Hexenvolk von Fritz Leiber
Rezension von Oliver Kotowski
Rezension:
Im Leben von Norman Saylor läuft gerade alles rund: Er ist als Ethnologieprofessor an der Hempnell Universität endlich anerkannt und trotz seines relativ jungen Alters könnte er sogar der nächste Dekan der soziologischen Fakultät werden. Zudem haben sich seine Frau Tansy und er in der eher spießigen Gesellschaft Hempnells einleben können ohne sich dafür verbiegen zu müssen – die beiden sind sehr liberal für die USA der Vierziger, vor allem was gewisse moralische Vorstellungen und Sexualität angeht. Vom gutgelaunten Übermut angetrieben linst Norman heimlich in den Ankleideraum seiner Frau – und fällt aus allen Wolken: Tansy probiert die Zauberformeln der Kulturen aus, die er erforscht! In einem klärenden Gespräch bringt er sie dazu, ihre neurotische Haltung der Hexerei gegenüber aufzugeben. Kaum ist der letzte Talisman verbrannt, beginnt eine nervtötende Pechsträhne. Damit Tansy von ihrer Neurose loskommt, will Norman sie mit diesen Unglücksfällen nicht belasten. Allerdings nimmt die Krassheit der Zwischenfälle massiv zu – bald ist die ganze Angelegenheit nicht mehr lustig!
Hempnell liegt in der neuenglischen Provinz; seine Entdeckung scheint Norman in den fortgeschrittenen vierziger Jahren des 20. Jh. zu machen. Die Beschreibung der Schauplätze ist zwar sehr knapp, doch auf die sozialen Aspekte wesentlich stärker eingegangen – und auf die kommt es in der Geschichte an. Sorgfältig arbeitet er die verklemmte Spießigkeit, die aufgesetzte Freundlichkeit und heimliche Skrupellosigkeit – die Bigotterie des Begehrens, wie sie typisch für konservative, aber gebildete Kleinstädte der Ostküste der USA war – heraus, wobei nicht über das Notwendige hinausgegangen wird. So werden die Figuren sicher in ein Milieu eingebettet, aus dem sich ihre Motivationen plausibel ableiten lassen, ohne dass der Plot darunter leidet.
Es gibt zwar nur ein phantastisches Element, aber das spielt die zentrale Rolle: Hexerei. Eigentlich kann jeder hexen. Man braucht sich nur an eine wirksame Zauberformel zu halten. Doch Zauberformeln sind etwas, dass man hütet, und Zauberei betreibt man nur im Verborgenen. Die Formeln werden meist nur von der Mutter zur Tochter weitergegeben und auch das nur widerwillig und oftmals nur rudimentär. Daher können in der Regel nur Frauen hexen und sind ständig auf der Suche nach besseren Formeln. Die Formeln muten reichlich bizarr an: Es sind Mischungen aus mittelalterlicher Volksmagie, Voodoo, Schamanismus etc., die mit modernen Ingredienzien angereichert werden; Leiber hat gut recherchiert und etwas spannendes Neues geschaffen. (An dieser Stelle ein Hinweis für die Rollenspieler unter den Lesern: Wer von euch Mage: The Ascension, den Vorgänger Ars Magica oder den Nachfolger Mage: The Awakening spielt und dazu passende Lektüre sucht, wird hier einen Treffer landen.)
Die Tendenz des Settings setzt sich bei den Figuren fort: Es werden keine exzentrischen hoch detaillierten Figuren vorgestellt, sondern Skizzen, die nur an den Stellen fertig ausgeführt werden, an denen es für den Plot nötig ist – dabei gelingt Leiber das kleine Kunststück, dass alle wichtigen Figuren trotzdem vielschichtig und plausibel bleiben.
Wichtigste Figur ist Norman Saylor. Der Ethnologieprofessor ist einigermaßen unangepasst – für die konservativen, spießigen Verhältnisse in Hempnell, denn er ist fortschrittlich, liberal und äußert seine Kritik offen. Allerdings ist auch er nur ein Mensch: Bisweilen lässt er sich zu Regelverstößen oder ätzenden Spötteleien hinreißen, die weder nötig noch für sein Ansehen gut sind. Er betrachtet Hexerei strikt vom wissenschaftlich-rationalem Standpunkt aus – und hat einiges zu lernen. Norman ist seit einiger Zeit mit Tansy verheiratet (sie haben sich kennengelernt, als sie Studentin und er ein junger Dozent war) und die beiden kommen – sieht man von gelegentlichen Kleinigkeiten ab – hervorragend mit einander aus. Sie ist vielleicht sogar noch ein wenig unangepasster als Norman. Zumindest auf Norman wirkt sie allerdings auch angreifbarer, da die andren Professorengattinnen ihr das Leben besonders schwer machten; außerdem hatte er immerhin die fachliche Anerkennung im Kollegium. Kein Wunder also, dass sie neurotisch wird und sich in die Hexerei flüchtet. Tansy beteuert, dass sie nur weiße Magie, nur Schutzzauber, verwendet habe – im Gegensatz zu den Anderen. Das sind die drei Professorengattinnen Evelyn Sawtelle, Flora Carr und Hulda Gunnison. Außer Mrs. Carr – die alte Dame ist die Studentinnensprecherin – haben sie weder Beruf noch Amt, sondern sind in ihrem Ansehen von der Karriere ihrer Männer abhängig, die sie natürlich zu fördern suchen. Interessant ist, dass die drei zwar einen eher destruktiven Charakter haben, den aber hinter scheinheiliger Besorgtheit um das Wohlergehen ihrer Mitmenschen und den guten Ruf Hempnells verbergen. So ist z. B. Evelyn Sawtelle eine verbitterte, hagere Frau, die glaubte mit ihrem Gatten Hervey eine schlechte Partie gemacht zu haben – immerhin hatte sie auf eine 'glänzende' Karriere als Schauspielerin verzichtet. Nun setzt sie alles dran, damit Hervey wenigstens Dekan der soziologischen Fakultät wird.
Zum Plot: Wie die Differenz zwischen Anschein und Sein beim Setting und den Figuren eine große Rolle spielt, ist sie auch beim Plot wichtig, denn er erinnert in gewissen Maßen an einen Spionagethriller. Während die Männer ein normales Akademikerleben führen, führen die Professorengattinnen im Verborgenen einen kalten Hexenkrieg: Es werden Zauberformeln erforscht, Horn oder Haar von potentiellen Opfern gesammelt und Aufnahmen von australischen Buschrasseln gemacht. Doch Norman zwingt Tansy, ihre Schutzmaßnahmen fallen zu lassen, und damit beginnt der Thriller. Zunächst sind es kleine nervige Ereignisse, aber schon bald fließt Blut und höchste Gefahr entsteht. Dennoch folgt die Spannung weniger aus actionreichen Lösungen – es gibt nur eine Actionszene und auch das nur, wenn man ein Auge zudrückt – sondern vielmehr aus dem Horror, der entsteht, wenn man mit dem bedrohlichen Übernatürlichen konfrontiert wird, das aufgrund des akademischen Hintergrundes nicht akzeptiert werden kann. Und dabei beginnt es als harmloser Schwank, bei dem die Herren Professoren Pantoffelhelden sind und die Gattinnen nach außen lieb und nett tun, heimlich aber einen Zickenkrieg führen.
Plotaufbau und Plotfluss sind wiederum mustergültig: Schnell ist die Ausgangslage angerissen und der Stein ins Rollen gebracht; im Verlauf werden Setting und Figuren weiterentwickelt, bis die Ereignisse immer dringlicher werden und sich in den Vordergrund schieben. Schließlich wird klar, worum es geht. Auch wenn am Ende die Situation geklärt ist, bleiben einige Fäden offen und der Leser kann den Ausblick selbst überlegen.
Auch die Erzähltechnik tritt hinter den Plot zurück. Es gibt nur einen Strang, der aus der personalen Perspektive Normans geschildert wird. Abgesehen von ein paar Rückgriffen entwickelt sich der Roman progressiv. Zwar gibt es am Ende einen kleinen Sprung, über dessen Wert gestritten werden kann, aber dieses ändert nichts am dramatischen Aufbau des Plots.
Der Stil ist leicht ironisch und sarkastisch, was hervorragend zum Sprachduktus Normans passt. Die Sätze sind wechselhaft konstruiert – eher kurz als lang, meist gradlinig, selten verschachtelt – stehen dem Plotfluss aber nie im Wege. Die Wortwahl ist sehr treffsicher – damit auch ein großes Lob an Joachim Körber, der Hexenvolk übersetzt hat.
Ein neunseitiges Nachwort von Christian Endres rundet das Buch ab. Endres ordnet Leibers Oeuvre im Allgemeinen und Hexenvolk im Besonderen in den literarischen Kontext ein und hebt lobend dessen Leistungen hervor. Bei der Eloge überzieht er allerdings bisweilen: Hexenvolk ist keineswegs "das erste Aufbäumen der neuzeitlichen unheimlichen Phantastik – der erste bewusste (und geglückte) Versuch, die rostigen, rasselnden Gespensterketten der angestaubten Schauerliteratur zu zerreißen und dafür neue, von der Jetztzeit geprägte 'Gespenster' – sich von Neurosen und Ängsten ernährende innere Dämonen! – eine neue Generation Horror-Leser heimsuchen zu lassen." Schon Edgar Allan Poe behauptete etwa hundert Jahre zuvor, dass der Schrecken nicht aus Deutschland, sondern aus der Seele komme.
Fazit:
Erschrocken entdeckt der Ethnologe Norman Saylor, dass seine Frau Tansy sich für eine Hexe hält, und will diese Neurose bekämpfen, indem er sie drängt alles, was mit Hexerei zusammenhängt, zu vernichten – doch wie werden die konkurrierenden Hexen auf das Verschwinden der Schutzzauber reagieren? Mit dem Gruselroman Hexenvolk demonstrierte Fritz Leiber nicht nur sein handwerkliches Vermögen: Sehr gelungen sind die verschiedenen Aspekte Setting, Figuren, Plot und Erzähltechnik aufeinander abgestimmt, sondern etablierte auf den Alltagsmenschen als Schurken in der phantastischen Literatur – spannende Grusel-Unterhaltung.
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