merkur existiert ohnehin nur so lange, so lange ich ihn machen kann (und es jemanden gibt, der ihn produziert) und stirbt spätestens mit mir.«

 

Aktuell erscheint der »Quarber Merkur« einmal im Jahr im Verlag Lindenstruth. Dessen Verlagshomepage passt zu dem Aus-der-Zeit-gefallen-Eindruck der meisten Projekte, die Rottensteiner umsetzte. Die Internetseite verstrahlt den Charme eines Buches mit Frakturschrift und sieht aus, als wurde sie von einem in die Jahre gekommenen Hobbit programmiert. Als aktuellste Ausgabe ist dort die Nr. 121 von November 2020 gelistet. Meine Lieblingsrubrik war und ist »Der Seziertisch«. Schon alleine wegen des Namens. Unter dieser Bezeichnung gibt es die Rezensionen übrigens auch im aktuellsten Band noch.

 

Der Geburtstagsband »Gespiegelte Fantasie« glänzt von außen mit einer gelungenen Aufmachung. Die Optik ist an das violette Design der Suhrkamp’schen »Phantastische Bibliothek« angelehnt, inklusive einer Coverillustration von Thomas Franke. Eine sehr gelungene Idee, wie ich finde. Im Inneren gibt es jede Menge Foto- und Bildmaterial. Jedoch wurde dieses ausnahmslos auf den Verso-Seiten platziert, was man normalerweise genau andersherum macht, denn die Recto-Seiten verleihen einer Grafik eine höhere Aufmerksamkeit beim Betrachten, was z. B. bei Anzeigenseiten oder eben Illustrationen essentiell ist.

 

Die Beiträge sind der übliche Gemischtwarenladen, den man inzwischen von Jörg Weigands Gratulierbüchern gewohnt ist. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass die Kurzgeschichten in einem solchen Buch wie Füllmaterial wirken, zumal sie in der Regel wenig oder eher keinen Bezug zum Geburtstagskind vorweisen. Ebenso wirkt der Inhalt nicht wirklich gezielt kuratiert, sondern die Zusammenstellung eher nach dem Prinzip »Wir werfen mal alles an die Wand und schauen was kleben bleibt« oben eben wie »Wir machen mal einen Rundruf und nehmen, was zurück kommt.« Das kann man natürlich so machen, wenn man das finale Ergebnis nur dem Jubilar und den Beitragenden persönlich schenken möchte. Man hätte das Buch aber auch gezielt konzipieren können, um einem größeren Leserkreis eine runde Sache zu bieten.

 

Das liest sich vielleicht schlimmer, als ich es meine. Jedenfalls sind genug Beiträge in dem Buch, die den Kauf und die Lektüre lohnen. Besonders lesenswert sind die Beiträge von Rolf Gindorf, Dieter von Reeken, Thomas Franke und Rainer Eisfeld oder den Leuten aus Rottensteiners direktem Umfeld. Oder Beiträge, die spezielle Aspekte betreffen, wie Das Haus am Anhang von Hans Langsteiner, der von Rottensteiners Sommerdomizil schreibt, dass eigentlich eher »Arbeitsstätte und unerschöpfliche Bibliothek« ist.

 

Ein absoluter Pluspunkt ist auch Rainer Schorms Text über die »Phantastische Bibliothek«, der durch eine Komplettliste aller Titel dieser renommierten Reihe ergänzt wurde.

Unterm Strich finde ich es lobenswert, dass einem eher eigenbrötlerischen, grantelnden Zeitgenossen wie Franz Rottensteiner, der über die Jahrzehnte alles andere, nur nicht ›Everyboy’s Darling‹ war, zum Geburtstag gedacht wird. Wer sich für solche Art von Büchern interessiert, bekommt nicht nur einen interessanten Einblick in eine besonders interessante Zeit, sondern auch in das Wirken eines besonderen SF-Schaffenden.

 

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Buch:

Gespiegelte Fantasie

Franz Rottensteiner zum 80. Geburtstag

Herausgeber: Michael Haitel und Jörg Weigand

Taschenbuch, 296 Seiten

p.machinery, 18. Januar 2022

Coverillustration: Thomas Franke

 

ISBN-10: 3957652669

ISBN-13: 9783957652669

E-Book-ISBN 9783957658319

 

Erhältlich bei: Amazon

 

Kindle-ASIN: B09QKWDNVX

 

Erhältlich bei: Amazon Kindle-Edition


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Erstellt: 03.03.2022, zuletzt aktualisiert: 18.10.2023 18:41, 20629