Heldenwinter (Autor: Jonas Wolf)
 
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Heldenwinter von Jonas Wolf

 

Rezension von Oliver Kotowski


Rezension:

Als der Halbling Namakan und sein menschlicher Ziehvater Tegin heimkehren, erleiden sie einen grässlichen Schrecken: Ihre ganze Familie wurde grausam hingemetzelt. Die liebe Mutter Lodaja, alle Geschwister, alle weisen brutale Verletzungen auf oder sind nur noch verkohlte Bündel. Und der Leib der Mutter war widerwärtig verstümmelt worden: Der Mörder hatte ihn durch Schwertstiche mit dem Kopf eines Drachen markiert. Tegin weiß sofort, wer hier gewütet hat: der 'edle' Waldur, der von seinem Gefolge wie der Mythenheld Skra Gul genannt wird. Tegin gräbt alte Skaldat-Waffen aus und leistet einen Racheschwur: Waldur und sein Herr König Arvid werden fallen! Und Namakan wird ihn begleiten. Namakan ist verblüfft ob der Wandlung seines Vaters: Woher hat er die Waffen? Woher kennt er Waldur? Was will Waldur – und damit König Arvid – von seinen Zieheltern? Namakan steht eine lange, gefahrenvolle Fahrt bevor – und einige Entdeckungen, die sich bisweilen als reichlich unbequem erweisen.

 

Die Welt des Skaldat ist – wenig überraschend – fiktional. Namakan und seine Familie leben auf den Immergrünen Almen, die deutlich an J. R. R. Tolkiens Auenland erinnern: Es ist die abgeschiedene Heimat der Halblinge, das Leben dort ist beschaulich, sogar ein wenig idyllisch und die Bedrohungen kommen von außen (via Nazgûl bzw. Skra Gul) – vor diesen Gefahren schützen weniger die Wehrhaftigkeit der Wächter als die Bedeutungslosigkeit der Bewohner und eine natürliche Barriere (eine Dornenhecke bzw. eine gewaltige Schlucht). Bald geht es ins Königreich Tristborn, eine vage skandinavische, mittelalterliche Monarchie, doch soziale und kulturelle Strukturen spielen nur eine untergeordnete Rolle; nichtsdestoweniger erinnert mich das Reich an das "Bornland" aus dem Rollenspiel DSA.

Es ist nicht leicht, über die Wunder zu sprechen, ohne zu viele Überraschungen vorwegzunehmen. Grob gesagt, kann man mit dem Genre-typischen Inventar rechnen: Es gibt das magische Metall Skaldat (Mithril/Mithral/Orichalcum), behäbige Halblinge, saufende Zwerge, Greifen und dergleichen mehr. Verwendet werden sie ebenfalls recht konventionell, wobei es oftmals den einen oder anderen Dreh gibt. Gelegentlich gibt es auch exzentrischere Dinge – wie etwa Klauenschatten (für D&D-Spieler: Dire European Pine Marten – oder Riesenbaummarder) –, bei denen es sich aber meistenteils wohl ebenfalls um Zitate handeln wird. Wer die Nähe zu Mittelerde und in einem geringeren Maß den Rollenspielen D&D und DSA mag, wird hier bestens bedient.

Das Setting ließe sich knapp als Mischung aus Ambiente und Milieu beschreiben, wobei ersteres deutlich mehr Gewicht besitzt; in puncto Konkreta wird es klar detaillierter ausgeführt als hinsichtlich gesellschaftlicher Strukturen.

 

Das Figurenkonzept ist etwas ungewöhnlicher, da es zwischen den Haupt- und Nebenfiguren keine scharfen Trennlinien gibt. Unbestreitbar sind Namakan und Tegin Hauptfiguren. Tegin Dalarr att Situr und seine Frau Lodaja waren aus Tristborn geflohen und hatten sich in den Immergrünen Almen niedergelassen. Sie hatten sieben Halblingswaisen anstelle eigener Kinder aufgezogen. Etwas abseits hatten sie eine Schmiede betrieben, und Tegin hatte Namakan, den ältesten Zögling, in die Lehre genommen. Soweit scheint Tegin ein relativ normaler menschlicher Handwerker mit gutem Herz zu sein. Nach dem Mord an seiner Familie bröckelt diese Fassade allerdings rasch ab – darunter steckt ein alter Krieger, der eine bewegte Vergangenheit hat – wie bewegt, muss Namakan mühsam herausfinden. So zeigt sich nach und nach, dass Tegin mit dem Schlächter Waldur viel mehr gemeinsam hat, als es Namakan lieb sein kann. Namakan indes scheint zunächst ein normaler Halbling auf der Schwelle zum Erwachsenenalter zu sein. Die Figur ist recht unausgeprägt – und damit eine gute Identifikationsfigur. Im Laufe der Geschichte wird er jedoch einiges über sich lernen – vom Charakter her wird er aber immer ein relativ durchschnittlicher, normaler 'Mensch' bleiben. Zu diesen beiden treten nach und nach noch weitere Figuren hinzu, bei denen der Status Haupt- oder Nebenfigur eben nicht immer klar ist. Auch hier gilt: Bei den Figuren gibt es manche Überraschung, doch generell wird das Genre-Typische nur begrenzt überschritten.

Damit sind die Figuren irgendwo zwischen klischeehaft flach und entwickelt rund angesiedelt: Zunächst scheinen sie leicht variierte Typen (zumeist sind es Makel: Alkoholismus, Eitelkeit, übergroße Neugier etc.) zu sein, doch dann gibt es noch andere Seiten und kleine Entwicklungen.

 

Der Plot ist in gewisser Hinsicht recht komplex: Er ist eigentlich ein Bündel von Plots. Zentrale Motivation ist der Racheschwur. Tegin und Namakan wollen Waldur und Arvid töten. Die Umsetzung funktioniert dann weitgehend wie eine normale Abenteuergeschichte: Die beiden reisen umher und müssen kleine Herausforderungen bestehen, bis es zum Showdown kommt. Eng verknüpft mit dieser Rachereise sind einerseits eine Rätselgeschichte – Wer ist Tegin wirklich? – und die Entwicklungsgeschichte Namakans andererseits. In beiden Fällen geht es um Identität, doch während Namakans Figur sich tatsächlich verändert, verändert sich im Falle Tegins nur die Wahrnehmung der Figur. Zu diesem Plotbündel kommen noch weitere hinzu. Da ist eine Art Aufbaugeschichte, wie man sie aus Robert Asprins Dämonen-Reihe kennt: Nach und nach kommen weitere Figuren zur Gruppe, die nicht nur die Gruppe stärken, sondern auch ihre eigenen Probleme mitbringen (es gibt quasi kleine "Quests" zu lösen). Schließlich gibt es noch eine Reihe von kleinen Erzählungen, die von den verschiedenen Figuren à la Geoffrey Chaucers Canterbury-Tales eingebracht werden.

Hinsichtlich der Spannungsquellen kann man getrost sagen, dass alles dabei ist: Action, Liebe, Trauer, Humor, Horror, Wunder etc. pp. Es gibt immer wieder Überraschungen und viel Intertextualität. Es ist dem Autoren zugutezuhalten, dass sich die Spannungsquellen niemals gegenseitig aushebeln – leider gibt es auch nur selten daraus erwachsende Synergien. Es ist ein bisschen wie mit einem Magic: the Gathering-Deck, in das der Spieler alle guten Karten steckt, die er besitzt: Er wird immer eine gute Karte ziehen, aber eine gute Strategie kann er kaum spielen.

Sieht man von einzelnen Szenen ab, die für meinen Geschmack etwas zu situativ geschildert werden, ist der Plotfluss moderat bis hoch – leider gibt es doch recht viele Plotflüsse, sodass der Gesamteindruck bisweilen etwas behäbig ist.

 

Erzähltechnisch ist der Roman eher konservativ, sieht man von dem "Canterbury-Tales"-Aspekt ab. Die Erzählperspektive ist personal (Namakan), allerdings sind die Binnengeschichten zumeist Ich-Erzählungen und gelegentlich berichtshaft. Die Handlung ist im Wesentlichen dramatisch und progressiv aufgebaut wieder mit der Ausnahme der Binnenerzählung, aber auch von Tegins Rätselplot, welche regressiv sind und ein episodisches Moment mit hineinbringen. Es gibt nur einen Erzähl- und Handlungsstrang.

Stilistisch ist der Roman im Großen und Ganzen leicht zugänglich, ohne dabei allzu banal zu werden. Das hängt von einer sorgsam von Modernismen bereinigten auf der Alltagssprache basierenden Wortwahl ab, in die aber immer wieder etwas abseitigere Worte – "altklug", "Schelte", "Jungspund" – und gänzliche Neuschöpfungen – "Stachelsäule", "Haselhühner", "Moosbeerenzeit" – Eingang finden. Dann sind da noch die stets leicht verständlichen Sätze, die anfangs zwar ein bisschen schachtelig daher kommen, später aber gradliniger werden. Hinzu kommen noch mehr oder minder lange Einsprengsel einer skandinavisch anmutenden 'Fantasy'-Sprache: Es reicht vom Einwurf "Flikka mek!" (eine Unmutsbekundung) bis hin zu Liedern oder Eiden, deren Übersetzung dann allerdings folgt.

 

Fazit:

Nach dem grausamen Mord an ihrer Familie machen sich Ziehvater Tegin und Halbling Namakan auf, den Mörder Waldur und seinen Herrn König Arvid zur Strecke zu bringen, doch es warten nicht nur die Häscher des Königs und andere Schwierigkeiten auf die beiden, es gilt auch für Namakan, Licht ins Dunkel der Vergangenheit von Tegin zu bringen.

Jonas Wolf liefert einen Roman der Varianten: Das Setting sucht die Nähe vor allem zur Mittelerde, die Figuren könnten auf dem ersten Blick einer Rollenspielrunde entstammen und der Plot ähnelt der üblichen Mischung aus Abenteuer- und Entwicklungsgeschichte, doch immer wieder warten kleine Überraschungen auf den Leser. Zusammen mit der leichten Zugänglichkeit dürfte der Roman im Genre eher unerfahrenen Lesern, denen Tolkiens Geschichten gefallen haben, zusagen.

 

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Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 202403281619232a0e5a82
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Roman:

Titel: Heldenwinter

Reihe: Die Welt des Skaldat

Original: -

Autor: Jonas Wolf

Übersetzer: -

Verlag: Piper (Januar 2012)

Seiten: 508 - Broschiert

Titelbild: Alan Lathwell

ISBN-13: 978-3492267199

Erhältlich bei: Amazon


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Erstellt: 15.01.2012, zuletzt aktualisiert: 08.02.2024 15:10, 12327