Herrn Murmelsams Trinklieder (Autor: Philipp Multhaupt)
 
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Herrn Murmelsams Trinklieder von Philipp Multhaupt

Rezension von Ralf Steinberg

 

Verlagsinfo:

Einmal war Herr Murmelsam sehr betrunken. In rauschhafter Seligkeit ersinnt er so manche Geschichte. Dabei ist er trunken vor Glück, schwermütig vom Wein oder geistreich von Hochprozentigem. In seinen Fantastereien werden Brokkolis zu Blumensträußen, da sehnen sich Milchmänner oder Leuchtturmwärterinnen nach einer neuen Berufung, da wird schon mal die Zeit neu geschrieben oder an Bushaltestellen eine Entscheidung getroffen.

 

Rezension:

Nach seinem melancholischen Märchen Über die Erhabenheit toter Katzen und das Umwerben trauriger Mädchen führt uns Philipp Multhaupt erneut in die bizarre Welt aus Geschichten und Gedichten, die er in der Edition Drachenfliege erstmals mit Herrn Murmelsams Fieberträume offenlegte. Die 27 Texte in Herrn Murmelsams Trinklieder singen den Blues. Zumeist sanft, viele bitter und alle irgendwie zutiefst beunruhigend.

 

Nach dem Einstieg in die Rahmenhandlung um Herrn Murmelsams Kneipenbesuch und Redseligkeit wird das kurze Gedicht Der durstige Dichter als Aperitif kredenzt. Es folgen die ersten Biergeschichten.

 

Ein Platz, an dem man gut sterben kann gibt einen freundlichen Blick auf einen Abend, wie ihn vielleicht jede und jeder schon mal erlebt hat. Man trinkt zusammen, zieht durch die Nacht und vollbringt biersinnige Taten. Und es ist philosophisch und wunderbar für ein ganzes Leben.

 

Einmal im Leben sollte man die Brauerei seines Lieblingsbieres besuchen, findet Wehrmut, der Dorftrinker. Der Studienrat geht mit ihm auf die Reise.

Einer von vielen Texten, in denen Philipp Multhaupt aus der Schwermut des einsamen Trinkens am Kneipentisch eine Suche bastelt, die dann auch tatsächlich Sinn ergibt.

 

Wenn der Mai mit Regen jede Frühlingslust ertränkt, kann man sich schon mal Gedanken machen, was Hinter der Kühlschranktür passiert. Der Ort, an dem die Freundin einem weder zu finden, noch zu folgen vermag.

 

Ein Brokkoli für Fräulein Weichgold*, die alkoholfreie Ausnahme des Buches, steckt voller Liebe. Ganz ohne Hintertüren. Man sollte sich mit diesem warmen Gefühl für das Folgende wappnen.

 

Wenn ein Autor von Schundheftchen einen kurzen, ernsthaften Blick auf sein Leben wirft, sind Scheiß Metaphern noch die schöneren Erkenntnisse. Doch manchmal erwächst Respekt aus Kleinigkeiten.

 

Der Milchmann nimmt seine Mütze ab ist vielleicht der traurigste Text des Bandes. Der Milchmann trank jeden Morgen ein Glas Milch mit seinem Kunden Leo Hoffmann. Aber lieber würde er Post austragen. Als Leo stirbt, beschließt der Postmann, diese nigelnagelneue Nachricht ganz frisch im Dorf zu verbreiten. Ein bitterböser Weg in die Welt hinter den Türen beginnt.

Das ist auf so vielen Ebenen traurig und deprimierend, dass man sich wundert, wie stark konzentriert Philipp Multhaupt das auf die wenigen Seiten unterzubringen vermag.

 

Schnapsideen ist ein lyrischer Zwischenschluck, der die vorhergehenden Geschichten teilweise zusammenfasst, teilweise erweitert, bevor sich der Band von Bier dem Wein zuwendet.

 

Weißweins Errettung ist kein einfacher Prozess, da Herr Weißwein nur spürt, dass eine Errettung Not tut.

Eine kleine Parabel auf die Momente im Leben, die einer Veränderung vorhergehen.

 

Von ganzer Leber ist die zweite, zuckersüße Liebesgeschichte des Bandes und passt ganz gut als Einstimmung auf Schließfach 101.

Herr Lapeur will absolute Sicherheit für sich und zieht in ein Bankschließfach. Die Bankangestellte Dora Anselm muss sich um ihn kümmern. Es entsteht etwas …

Philipp Multhaupt verteilt hier Einsamkeiten mit ganz großer Kelle.

 

Und weil es gerade so schön kuschelig ist, übt der Zirkusartist in Der Große Sprung das Totsein und träumt von Magda. Eine logisch erscheinende Verbindung.

 

In der Kindheit gibt es viele magische Orte, wie etwa eine Bushaltestelle, von der Leute abfahren und nicht wiederkommen. Ophelia darf da eigentlich nicht hin, aber heimlich paust sie dort die Graffitis ab. Einmal trifft sie dort Die Leuchtturmwärterin, die auf ihren Bus ins Woanders wartet.

Eine wunderbare Geschichte über das Wunder in den Fragen junger Mädchen und in den Antworten nicht ganz so junger Frauen.

 

Mit Cocktails wird der nächste lyrische Zwischenschluck gereicht, der auf eine Runde Hochprozentiges vorbereiten soll.

 

Los geht es auch gleich mit dem Tod. Wie Herr Stressing & Herr von Sinus den Lehrplan umschreiben handelt erst in zweiter Linie vom Lehrplan, den der Mathelehrer und der Philosophielehrer beim Schnaps der Oma besprechen. Sie wohnen dort und die Änderung des starren Lehrplans steht für die Veränderung, die das Sterben mit sich bringt. Trotz aller lakonischer Ironie ein weiterer trauriger Text.

 

Die Geheimnisse von San Francisco eines gewissen Henry P. Sartre, stellt stilistisch und inhaltlich eine Ausnahme dar. Die bunte Räuberpistole nimmt auf eine sehr schräge Art testosteronsaftige Krimis auf den Arm. Ein sehr witziger Einschub.

 

Unter dem Eisberg führt zurück in die Kindheit, zu den Gräueltaten an der Schule, denen man sich erst als Erwachsene bewusst wird.

 

Auch Der rote Knopf behandelt das Grauen. Was beim Druck des roten Knopfes genau passiert, bleibt unklar, umso deutlich sind die Auswirkungen auf das Umfeld des Icherzählers, der auf beklemmende Art mit sich im Reinen ist.

 

In Das U-Boot kehrt Max in seinen Heimatort am Meer ohne Hafen zurück, um seine Mutter zu beerdigen. Dort trifft er auf den Jugendkumpel Gebler, der eigentlich mit 18 aus dem Kaff abhauen wollte.

Verlorene und hoffnungslose Träume schwappen über den Rand dieser Geschichte.

 

Der Fünfuhrschmerz entführt uns in die Welt eines Trinkers. Eine verstörend ehrliche Bloßlegung von Sucht- und Überlebenstechniken.

 

Passend dazu der nächste lyrische Zwischenschluck Anlässe, der zudem eine zweite Runde Biergeschichten einleitet.

 

Am Montag explodiert der Süßigkeitsladen, woraufhin sich besorgte Bürger in Mondmanns fliegt in die Luft im Parkhaus verbarrikadieren, um weiterem Unbill zu entgehen. Eine zynische Studie über das kleinbürgerliche Leben.

 

Dort verweilt auch Der Lastwagenfahrer findet den Ausgang. Die Trostlosigkeit des Alltags birgt vielleicht ja doch einen Ausweg. Oder?

 

Telefonat mit John Lennon führt ein weiteres Mal zurück in die Kindheit und zu den seltsamen Geheimnissen, die uns das Leben aufzuzwingen scheint.

 

Mysteriös gibt sich auch Der Astronaut. Ein Mann nimmt in seinen Keller einen Mann im Astronautenanzug auf, der eigentlich gerade auf dem Mond sein sollte. Ein Spiel mit Verschwörungstheorien und dem Zulassen des Fremden.

 

Als letzte Geschichte bietet Philipp Multhaupt mit Wem die Schulstunde schlägt noch einmal sein ganzes Können beim Erschaffen einer dystopischen Kindheitshölle auf.

 

Zum Ausgleich wird mit lyrischen Tipps zum Katersonntag geladen, bevor Herr Murmelsam die Rechnung bezahlt und sich über den von ihm verzapften Blödsinn wundert.

 

Wenn man die letzte Seite gelesen hat und die dunklen Stimmen nachhallen, klappt man das Büchlein zu und bewundert das filigrane Cover von Nicole Altenhoff, das sich an »Der Astronaut« orientiert.

Die Geschichten von Philipp Multhaupt sind trotz aller Leichtgängigkeit nicht leichtfertig. Sie bringen Licht in unsere dunklen Ecken, damit wir sie sehen und ihnen mit allen Schmerzen nachspüren können.

 

Fazit:

»Herrn Murmelsams Trinklieder« von Philipp Multhaupt sind ein ganzer Herbst an Geschichten. Dräuendes Unwetter, blitzblanke Sonnenstrahlen, modriges Laub und die Melancholie des verronnenen Sommers durchdringen die Seiten und die darin lebenden Menschen, die meist nur einen tiefen Schluck von uns entfernt geboren wurden.

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Buch:

Herrn Murmelsams Trinklieder

Autor: Philipp Multhaupt

Taschenbuch: 144 Seiten

Periplaneta, 6. Juni 2019

Cover: Nicole Altenhoff

 

ISBN-10: 3959961383

ISBN-13: 978-3959961387

epub-ISBN: 978-3959961394

 

Erhältlich bei: Amazon

 

Kindle-ASIN: B07SPTWL9L

 

Erhältlich bei: Amazon Kindle-Edition

Inhalt:

  • Der durstige Dichter

  • Ein Platz, an dem man gut sterben kann

  • Einmal im Leben

  • Hinter der Kühlschranktür

  • Ein Brokkoli für Fräulein Weichgold*

  • Scheiß Metaphern

  • Der Milchmann nimmt seine Mütze ab

  • Schnapsideen

  • Weißweins Errettung

  • Von ganzer Leber

  • Schließfach 101

  • Der Große Sprung

  • Die Leuchtturmwärterin

  • Cocktails

  • Wie Herr Stressing & Herr von Sinus den Lehrplan umschreiben

  • Die Geheimnisse von San Francisco

  • Unter dem Eisberg

  • Der rote Knopf

  • Das U-Boot

  • Der Fünfuhrschmerz

  • Anlässe

  • Mondmanns fliegt in die Luft

  • Der Lastwagenfahrer findet den Ausgang

  • Telefonat mit John Lennon

  • Der Astronaut

  • Wem die Schulstunde schlägt

  • Katersonntag


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Erstellt: 05.10.2019, zuletzt aktualisiert: 05.08.2023 15:12, 17945