Im Schatten des Rippers (Sherlock Holmes - Die geheimen Fälle des Meisterdetektivs 1)
 
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Im Schatten des Rippers

Sherlock Holmes - Die geheimen Fälle des Meisterdetektivs 1

Rezension von Oliver Kotowski

 

Rezension:

Mrs. Hudson ist betrübt: Nicht nur, dass Sherlock Holmes seit dem Auszug von Dr. Watson Trübsal bläst, jetzt ist auch noch ein Besucher von Scotland Yard da – ein Inspektor Abberline – und Holmes weist ihn schroff ab. Abberline indes bleibt hartnäckig und bringt schließlich sein Anliegen vor: Wenn Holmes schon nicht bei der Jagd auf den brutalen Prostituiertenmörder von Whitechapel helfen will, dann möge er wenigstens mitteilen, wo sich Dr. Watson aufhalte. Der ist nach seinem Auszug aus der Baker Street und der Heirat nämlich bald in jenem zwielichtigen Stadtteil untergetaucht und soll als Letzter mit dem jüngsten Opfer gesprochen haben. Zudem ist er Arzt und hat anscheinend kein gutes Verhältnis zum weiblichen Geschlecht … Holmes reagiert empört: Watson als brutaler Frauenmörder?! Absurd! Nichtsdestoweniger muss die Polizei mit Watson sprechen, und sei es nur, um ihn von jedem Verdacht zu befreien. Nun nimmt Holmes doch Ermittlungen auf – zwar will er sich nicht an der Hatz nach dem Mörder beteiligen, doch seinen guten Freund kann er keineswegs im Visier der Polizei belassen, zumal er sich anscheinend gerade von seiner Frau getrennt hat. So legt der Meisterdetektiv rasch eine Verkleidung an und begibt sich inkognito ins rohe und übelbeleumdete Eastend, in das alle gescheiterten Existenzen Londons gespült werden.

 

Mit Im Schatten des Rippers beginnt das Label Titania Medien eine neue Reihe: Sherlock Holmes – Die geheimen Fälle des Meisterdetektivs. Zentrale Hauptfiguren sind natürlich Sherlock Holmes und sein treuer Begleiter Dr. Watson. Der erste Fall weist bezüglich des Plots einige Eigentümlichkeiten auf: Zwar ist Holmes Suche nach Watson als Auftakt nicht ungewöhnlich, doch gerade die Auflösung des Falls ist für das Genre Krimi – und insbesondere den doyles‘schen Homes-Geschichten – positiv formuliert: äußerst überraschend. Überhaupt liegen die Spannungsquellen bei Marc Gruppes Holmes klar anders als bei Doyles‘ Holmes. Während bei Letzerem es sich im Wesentlichen um Wundergeschichten handelt, in denen der Leser über den Sieg des akkuraten, rationalen Verstandes über das scheinbare Chaos der Welt – sichtbar gemacht an Holmes deduktivischen Triumph über das verschleiernde, heimtückische Verbrechen – staunt, setzt Ersterer viel mehr auf Thrillerspannung, die mit Horrorelementen versetzt wird. Holmes muss zunächst einmal Watson aus der Schusslinie holen, dann ist der Ripper eine sehr konkrete Gefahr, zwar weniger für Holmes als für seine Mitmenschen, aber einige von denen werden dem Hörer ebenfalls sympathisch gemacht. Dann zu den Horrorelementen: Einerseits wird die Verkommenheit des Viertels betont, was eine düstere Atmosphäre erzeugt, andererseits werden die Opfer zum Teil detailliert beschrieben – und der Ripper lässt grausam verstümmelte Opfer zurück. Hier ist Gruppe zumindest in Momenten nahe beim Splatter. Man könnte sagen, dass der Duktus dieser Folge nicht nur weit von Geist des doyles‘schen Holmes entfernt, er widerspricht ihm sogar. Ob dieses weite Entfernen nun positiv zu werten ist, weil es frischen Wind und viele unerwartete Momente in die Geschichten bringt, oder ob es negativ zu werten ist, weil es die Erwartungshaltung zu wenig bedient – schließlich ist kaum noch der ‚wahre‘ Holmes in den Geschichten zu finden – will ich dem Hörer selbst überlassen. Ich für meinen Teil würde mir jedoch eine gewisse Annäherung an den alten Geist wünschen.

Ein anderes Problem ist die Länge des Skripts: Auch wenn die Leichen zum Teil des Horrors – und damit der Spannung – beitragen, steigert es denselben nicht, wenn mehrfach dieselbe Beschreibung geliefert wird. Auch sonst könnte die Bearbeitung deutlich gekürzt werden. Hier hinein spielt der Umstand, dass sich das Skript relativ eng an die Fakten aus dem Ripper-Fall hält, ihm aber keinen neuen Aspekt abgewinnt – wer sich mit dem Fall schon befasst hat, bei dem werden die Spannungsquellen entsprechend weniger wirken.

Alles in allem ist die erste Folge vom Skript her mindestens gewagt, doch wenn man in Zukunft ein bisschen weniger vom Duktus der Inspirationsquelle abweicht und die Dichte wirksamer Spannungsquellen ein bisschen mehr im Auge behält, würde ich gerne mehr von den geheimen Fällen hören.

 

Wo das Skript sich entfernt, wird in der Besetzung die Nähe gesucht: Joachim Tennstedt, Detlef Bierstedt und Regina Lemnitz übernehmen wie schon in der kurzen Reihe der Krimi-Klassiker die Rollen von Sherlock Holmes, Dr. Watson bzw. Mrs. Hudson. Die Drei sind Veteranen, die ich nicht weiter vorstellen muss. Auch sonst wird eher auf Veteranen gesetzt: Christian Stark, der den Inspektor Abberline spricht, kann aus Hörspielreihen wie Perry Rhodan Sternenozean, Schwarze Sonne, Reiterhof Dreililien, und in Nebenrollen treten Größen wie Marianne Groß oder Eva Michaelis auf. Es sprechen aber auch weniger bekannte Hörspielsprecher wie Axel Lutter als Ripper, den man z. B. aus Gabriel Burns, Point Withmark oder eben dem Gruselkabinett kennen kann, oder Polonca Olszak, die mir bisher nur aus Titania Medien-Produktionen bekannt ist und auch da eher kleine Rollen hat: in Der Sandmann seufzt sie die Automate Olimpia.

Entsprechend der vielen großen Namen liefert die Sprecherriege eine Top-Performance ab, und auch die weniger bekannten fallen keineswegs auf; indes hat mir besonders die Vorstellung Tennstedts gefallen, der seine Stimme passend zur Verkleidung verstellt.

 

Die Inszenierung ist recht typisch für das Label Titania Medien, vielleicht ein wenig moderner als üblich: Einen Erzähler im eigentlichen Sinne gibt es nicht, auch wenn Watson gelegentlich dessen Funktionen übernimmt. Die Geräusche werden ausschließlich untermalend verwendet, dafür in den meisten Szenen recht dicht: das Plätschern von Regentropfen, das Klirren von Tassen, das Klacken von Schritten – es sind fast immer Geräusche im Hintergrund zu hören. Die Musiken werden ebenfalls zumeist untermalend eingesetzt: Dunkle, drohende Bläser und Streicher, die einen guten Anteil an der düsteren Atmosphäre haben. Die Inszenierung ist so gut, vielleicht noch ein bisschen besser, wie man es von Titania-Produktionen gewöhnt ist.

 

Fazit:

Im Londoner Eastend wütet ein brutaler Prostituiertenmörder, der offenkundig über anatomische Kenntnisse verfügt – und Dr. Watson ist nicht nur in Whitechapel abgetaucht, er hat auch als Letzter mit dem jüngsten Opfer gesprochen. Es gilt für Holmes, seinen alten Freund vom Verdacht zu befreien. Titania Medien startet seine neue Reihe Sherlock Holmes – Die geheimen Fälle des Meisterdetektivs mit einem gewagten Fall: Im Schatten des Rippers entfernt sich inhaltlich sehr vom Geist der Werke Doyles; dafür gibt es weder an der Sprecherperformanz, noch an der Inszenierung etwas auszusetzen. Ich bin gespannt, wie es mit der Serie weitergeht.

 

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Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 20240420080350d7b963a8
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Hörspiel:

Im Schatten des Rippers

Reihe: Sherlock Holmes - Die geheimen Fälle des Meisterdetektivs 1

Buch: Marc Gruppe

Produzent: Stephan Bosenius & Marc Gruppe

Label: Titania Medien

Erschienen: Oktober 2011

Umfang: 1 CD, ca. 75 min

ASIN: 3785745249

Erhältlich bei: Amazon


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Erstellt: 08.11.2011, zuletzt aktualisiert: 19.04.2024 07:55, 12206