Fantasyguide Steampunk, romantische Fantasy – es gibt Autoren, die sich gegen Klassifizierungen wehren und andere, die sich in einer Untergattung wohl fühlen. Mir scheint, Du wirst das 19. Jahrhundert nicht so schnell verlassen, oder?
Ju Honisch Ich mag das 19. Jahrhundert. Ich habe ja tatsächlich einen Hochschulabschluss in Geschichte (Staatsexamen und Magister). Ich fühle mich in der Vergangenheit zu Hause, wobei ich aber froh und dankbar bin, im Hier und Jetzt zu leben, nicht zuletzt weil ich solche Errungenschaften wie medizinische Versorgung, soziales Netz und last but not least Innentoiletten wirklich erfreulich finde.
Trotzdem ist die Vergangenheit eine wunderbare Spielwiese, denn sie wird aus unserem Blickwinkel vereinfacht wahrgenommen, scheint nicht so vielschichtig und komplex oder kompliziert zu sein wie das Hier und Jetzt. Ein Irrtum natürlich, aber ich schreibe ja Romane und keine historischen Forschungsarbeiten.
Und ja, ich werde dem 19. Jahrhundert wohl noch ein bisschen treu bleiben. Der nächste Roman, der 1867 spielt, ist bereits fertig geschrieben. Und der übernächste ist auch schon recht weit gediehen. Danach würde ich gerne etwas Urban Fantasy in der Jetztzeit ausprobieren. Plan steht schon.
Und was die Romantik angeht – vor der muss man keine Angst haben. Liebe ist ein Grundbedürfnis, und man bekommt auch in unserem Land nicht den Schulabschluss aberkannt, wenn man mal ein bisschen romantisch sein möchte. Es ist okay, Leute. Wir dürfen auch mal träumen. Ehrlich.
Andere Länder tun sich damit allerdings meist etwas leichter.
Fantasyguide Mir fiel beim Lesen von Autorinnen wie Marion Zimmer Bradley, Diana Gabaldon oder Jennifer Roberson auf, dass es immer wieder Punkte gibt, an denen mich die weibliche Schwäche und Eingeschränktheit der Hauptfiguren nervt. Sind das nur dramaturgische Details oder eine notwendige Charakterisierung?
Ju Honisch Nun, wenn man ein historisches Setting hat, dann ist die Eingeschränktheit der handelnden Damen schlichtweg vorgegeben. Da ist zum einen die Vorgabe der Erziehung – oder des bewusst betriebenen Mangels derselben –, aber nicht zuletzt auch einfach die Kleidung. Wer ein Korsett, das einem die Luft abschnürt, und ein Krinolinenkleid mit 1,5m Durchmesser trägt, der springt nicht grade mal mit Elan auf den Tisch und zieht ein Schwert.
Man kann natürlich sozialgeschichtlich durchaus darüber debattieren, in wieweit die Mode und die Schönheitsvorstellungen eben auch gezielt darauf hingewirkt haben, Frauen hilflos zu machen. Kleiderregeln und Mode werden bis heute primär von Männern gemacht. Heute schnürt man die Damen nicht mehr, bis sie umkippen, sondern man lässt die Mode vorführenden Mädels hungern, bis sie – wiederum – umkippen. Möglicherweise ist das Prinzip ja ähnlich?
Fantasyguide Das 19. Jahrhundert ist geprägt von deutlichen Veränderungen in der Rolle der Frau. Von der Erzieherin zum schützenswerten Besitz des Mannes, reduziert auf Hausarbeit und Aussehen. Muss man da als Leser nicht automatisch rebellieren und mit Unverständnis auf manche Szenen reagieren?
Ju Honisch Nein, denn es war einfach so. Dass es so war, heißt ja nicht, dass es so RICHTIG war. Auch nicht, dass es so erstrebenswert war oder in irgendeiner Weise nachahmenswert.
Vielleicht wird man sich beim Lesen einer solchen Szene ja bewusst, was sich alles geändert hat. Ich würde mir wünschen, dass es so wäre und dass man sich immer bewusst ist, wie lang und hart und unendlich entbehrungsreich die Entwicklung hin zu einer Gleichberechtigung (die wir, wie ich meine, noch keinesfalls vollständig erreicht haben) war.
Die Damen aus meinen Büchern, gehen alle über das von ihrer Zeit vorgeschriebene Idealbild der züchtigen Hausfrau hinaus, manchmal innerhalb eines Entwicklungsprozesses, den die Handlung auslöst. Sie sind deshalb noch keine Suffragetten. (Wäre vielleicht mal nett, über eine zu schreiben?) Aber sie sind auch keine Ja-sagenden Mäuschen.
Dennoch kann man nicht so tun, als wäre es nicht so gewesen wie es eben war. Man würde in einem Roman über das Dritte Reich ja auch nicht alles rosa malen und die Gräuel verschweigen, nur weil diese den Leser von heute beim Lesen vielleicht ärgern könnten.
Ein historischer Hintergrund verpflichtet einen zu ein wenig Anpassung der Charaktere an den Zeitgeist ihrer Zeit. Ich selbst finde historische Romane weitaus ärgerlicher, bei denen die Heldin die „Denke“ eines rebellierenden Teenagers des 21. Jahrhunderts hat.
Fantasyguide Wie sieht es aber mit Bettlerinnen, Mägden, Huren, also den ganzen Frauen aus, die keine Möglichkeiten der Entwicklung haben?
Ju Honisch Nun, das ist kein spezifisches Frauenproblem. Es ist ein soziales Problem, das wir auch noch nicht gelöst haben. Sozial benachteiligte Frauen – übrigens auch sozial benachteiligte Männer - haben es heute auch nicht leicht.
Fantasyguide Die Verbindung von mythischer Fantasy und alternativer Technikevolution mit historischen Schauplätzen könnte doch aber auch mit sozialen Änderungen einhergehen. Warum liest man gerade im Steampunkbereich so wenig über neue gesellschaftliche Entwicklungen?
Ju Honisch Technische Errungenschaften haben meist ein Datum, an dem man sie festmachen kann: 7. Dezember 1835 die Lokomotive Der Adler fährt erstmalig zwischen Nürnberg und Fürth. Einfach.
Soziale Entwicklungen gehen sehr viel langsamer und sublimer voran, wenn es sich nicht gerade um eine gewaltsame Revolution handelt. Hier eine Entwicklung literarisch nachzuzeichnen, dazu müsste man vermutlich eine Familiensaga mit mehreren Generationen schreiben: vom Kleinbauern ins Industrieproletariat. Oder vom erfinderischen Handwerker zum Industriemagnaten. Oder der Kampf um Bildung und das Recht darauf in zwei bis drei Frauengenerationen.
In Salzträume wird die erste amerikanische Frauen-Universität erwähnt. Die Heldin überlegt, ob sie – sofern sie überlebt – dort studieren soll. Und auch eine der wenigen weltreisenden Forscherinnen des 19. Jahrhunderts (Ida Pfeifer) findet Erwähnung. Es ist also nicht so, dass der Aspekt nie zur Sprache kommt.
Dennoch schreibe ich keine politische Prosa. Ich möchte unterhalten; mit Abenteuern, die möglichst spannend sind. Wenn nebenbei noch ein paar Fakten vermittelt werden, gut. Aber ich bin – wie schon gesagt – Geschichtenerzählerin. Romane, die einen ausgesprochenen Lehranspruch transportieren, sei er weltanschaulich oder religiös, werden meist schnell ein bisschen lästig. Zumindest mir.
Fantasyguide Georges Orwell vertrat die Ansicht, dass es keine unpolitische Literatur gibt. Die Art und Weise, wie Deine Heldinnen agieren, sagen ja dennoch etwas über ein Weltbild aus, oder?
Ju Honisch Natürlich. In „Salzträume“ gibt es für Charlotte einiges umzudenken und neu zu bewerten. Und die Meinung einer außerhalb eines engen Zeitrahmens stehenden Person, wie des Vampirs, zu Dingen wie Philosophie oder Religion oder selbst Moral bilden einen Gegenpol zum – jeweils - herrschenden Zeitgeist. Das ist im weitesten Sinne politisch.
Wenn man Politik enger fassen möchte – also staatlich – dann bieten die Verschwörer immerhin die Spielwiese des rücksichtslosen Vormachtstrebens - und der nicht vorkommende, aber immerhin beargwöhnte Kaiser die mögliche Bandbreite der Reaktion eines autokratischen Herrschers (Franzl war nicht nur nett) auf die plötzliche Option einer Überwaffe, die zwar grausam, aber auch wirksam ist.
Noch politischer wird es, wenn man weiter denkt. Die Handlung ist 1865 angesiedelt. 1866 sah den Deutschen Krieg, die kriegerische Auseinandersetzung des Deutschen Bundes unter Führung Österreichs mit dem Königreich Preußen und dessen Verbündeten. Preußen hat gewonnen, weil Österreich schlecht bewaffnet war. An dieser Stelle könnte man politisch nach dem „was wäre wenn“ fragen – doch die Antwort ist unerheblich, da sie nichts mehr ändert. Aber „was wäre wenn“ es keine Reichsgründung unter preußischer Vorherrschaft gegeben hätte? „Was wäre wenn“ ein Deutscher Bund aus heterogenen Einzelstaaten (der EU ähnlich) nicht in der Lage oder willens gewesen wäre, sich gemeinsam in den Ersten Weltkrieg zu stürzen? „Was wäre wenn“ es diesen 1. WK nicht gegeben hätte? Was wäre uns dann erspart geblieben?
Fantasyguide Wohin könnte für Dich eine neue gesellschaftliche Entwicklung gehen?
Ju Honisch Neue gesellschaftliche Entwicklungen sind eher ein Thema für eine Dystopie, also in die Zukunft gerichtet. Ich habe mal eine Reihe zusammengehöriger, recht bitterer Kurzgeschichten in dem Genre verfasst. Meine Agentin versucht immer noch vergeblich, einen Verlag dafür zu finden.
Tatsächlich hätte ich auch eine Idee, das Thema Gleichberechtigung in die Zukunft versetzt zu beleuchten. Genaueres möchte ich dazu aber noch nicht sagen.
Aber, sein wir ehrlich, die Zukunft interessiert derzeit kaum noch jemanden. Man ist schon so mit der Gegenwartsbewältigung so beschäftigt, dass man sich, wenn einem gerade das 1000-seitige Handbuch für die Fernsteuerung über den Kopf wächst, lieber in eine (nur scheinbar) gemütlichere Vergangenheit flüchtet. Ganz ehrlich: wer hätte angesichts eines neuen Software-Releases nicht schon mal gerne einen Schwert schwingenden Barbaren zur Verfügung gehabt?
Fantasyguide Die Literatur ist voll von tragischen Frauenfiguren jener Zeit, von Effi Briest über Klein Dorrit bis hin zu Anna Karenina – können die Probleme von damals Lesern von heute etwas vermitteln, oder ist das zu hoch gegriffen und reicht es, gute Unterhaltung zu bieten?
Ju Honisch Ob es „reicht“? Wer weiß? Ich denke, es ist eine Frage der Gewichtung. Wenn man in „gute Unterhaltung“ den einen oder anderen Anstoß zum Nachdenken mit einbauen kann, sollte man das unbedingt tun. Und ich tue das auch, ganz nebenher, ohne dass es – offenbar – auffällt oder stört.
Die Probleme von damals können auch ganz schnell wieder die Probleme von heute oder zumindest morgen werden, wenn man nicht aufpasst. Es ist mehr als eine Binsenweisheit, dass geschichtliches Wissen – und die Lebensumstände von Effi Briest über Klein Dorrit bis hin zu Anna Karenina zähle ich jetzt mal dazu – dafür da ist, dass man Fehler nicht wiederholt.
Wir verlassen uns gerne auf die Rechte, die wir haben und die wir doch nicht selbst erstritten haben. Wir nennen sie verbrieft und unveräußerlich, und ich wünschte, sie wären es, aber schon die nächste Katastrophe oder der nächste bedepperte Diktator kann das ändern. Und wenn man dann nicht wie Effi Briest oder Anna Karenina zu Grunde gehen will, sollte man zumindest wissen, was es zu verhindern gilt.
Fantasyguide Wenn Du jetzt vermehrt das schreiben und auch veröffentlichen kannst, was Du willst – womit können wir als Leser von Dir noch rechnen?
Ju Honisch Dem Phantastik-Genre werde ich wahrscheinlich weitgehend treu bleiben. Ich habe mal überlegt, die ziemlich unglaubliche Lebensgeschichte meines Vaters zu einem Roman (mit geänderten Namen) zu verarbeiten. Wenn ich das könnte, würde das vielleicht sogar den Mainstream interessieren. Doch es ist fürchterlich nah und unbequem. Und wahrscheinlich werde ich es nie schaffen.
Fantasyguide Vielen Dank für das Interview!