In einer Sommernacht (Autor: Dirk Wonhöfer)
 
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In einer Sommernacht

Autor: Dirk Wonhöfer

 

Der Mondsee. Schneeweiß liegt er vor mir, während sich die Strahlen des Mondes auf seiner Oberfläche fangen und wie Wasserkristalle glitzern. Ich schließe die Augen und spüre den kühlen Hauch der Nässe an meinen Beinen, wo die Wellen gegen das Ufer schlagen.

„Die Liebe ist das einzige im Leben, das zählt“ sagte einst ein alter Mann zu mir, als ich noch ein Kind war. Kind sein – was hat es damit auf sich? Man besitzt noch Illusionen, schätze ich. So wie der See einem Unwissenden vorgaukelt, er würde tatsächlich das Mondeslicht einfangen.

Mein Blick wandert zum Himmel, an dem einige Wolken treiben. Die Mitte der Nacht ist noch nicht erreicht. Es bleiben noch einige Momente, bevor meine geliebte Laviana meinen Bruder zum Mann nimmt. Einige kurze Augenblicke, in denen ich die Welt ohne die aufwallende Wut betrachten kann, die ich in meinem Magen spüre wie eine rote Wolke, treibend durch die Dunkelheit, die Unschuld verschlingend.

Ich steige aus dem Wasser und wandere barfuss am Ufer entlang zur Brücke der Seelen, wo die Zeremonie stattfindet. Kleine Ästchen knacken unter meinem Tritt, ihr Brechen erinnert mich an die splitternde Liebe in meinem Herzen.

Wieder höre ich ihre Stimme an meinem Ohr. Sie ist so wispernd und zart im harten Angesicht der Wahrheit: „Jovalis“ sagt sie, während ihre Hand über meine Wange fährt. „Jovalis. Wir können einander nicht finden. Es ist uns nicht bestimmt. Nicht in diesem Leben.“

Ich frage mich, welchen Sinn mir dieses Leben dann noch bietet.

Leise Stimmen dringen aus der Ferne an mein Ohr. Die Zeremonie hat wohl schon begonnen. Ich verspüre nicht mehr den Drang, mich unter die Anwesenden zu mischen. Schon jetzt sehe ich ihre leeren Augen und fragenden Gesichter vor mir. Wo war der Prinz am wichtigsten Tag im Leben seines Bruders? Warum hat er Laviana und Najanir nicht gratuliert?

Ich stelle mir diese Frage selbst und komme nur zu einer einzigen Antwort. Je mehr ich über sie nachdenke, desto mehr kann ich mich mit ihr anfreunden. Manchmal werden Gedanken zu einer seltsamen Gewissheit, je länger man sie mit sich herum trägt. Und die heutige Nacht scheint wie geschaffen dafür, diese Welt zu verlassen.

Die Luft ist warm, prickelt auf meiner Haut. Es liegt etwas in ihr, das ich seit meiner Kindheit nicht gespürt habe. Vielleicht ist es die Einsamkeit, die ich vermisse. Die Abgeschiedenheit des Sees, die ich früher jeden Tag spürte. Sie ruft mich zu sich, doch noch will ich ihren Fußtritten nicht folgen.

In den Gräsern um mich und im nahen Wäldchen wird es langsam hell. Die Flügel Tausender Glühwürmchen beginnen zu surren. Überall tauchen winzige Lichter auf. Die Zeremonie bei der Brücke muss ihrem Höhepunkt nahe sein, wenn die Vei’i die Feuerfliegen zu sich ruft.

Mit einem Mal ist da ein neues Gefühl in mir. Es begehrt auf, ist stärker als jeder andere Wille. Es drängt mich und ergreift Besitz von meinen Füßen, lässt mich rennen. Es ist die Hoffnung. Sie treibt mich an, schneller und immer schneller. Ich zittere, spüre, wie mein Herz rast.

Ich laufe zur Brücke. Vielleicht ist noch nicht alles verloren. Vielleicht kann ich noch etwas verändern. Meine Schritte werden größer, ebenso wie meine Unsicherheit. Vielleicht gibt es einen Ausweg.

Es ist die Ungerechtigkeit, die mich zerfrisst. Liebe sollte im Stande sein, jede Hürde zu überwinden und jede Schranke zu zerbrechen. Doch das ist sie nicht. Sie wird von törichten Gefühlen zusammen gehalten und von Traditionen und Verpflichtungen in ein so enges Korsett geschnürt, dass ihr die Luft zum Atmen fehlt.

Der Schwarm der Feuerfliegen ist vorüber gezogen, nur noch ein glimmender Punkt weit vor mir. Die erleichternde Dunkelheit der Nacht ist zurück gekehrt.

Vielleicht schaffe ich es. Vielleicht ist es noch nicht zu spät.

Doch was kann ich noch tun, selbst wenn ich rechtzeitig bei der Brücke eintreffen sollte? Wie könnte ich noch etwas ändern? Ich renne weiter. Vielleicht aus Angst, Lavianas Gesicht nie wieder zu sehen, wenn ich zu langsam bin.

Ohne auf den Untergrund zu achten, sprinte ich nun, fühle den Wind in meinem Haar. Die Gräser sind nass vom Tau und rutschig, bringen mich ein paar Mal zum Straucheln. Doch ich lasse mich nicht beirren.

Vielleicht kann ich alles ändern. Vielleicht. Und doch weiß ich, dass es mir unmöglich ist. Trotzdem renne ich weiter. Laviana und Najanir küssen sich wahrscheinlich in diesem Augenblick. Mein Magen revoltiert und ich muss ihn zur Ruhe zwingen.

Ein Bild blitzt vor meinem geistigen Auge auf: Laviana, die ihren Kopf neigt und das Amulett empfängt, das die beiden auf ewig binden wird. Ich stolpere, falle und rutsche über die Wiese. Als ich mich aufrichte, klärt sich mein Blick. Ich bin längst am Ziel. Einige auf dem Boden sitzende Elfen sehen verwirrt zu mir, einer reicht mir eine hilfreiche Hand.

Doch ich beachte sie alle nicht, sondern taumele nach vorn. In alle Richtungen blicke ich mich um, verzweifelt und auf der Suche. Laviana! Sie ist nicht hier? Ich trete nach hinten und stürze erneut, diesmal über einen anderen Elf. Etwas entschuldigendes murmelnd richte ich mich wieder auf und entdecke endlich das Pärchen. Die beiden knien demütig vor der Vei’i und empfangen ihren Segen. Schmerzlich wird mir bewußt, dass die Zeremonie vorbei ist, meine Laviana einem anderen gehört. Jetzt werde ich mir auch wieder meiner Umgebung gewahr und blicke mich zwischen den Elfen um.

Die Hochzeit ist vorüber. Alles erscheint nun dunkel, hoffnungslos. Das Gefühl, noch etwas ändern zu können, ist gewichen, hat nur Leere zurück gelassen. Es gibt keine Gerechtigkeit. Ich werde jetzt aus dieser Welt schreiten. Ich hatte nicht vor, es im Beisein meines Volkes zu tun, doch das ist mir nun Gleichgültig. Die Einsamkeit werde ich noch früh genug erfahren.

Ich nehme den Dolch aus der Scheide und betrachte die Klinge. Sie wird mein Herz berühren, tiefer als die Liebe und endgültiger. Sie funkelt im Mondlicht, so rein und unschuldig und zugleich so todbringend.

Jemand schreit erschrocken, aber ich lasse mich nicht ablenken. Es fühlt sich richtig an, meinen Entschluss in die Tat um zu setzen. Seltsam, ich fühle mich lebendiger als sonst. Wie damals, als ich noch ein Kind war. Doch heute ist alles anders.

Ich setze den Dolch an meine Brust, als ein dünnes Pfeifen ertönt, danach ein erstickter Schrei. Meine Finger verkrampfen sich um den Griff der Waffe, die ich gerade noch in mein Herz treiben wollte. Ich blicke mich um und schaue in entsetzte, gaffende Gesichter. Eine plötzliche Ahnung lässt mich zum Pärchen aufsehen. Najanir steht auf der Mitte der Brücke, einen Pfeil in der Brust. Ein zweites Zischen, und nur einen Augenblick später kippt Laviana nach hinten, in den Kopf getroffen.

Ich folge den ausgestreckten Fingern der Elfen und entdecke eine dunkle Gestalt am Rande des Waldes, die einen Bogen trägt. Meine rechte Hand bewegt sich wie von allein, fasst den Dolch fester und schleudert ihn nach vorn. Der Schemen fällt, bevor er die Möglichkeit hat, wieder in den Wald zu flüchten. Auch ich sinke nach hinten und spüre, wie die Welt sich dreht.

Aufgeregte Stimmen um mich herum rufen Dinge, die keinen Sinn ergeben, während mich Hände packen und vom Boden heben. Jemand sagt etwas sonderbares: Er habe gesehen, wie ich versuchte, die beiden zu retten.

Ein Attentat, flüstert eine leise Stimme in meinem Schädel. Ein Attentat. Und ich war so beschäftigt mit mir selbst, dass ich es nicht kommen sah. Vielleicht hätte ich es verhindern können.

Man trägt mich fort und spricht darüber, welch ein Glück es sei, dass mir nichts zugestoßen ist. Rufe erklingen, der Prinz habe überlebt.

Und ich schließe meine Augen und sehe Lavianas Antlitz vor mir.

 

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Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 202412091044125b8b809d
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Erstellt: 27.07.2005, zuletzt aktualisiert: 27.09.2016 09:58, 797