Idaho Winter (Autor: Tony Burgess)
 
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Idaho Winter von Tony Burgess

Rezension von Matthias Hofmann

 

Rezension

Abseits der großen Verlage und einschlägigen Genrereihen gibt es immer wieder Bücher zu entdecken, die einer näheren Betrachtung lohnen. Der Kanadier Tony Burgess hat mit Idaho Winter ein kleines Faszinosum geschrieben, welches mit mehr als einer Dekade Verspätung beim Verlag Klaus Wagenbach auf Deutsch erschienen ist. Der Berliner Kleinverlag, der sich auf seiner Homepage als »der unabhängige Verlag für wildes Lesen« bezeichnet, preist »Idaho Winter« auf dem Klappentext etwas vollmundig mit diesen Worten an: »Eine abgefahrene Hommage ans Geschichtenerzählen – selbst Lewis Carroll und Roald Dahl können da einpacken.«

 

Was auf jeden Fall stimmt, ist die Klassifizierung »abgefahren«, denn die Handlung macht nach den ersten neun Kapiteln ein Salto. Aber der Reihe nach.

 

Ein Junge namens Idaho Winter ist der meistgehasste Schüler in seiner Klasse. Und nicht nur das. Wirklich alle hassen ihn: die Nachbarn, die Schülerlotsen, ja, selbst seine eigenen Eltern und sein Hund Growler wollen ihm nichts Gutes. So befiehlt ihm zum Beispiel Early Winter, sein Vater, zum Frühstück einen toten Waschbären zu essen, den Growler angeschleppt hat und dessen Kehle und Bauch mit Fliegen bedeckt sind: »Iss die Backen und putz dir mit dem Schwanz die Zähne.«

 

Idahos erster Schultag wird zur Hölle auf Erden. Später hetzt die Polizei drei bösartige, blutrünstige Pitbulls auf ihn. Ihr Besitzer findet die Jagd prima. Er will nämlich, dass seine Biester den Jungen »töten, fressen und die Knochen verbuddeln«. Kurzum: Idaho Winters Schicksal scheint vorbestimmt. Niemand liebt ihn. Sein Ende ist nah. Da trifft er auf das Mädchen Madison, die ihm ohne Vorurteile begegnet und Zeit mit ihm verbringt. Doch als die rasenden Pitbulls auf die beiden Teenager treffen, kümmern sie sich nicht um den Jungen, sondern um Madison …

 

Nach neun Kapiteln wechselt die Handlungsperspektive vom auktorialen Erzähler in die Ich-Perspektive. Sie springt allerdings nicht in die Sichtweise von Idaho, sondern die des Autors, der unvermittelt in die Handlung gezogen und Teil von ihr wird. Und sehr schnell merkt, dass ihm das nicht gut tut. Über Early Winter sagt er: »Ich wünschte, ich hätte seine Gemeinheit etwas abgemildert.«

 

Fortan übernimmt Idaho Winter die Gestaltung der Geschichte und der Autor kann nur noch reagieren oder sich eher hilflos passiv mit den Gegebenheiten auseinandersetzen.

 

»Idaho Winter« ist völlig verrücktes Erzählgarn, denn die Fantasie des Jungen kennt keine Grenzen. Bei ihm kommen Dinosaurier genauso selbstverständlich vor, wie sogenannte »Mombats« oder die Punkrockband Green Day. Als z. B. deren Musikvideo zum Song Boulevard of Broken Dreams inszeniert wird, kommt ein T-Rex und frisst alle auf: »Bis auf Billie Joe. Der hat sich aus dem Staub gemacht.«

 

Der Roman, mit seinen 144 Seiten, ist schnell gelesen, hinterlässt aber tiefe Spuren, je nachdem wie empfindlich man ist. Der erste Teil, der das miserable, unmenschliche Leben von Idaho Winter beschreibt, ist wirklich nichts für schwache Nerven. Immer wieder setzt Burgess noch einen drauf und zwar so hart, dass man den Glauben an das Gute im Menschen fast verliert. Wenn es das Ziel des Autors war, das unglücklichste und schrecklichste Schicksal aller Zeiten zu beschreiben, dann ist ihm dies gelungen.

 

Nach dem Perspektivenwechsel wird es völlig surreal (oder passend zum Credo des deutschen Verlags: »wild«) und albtraumhaft. Es ist nicht ganz klar, wer irgendwann den Faden verloren hat. Der Autor, seine Hauptfigur Idaho oder die Leserschaft? Oder alle zusammen? Auf jeden Fall sei an dieser Stelle nicht verraten, ob es ein Happy End geben wird oder nicht.

 

Mit dem Titelbild, das wohl die Pitbulls darstellen soll, tat der Wagenbach Verlag dem Buch keinen Gefallen. Es sieht so aus, als ob jemandes kleine Schwester mit einem Layoutprogramm experimentiert hat, ohne essenzielle Grundlagen zu beachten. So ist nicht nur der Name des Verlags bis zur kontrastlosen Unkenntlichkeit in der allgemeinen Farbsuppe geradezu versteckt worden. Zusammen mit dem Rest der Bildcollage. Aber: Das Motiv auf dem Cover des Originals passt auch nicht viel besser, denn es sieht aus wie das eines Fünfziger-Jahre-Pfadfinderbuchs für Kinder und lässt das verunglückte Titelbild von Wagenbach wie das kleinere Übel aussehen.

 

Wenn auf ein Buch die beiden Etikette »Weird« und »Bizarr« zutreffen, dann auf »Idaho Winter«. Der Roman, der auch gut ins Programm des Horror-Spezialisten Festa gepasst hätte, bringt alles durcheinander und spielt mit den Erwartungen seiner Leser. Er ist damit ein blendendes Beispiel für Metafiktion mit einem Twist. »Idaho Winter« ist auf mehrfache Art harter Tobak und fällt definitiv aus dem Rahmen des Gewöhnlichen heraus.

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Buch:

Idaho Winter

Original: Idaho Winter, 2011

Autor: Tony Burgess

Taschenbuch, 144 Seiten

Verlag Klaus Wagenbach, 15. August 2024

Übersetzung: Hans-Christian Oeser

Titelillustration: Julie August [Bildcollage]

 

ISBN-10: 380313370X

ISBN-13: 9783803133700

 

Erhältlich bei: Amazon

 

Kindle-ASIN: B0DBM52HMH

 

Erhältlich bei: Amazon Kindle-Edition


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Erstellt: 17.10.2024, zuletzt aktualisiert: 17.10.2024 20:51, 23743