Gipfel des Wissens (Autorin: Nina Horvath)
 
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Gipfel des Wissens

Autorin: Nina Horvath

 

Möglich, daß gewaltige Mächte von Himmel und Erde für uns nur deshalb erschreckend sind, da sie für uns gleichermaßen unaussprechlich wie unbegreifbar sind. Was aber, wenn wir zu verstehen lernen und sich herausstellt, daß dem nicht so ist, daß es nicht die Fremdartigkeit ist, die ihre eisige Hand an uns legt, sondern vielmehr die Ahnung auf ein Geheimnis, das es besser gar nicht zu lüften gilt?

Im Nachhinein betrachtet, soweit mein zerrütteter Geist noch im Stande ist, einen einzigen klaren und logischen Gedanken zu fassen, war es natürlich die größte vorstellbare Dummheit, die friedlichen Täler des Unwissens verlassen zu wollen und die hinter schwarzen Nebeln so verheißungsvoll verborgenen Gipfel des Wissens zu erklimmen.

An jenem schicksalhaften Tag ereignete es sich, daß ich überraschend von meinem Freund Georg Milner aufgesucht wurde. Die Freude des Wiedersehens hielt sich zumindest was mich anging, außerordentlich in Grenzen. Zwar war Georg mir noch aus Kindertagen bekannt und wir hatten auch später regelmäßigen Kontakt gepflegt, wobei mir unsere nächtlichen Dispute über die großen Werke der Weltliteratur besonders lebhaft in Erinnerung geblieben sind, aber vor etwa einem Jahr war sein Verhalten für Verwandte und Freunde gleichermaßen untragbar geworden.

Abgesehen davon, daß er absolut kein sozialkonformes Benehmen mehr an den Tag legte, war er plötzlich nicht mehr fähig, die einfachsten Dinge des Alltags zu bewältigen. Insbesondere schien er außerstande, sich auf normale Weise vorwärts zu bewegen, sondern spannte hierbei seine Muskeln auf so unnatürlich Weise an, daß selbst das Zusehen ein mir beinahe an körperliche Schmerzen heranreichendes Unbehagen verursachte. Das allein wäre noch halbwegs erträglich gewesen, aber absolut grauenhaft waren seine Versuche, zu sprechen. Anstatt seiner wohltuend tiefen Stimme, drangen zwischen seinen Lippen abscheulich pfeifende und schabende Geräusche hervor, die nur entfernt an die menschliche Sprache erinnerten.

Seiner Umwelt vollkommen entfremdet, machte er sich sogleich daran, sich in das Lesen von Unmengen von Büchern zu stürzen, deren Inhalt er in offensichtlich übermenschlicher Geschwindigkeit zu erfassen vermochte. Die gelesenen Werke stapelte er sogleich mit geradezu erstaunlichem Geschick zu hohen, wendeltreppenartigen Gebilden auf.

Zwar war Gregor schon immer ein sehr bibliophiler Mensch gewesen, aber er liebte es eher, bei einer guten Tasse Tee geruhsam in klassischer Literatur zu schwelgen und sich Gedanken für seine so geschätzten, später folgenden Diskussionen zu machen, anstatt einen derartig selbstmörderischen Lesemarathon hinzulegen, der in schwächerer Form eher zu meinen Spezialitäten gehörte und bei ihm immer nur ein mildes Lächeln und gutmütige Spötteleien hervorgebracht hatte.

Auffällig auch die Art der Bücher: Während der frühere Gregor Milner, entsprechend seines mitunter zu Lebensüberdruß neigenden und etwas dekadenten Gemüts sein größtes Vergnügen an den verschlüsselten Botschaften symbolistischer Gedichte gefunden hatte, schien sich sein Interesse nun plötzlich auf verbotene und okkultistische Bücher verlagert zu haben. Mit einem gewissen ehrfürchtigen Erschaudern - sofern man Respekt vor der vollkommenen Blasphemie empfinden kann - entdeckte ich sogar ein Exemplar des berüchtigten Necronomicon und einiger anderer, nicht minder verderblicher Werke.

Zwar wäre es eine grausame Ironie gewesen, hätte ich behauptet, daß er jetzt gut aussah, mit dunklen Schatten unter seinen Augen und bis auf die Knochen abgemagert wie er war. Trotz alle dem wage ich aber zu behaupten, daß seine Erscheinung wieder einen Teil ihrer Menschlichkeit zurückgewonnen hatte. Als er unschlüssig herumstotterte, wirkte seine Stimme zwar außerordentlich nervös, aber die seltsamen Pfeiftöne waren daraus verschwunden.

Er erzählte mir eine schier unglaubliche Geschichte, daß er während des ganzes Zeitraums, an dem er dieses seltsame Verhalten an den Tag gelegt hatte, nicht er selbst gewesen sei. Vielmehr habe eine groteske Kreatur ihr Bewußtsein mit dem seinen vertauscht. Auf diese Weise strebten diese Wesen, die er als die Große Rasse bezeichnete, ihr Wissen, vor allem, was ein mächtiges Volk betraf, das die Erde lange vor dem Menschen dominiert hatte und auch wenn es sich derzeit im Vorborgenen hielt, jederzeit bereit war, erneut seine Herrschaft anzutreten, betraf.

Seine Ausführungen faszinierten mich ungemein, als Bewunderer der Wissenschaft konnte ich ihm zwar keinen Glauben schenken, aber all das auch nicht für unwahr halten, ehe das Gegenteil bewiesen war.

Aus diesem Grund war ich auch sofort besessen davon, jenes Gerät, das laut Gregor die Loslösung des Geistes vom Körper und somit auch von Raum und Zeit bewirken konnte und mit dessen Hilfe der Seelentausch vonstatten gegangen war, selbst nachzubauen. Es gelang mir, in einem Buch eine detaillierte Beschreibung ausfindig zu machen. Es erstaunte mich, mit welch raffinierten und gleichzeitig einfachen Maßnahmen die scheinbar unveränderlichen Naturgesetze außer Kraft gesetzt werden konnten.

Der ersehnte Moment war gekommen und ungeachtet des Mondes, der grausam und warnend auf mich herabstarrte und dessen bläuliche Krater die fahle Oberfläche wie eitrige Wunden zerrissen, legte ich den Schalter um. Sofort befand ich mich in einer unfaßbaren Welt jenseits des Universums und der Vorstellungskraft. Grenzenlos frei und plötzlich allwissend, ein Zustand, der, so erstrebenswert er auch war, ich nicht zu ertragen im Stande war.

Heute bleiben mir immer nur wenige lichte Momente angesichts endloser Äonen geistiger Umnachtung. Es gibt Gipfel des Wissens, die, so verlockend sie auch scheinen mögen, der Mensch niemals erklimmen darf - aus welchen Gründen auch immer.

 

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Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 202404231803226f021ad1
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Erstellt: 22.07.2005, zuletzt aktualisiert: 04.10.2015 18:14, 720