Interview: Helmuth W. Mommers (2005)
 
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Interview mit Helmuth W. Mommers

Helmuth W. Mommers wurde 1943 in Wien geboren und war als Autor, Zeichner, Übersetzer, Literaturagent und Herausgeber von Anthologien einer der ersten Allrounder der SF-Szene. Mit seiner Beteiligung an NOVA und seinem Erzählband Sex, Love, Cyberspace, der vor Kurzem im Blitz-Verlag erschien, feiert er sein Comeback in der Science Fiction-Szene.

 

Michael Schmidt: Hallo Herr Mommers, 36 Jahre Pause, dann die Rückkehr. Stellen Sie sich doch den Lesern von FantasyGuide kurz vor. Wer ist H.W.Mommers? Wie kam es zum späten Comeback?

 

H.W. Mommers: Jener HWM, ein 14-jähriger Jüngling, war zwar kein SF-Fan der allerersten Stunde, aber beinahe. Gemeinsam mit meinem Schulfreund und späteren Co-Editor der berühmten Heyne-Anthologien Arnulf Dieter Krausz trat ich 1960/61 in den österr. SF-Club ein, lernte dort u.a. Ernst Vlcek, Kurt Luif (Neal Davenport), Hubert Strassl (Hugh Walker) und Axel Melhardt kennen; mit vereinten Kräften gaben wir das damals massgebende Fan-Magazin “Pioneer” heraus, mit Schwerpunkt in- und ausländische Kurzgeschichten, das einen bescheidenen, aber wichtigen Ersatz für die ersten beiden eingegangenen Reihen “Utopia-Magazin” und “Galaxis” darstellte. Rasch machte ich mir als Autor und Illustrator einen Namen, wurde zum besten Fan-Autor und Fan-Zeichner 1961 gekürt. Walter Ernsting (Clark Darlton) verschaffte mir den ersten Übersetzerauftrag; was lag näher, als den Sprung ins Profilager zu wagen. Ein erster Storyband, gemeinsam mit Ernst Vlcek verfasst, erschien 1964 in der TERRA-Reihe, gleich darauf ein zweiter, dann 1965 der Romanzyklus DAS GALAKTIKUM. Es folgten 6 SF- und 3 Horror-Paperback-Anthologien bei Heyne.

 

Jener 20jährige HWM war ein Gipfelstürmer: er wollte hoch hinaus, und das sehr schnell, und ohne Sauerstoffmaske. Er hatte grosse Ideen: ein SF-Magazin bei Moewig, eine Fantasy-Reihe, das Lektorat über sämtliche Kurzgeschichten bei Moewig/Heyne – Projekte abgelehnt, der Zeit voraus. Der Ausbau der Agentur zur bedeutendsten auf dem Markt (durch Kooperation mit einer anderen) – wohlweislich vom Verlagschef verhindert; HWM wäre ihm zu marktbeherrschend geworden.

 

Jener HWM – und darin unterscheidet er sich nicht vom heutigen – hatte keine Geduld. Dafür Träume. Und Ehrgeiz. War bereit, sein Können und seinen Fleiss in die Waagschale zu werfen, um voranzukommen. Als er 23jährig realisierte, dass das so einfach und so schnell nicht ging, warf er das Handtuch und machte in der Schweiz Karriere.

 

Mein Comeback? – Ich wurde, spät aber doch, stolzer Besitzer eines PC, und erfuhr im Internet, dass unser Romanerstling soeben nachgedruckt worden sei. Und wenig später, dass Ernst Vlcek seinen 60. Geburtstag feierte. Also meldete ich mich von den Scheintoten zurück und besuchte meine alten SF-Freunde in Wien. – Und plötzlich packte mich die Schreibwut. Meine alte Liebe, die Science Fiction, hatte ich zwar sträflich vernachlässigt, mich aber nie von ihr scheiden lassen. Wir waren nur “getrennt von Tisch und Bett”, trafen uns aber gelegentlich im Urlaub beim Lesen. So war ich beeindruckt von Gibsons NEUROMANCER und Bovas DEATH DREAM. Und vom Internet, das ich eben erst kennengelernt hatte. Schon sah ich tausend Möglichkeiten, schlugen meine Gedanken Purzelbäume ...

 

Im Winter pflege ich zwei Monate in den Schweizer Bergen zu verbringen, da kann man nicht schwimmen, nicht golfen. Nur wandern (ich fahre nicht mehr Schi), und ins Fitness-Studio. Also kaufte ich mir einen Labtop und sagte mir “mal sehen, ob du’s noch kannst” – und legte los. Das war Weihnachten 2001. Vier Monate später war mein erster Erzählband fertig. Gott-o-Gott, hatte ich Bammel bei den ersten Seiten!

 

 

Michael Schmidt: Ihr Storyband “Sex, Love, Cyberspace“ handelt überwiegend von „normalen“ Menschen und den Einfluss der neuen Medien. Eher eine Seltenheit in der SF-Literatur. Ist diese realitätsnahe SF eine Marktlücke?

 

H.W. Mommers: Wenn man von Michael Crichtons (und Andreas Eschbachs und Ben Bovas) Erfolgrezept ausgeht, müsste das eine Marktlücke sein. Aber darum gings mir gar nicht.

 

Und was “normale” Menschen betrifft: Ja, davon ausgehend, dass sie immer noch Gefühle haben, Sehnsüchte und Begierden, Hass und Liebe, und vor allem getrieben vom Sex sind wie wir alle seit ewigen Zeiten, dann sind meine Figuren ganz normale Leute wie Du und ich. – Sonst aber haben sie sich im Verlauf der nächsten 2 Jahrhunderte durchaus weiterentwickelt – die moderne Medizin machts möglich: Sie sind grösser, gesünder, leben länger, sind gendesigned, im weiteren Verlauf sogar geklont oder elektronisch nach dem Tode weiterlebend.

 

 

Michael Schmidt: Science Fiction und Sex erscheinen selten in einer Geschichte. Was bewog Sie, erotische SF-Geschichten zu schreiben? Und warum findet man in der SF-Literatur sowenig Sex und Erotik?

 

H.W. Mommers: Betrachtet man den Cyberspace als neues Medium, und ich gehe fest davon aus, dass wir ihn perfektionieren werden, eröffnet er ungeahnte Möglichkeiten, uns vom “Joch des Fleisches” zu befreien. Das revolutioniert vorallem auch den Sex. Was das Internet geschafft hat, schafft der Cyberspace zur Potenz. Für uns Hedonisten und Angehörige der Spassgesellschaft – die wir nun einmal sind – ist das Thema viel zu wichtig, um es aussen vor zu lassen. Als ich 2002 meine erste Geschichte SCHLARAFFENLAND (es sollte eine Story werden, wurde aber ein Kurzroman) geschrieben hatte, fand ich, das beleuchte nur den Bruchteil der Möglichkeiten. Tausend Ideen kamen mir, sie sprudelten förmlich hervor. Es drängte mich, wenigsten noch ein, zwei, drei weitere Gesichtspunkte zu beleuchten. Dort angelangt, fragte ich mich, warum nicht gleich einen Erzählband füllen? Also entwarf ich insgesamt 10 Geschichten, die die Entwicklung, verteilt über 200 Jahre, in verschiedensten Aspekten aufzeigten – noch längst nicht alle, das Thema gibt viel mehr her.

 

Warum man sowenig Sex und Erotik in der SF findet? – Wie ich heute, da ich “studienhalber” durch das Schaffen deutscher SF-Kurzgeschichten-Autoren von 1966-1989 ackere, weiss, gab es in den 70ern mehrere Anthologien über dieses Thema, als habe man Aufholbedarf gehabt. Es kommt mir vor, als habe man damals die Befreiung von einigen Tabus gefeiert, und durchaus nicht zimperlich. Es ist ein Thema, das eher das “breitere Publikum” anspricht, weniger den Hard-SF-Anhänger. Der erwartet Handfesteres... Oder mehr Action – siehe MATRIX, das zumindest im 2. Teil zu einer reinen Gewaltorgie ausgeartet ist. Bei mir wird wenigstens nicht auf Teufel-komm-raus gebumst; in Tat und Wahrheit weniger als im Fernsehen, wo einem spätestens nach 5 Minuten ein für die Handlung völlig irrelevanter Austausch von Körperflüssigkeiten vorgesetzt wird (wohl als Appetithäppchen gedacht).

 

 

Michael Schmidt: “Sex, Love, Cyberspace“ erzählt von den Auswirkungen der Neuen Medien. Mit Jahrgang 43 sind sie ja nicht der Jüngste. Wie sehen sie die Auswirkungen der ständigen Weiterentwicklung der Gesellschaft auf die ältere Generation? Wie halten sie sich fit für diesen Änderungsprozess? Und welchen Vorteil haben sie als SF-Autor gegenüber ihren „normalen“ Altersgenossen?

 

H.W. Mommers: Nun, ich werde im November 60, und nicht zu Unrecht werden Männer meines Alters, die sich am Anblick jugendlicher weiblicher Reize erfreuen, “geile alte Böcke” genannt. Nur dass es meist beim Gucken bleibt, es sei denn, Viagra springt hilfreich ein. Und das ist erst der erste Schritt; die Medizin wird uns “Alten” vermehrt einen Jungbrunnen schenken. Also werden wir länger vital und aktiv bleiben – und unseren Spass haben wollen!

 

Ich persönlich halte mich fit seit zwanzig Jahren durch Krafttraining, neuerdings durch meinen Wiedereinstieg in die Welt der Computer, durch das Internet (oh, welch Wohltat, das es emails gibt; was täte ich sonst von Mallorca aus mit meinen literarischen Ergüssen!), durchs Schreiben (die grauen Zellen werden trainiert) und durch meine Aktivitäten in der SF-Szene.

 

Leider gehöre ich zur Generation der zu früh Geborenen, um mehr als eine Marslandung – oder auch nur den Cyberspace – zu erleben. Mein “Vorteil” als SFler gegenüber den “Normalos” ist eigentlich der Nachteil, dass ich im Wissen um all die verpassten Möglichkeiten es beklagen muss.

 

 

Michael Schmidt: Den Cyberpunk gab es in dieser Form in den Sechzigern Jahren nicht. Worin würden sie die Unterschiede von damals und heute sehen? Sowohl in der SF als auch in der Gesellschaft?

 

H.W. Mommers: Gibson mag Punk sein, meine Stories sind es nicht. In den 50ern waren es Hologramme oder Androiden (Silverberg: DIE FRAU MEINER TRÄUME), in den 60ern Halluzinogene oder Ausserirdische (Mommers/Vlcek: DER TRAUMPALAST, aus TRAUMWELTEN, Blitz), in den 70ern Sensikino (Ziegler: DIE SENSITIVEN JAHRE), in den 80ern Cyperpunk (Gibson), in den 90ern Cyberspace (Bova). Zu Beginn der 10er-Jahre des neuen Jahrtausend steht mein Erzählband.

 

Seit den 60ern hat eine kontinuierliche Sex-Revolution in unserer “zivilisierten” Gesellschaft stattgefunden. Wer’s nicht miterlebt hat, frage seine Eltern. Ich höre ihn “tsk, tsk” sagen und sehe ihn den Kopf schütteln. So wie die Teenies in der Eingangsgeschichte SAFER SEX. – Die Revolution wird explosionsartig voranschreiten, gesetzt den Fall, der Cyberspace kommt. Da sollten wir uns schon mal Gedanken machen ... so wie ich.

 

Die Gesellschaft hat sich weit mehr gewandelt als die SF. Immer mehr lautet das Motto: schneller, höher, weiter, freier, intensiver – ein immer stärkerer Kick muss her! So wie Bauklötze und das erste Fahrrad meine Kindheit begleiteten, sind es heute Gameboy und Töff. Was für uns ein Ausflug ins Grüne war, muss heute die Karibik sein. Wenn wir Brillantine ins Haar schmierten und einen Rock-and-Roll auflegten, war das unerhört; heute piercen und tatooen sich die Jugendlichen an den unmöglichsten Stellen, färben sich die Haare grün und lila, oder rasieren sich gleich den Schädel, laufen nabelfrei und gehen zum Schönheitschirurgen, und sagen den Alten, was für Ärsche sie sind, wenn die mal wagen, zu protestieren. Schluckten wir mal (eine echte Ausnahme) ein Aufputschmittel vor der Prüfung, kifft und kokst sich die heutige Jugend – dumm und dämlich. Wer glaubt, wir seien am Ende der Fahnenstange angelangt, ist naiv.

 

 

Michael Schmidt: Sie sind Mitherausgeber von NOVA. Erzählen Sie uns von diesem Projekt! Welche Ziele haben Sie und ihre Mitherausgeber?

 

H.W. Mommers: Wir alte Hasen – Ronald M. Hahn, Michael K. Iwoleit und ich – wollten einfach die Misere auf dem deutschen SF-Markt, vor allem auf dem Sektor der Kurzgeschichte, nicht länger tatenlos mitansehen. Also taten wir was. Und mit überraschendem Erfolg. Wenn die Auflage gross genug geworden ist, könnten wir es kommerziell angehen und Honorare ausrichten. Wäre das nicht toll?! – Wieder ein SF-Kurzgeschichten-Magazin, als Forum für deutsche Autoren, von talentiert bis prominent. Die Nummer 3 erscheint im Oktober, Näheres unter www.nova-sf.de. Und keine Sorge: es ist absolut professionell gemacht, hat schon den 1. und 2. Platz beim Deutschen Science Fiction Preis 2003 errungen und zwei Stories wurden auch für den Kurt Lasswitz Preis nominiert.

 

 

Michael Schmidt: Werden Sie in Zukunft vermehrt als Herausgeber in Erscheinung treten? Oder bleibt NOVA die Ausnahme?

 

H.W. Mommers: Wenn sich mir Gelegenheit bietet, bleibt es nicht bei NOVA. Ich bin noch voller Tatendrang. Ich habe einige Verlage angehauen, vielleicht klappt ja was. Und liebendgerne würde ich eine jährliche Anthologie herausgeben. Die finanziellen Mittel dazu habe ich, die Erfahrung auch, aber eigens einen Verlag gründen mag ich nicht.

 

 

Michael Schmidt: Wie sieht es mit dem Schreiben aus? Was wird demnächst von H.W.Mommers veröffentlicht?

 

H.W. Mommers: Ah, ich liebe diese Frage! Da kann ich meine Leser endlich beruhigen und sagen, nein, keine Bange, zehn Geschichten über Cybersex reichen, vielleicht ausnahmsweise mal eine noch reingestreut, aber da sind noch viele Pfeile in meinem Köcher. Seit meinem Wiedereinstieg habe ich 25 Stories verfasst, von den 15 anderen befassen sich zwar auch einige mit den Auswüchsen des Cyberspace (der “neuen Medien”), aber auch mit Zeitreise, Androiden, Künstlicher Intelligenz, Fremden Welten, Erstkontakt, ja sogar mit dem Papst.

 

Ausserdem arbeite ich an einem Roman, der zum einen auf der realen Welt der “toten (weil vergänglichen) Lebenden”, zum anderen der virtuellen der “lebenden Toten” handelt. Der Konflikt zwischen beiden Welten ist vorprogrammiert.

 

Demnächst erscheint in NOVA 3 die Story “Geschenk von den Sternen” – Ronald fand sie “pfundig”. Und mehrere Geschichten sind bei c’t Magazin für Computertechnik in Planung.

 

 

Michael Schmidt: Bei Blitz erschien der Band “Traumwelten” in Zusammenarbeit mit Ernst Vlcek. Wird es eine Neuauflage der Zusammenarbeit geben? Oder eine Zusammenarbeit mit einem anderen Autorenkollegen?

 

H.W. Mommers: Nein, Ernst ist zu sehr ins Perriversum abgetaucht. Aber eine lustige Geschichte haben wir doch gemeinsam verfasst, das heisst “als flotten Dreier” mit Uschi Zietsch. Nein, nein – kein Sex! Aber neue Medien.

 

 

Michael Schmidt: Die letzte Frage. Was wünschen Sie sich als Mensch und Autor für die Zukunft?

 

H.W. Mommers: Dass ich noch mindestens 10 Jahre bei guter geistiger und körperlicher Gesundheit bleibe, um meinen bescheidenen Beitrag zur geliebten SF zu leisten. Sie hat mir viel geschenkt, ich möchte ihr was zurückgeben.

 

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Erstellt: 03.05.2005, zuletzt aktualisiert: 27.08.2018 10:29, 192