Interview: Michael K. Iwoleit (2005)
 
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Im Gespräch mit Michael K. Iwoleit

Redakteur: Michael Schmidt

 

Michael K. Iwoleit ist Mitbegründer von NOVA und zuständig für Koordination und Artikelredaktion. Er wurde 1962 in Düsseldorf geboren, studierte Philosophie und Germanistik und ist seit 1989 als freiberuflicher Autor und Übersetzer, daneben als Texter für Industrie und Werbung tätig. Er veröffentlichte bisher drei Romane, etwa zwei Dutzend Erzählungen in Anthologien und Zeitschriften (u.a. in dem englischen Magazin Interzone) und einige vielbeachtete Essays zur Science Fiction.

Michael K. Iwoleit gewann zweimal den Deutschen Science Fiction Preis in der Kategorie Kurzgeschichte.

 

FantasyGuide: Hallo Michael. Stell dich doch unseren Lesern kurz vor.

 

Michael K. Iwoleit: Gern. Ich wurde 1962 in Düsseldorf geboren, habe eine naturwissenschaftliche Ausbildung, aber auch einige Semester Philosophie und Germanistik studiert. Ich schreibe seit meinem elften Lebensjahr, habe mich zunächst mit Weird Fiction befaßt und Anfang der Achtziger dann, vor allem durch das Werk John Brunners und Philip K. Dicks, die Science Fiction für mich entdeckt. In der deutschen SF-Szene bin ich seit 1982 aktiv, seit 1989 bin ich freiberuflicher Autor und Übersetzer. Die ersten zehn Jahre habe ich meine Brötchen hauptsächlich als SF-Übersetzer verdient, seit 1998 arbeite ich als Texter und Übersetzer für Werbung und Softwareindustrie. Als Autor bin ich erst in den letzten Jahren verstärkt hervorgetreten. 2002 habe ich mit Ronald M. Hahn und Helmuth W. Mommers das deutsche SF-Magazin Nova gegründet, das ich jetzt mit Ronald Hahn und Olaf G. Hilscher herausgebe.

 

 

FantasyGuide: Deine Geschichte "Ich fürchte kein Unglück" gewann den Deutschen Science Fiction Preis in der Kategorie "Kurzgeschichte". Erst einmal herzlichen Glückwunsch. Die Geschichte handelt vom einem Programmiergenie, der das Erbe seines verstorbenen Vater antritt. Ist dies ein klassisches Motiv? Und wie kamst du auf diese Idee?

 

Michael K. Iwoleit: Gewöhnlich gehöre ich zu den Autoren, die mit einem festen Plan an eine Geschichte herangehen und sich nicht wohlfühlen, wenn Plot und Personen nicht wenigstens halbwegs vorab skizziert sind. Bei "Ich fürchte kein Unglück" ist es völlig anders gelaufen, und ich glaube, daß man es der Erzählung in gewissem Maße auch anmerkt. Ich hatte nur vage Vorstellungen vom weiteren Verlauf der Geschichte, als ich die Eingangsszenen zwischen Cynthia und Simon schrieb, und dabei passierte etwas, über das sich eigentlich jeder Autor freuen sollte: Die Personen entwickelten ein Eigenleben, und die Story schlug eine ganz unerwartete Richtung ein. Cynthias eigenartige Anmache, der Selbstmord von Simons Vater – das alles hat sich spontan ergeben. Auch andere Schlüsselmotive der Story – die LightCubes, die evolutionäre Software – waren spontane Einfälle, die sich ergaben, als ich mich weiter in Simons Lebensgeschichte vertiefte. Eine spannende Sache, die sicher zum lebendigen Stil der Story beigetragen hat, aber auch der Grund dafür war, daß ich fast zwei Jahre brauchte, um sie beenden zu können.

 

 

FantasyGuide: Am Ende der Geschichte geht es um das Schicksal der Welt. Ist dir die Geschichte entglitten oder war das so geplant?

 

Michael K. Iwoleit: Die Botschaft aus der Zukunft war das einzige Motiv, das schon feststand, bevor ich mit dem Schreiben angefangen habe. Ich wollte das private Schicksal zweier Menschen mit einem Vorgang von globaler, große Zeiträume überbrückender Bedeutung verknüpfen. Was aus dieser Ausgangsidee geworden ist, hat mich selbst am meisten überrascht, und ich bin recht zufrieden damit. Ich werde sicher noch weitere Erzählungen schreiben, die im Millieu der Hightech-Intelligenzia spielen und die enge Verzahnung zwischen persönlicher Geschichte und weitreichenden, evolutionären Projekten schildern, die ihren Urhebern außer Kontrolle geraten.

 

 

FantasyGuide: Mit "Wege ins Licht" gewann schon 2002 eine Novelle von dir den DSFP. Worum ging es in dieser Geschichte? Und ist sie noch erhältlich?

 

Michael K. Iwoleit: Meines Wissens ist die von Wolfgang Jeschke herausgegebene Anthologie "Reptilienliebe" (Heyne), in der "Wege ins Licht" enthalten ist, noch lieferbar. Ansonsten kann die Geschichte von Florian Breitsameters Website www.sf-fan.de heruntergeladen werden. "Wege ins Licht" ist eine Variation über das Thema Unsterblichkeit. Ich wollte Menschen in einer so extremen Sitution schildern, dass sie am Ende Gewalt und Elend transzendieren und zu einem neuen Verständnis von Menschlichkeit finden. "Wege ins Licht" war sehr wichtig für mich, weil ich, glaube ich, erst in dieser Geschichte zu einem eigenen Stil gefunden habe.

 

 

FantasyGuide: Meines Wissens erschienen bisher erst zwei Romane von dir. "Rubikon" und "Hinter den Mauern der Zeit" (mit Horst Pukallus), dazu ein Serienroman zu Raumschiff Titan. Ein relativ schmales Werk. Woran liegt es?

 

Michael K. Iwoleit: Lange Jahre gab es dafür dieselbe Erklärung, die viele andere deutsche SF-Profis vor mir angeführt haben: Aus wirtschaftlichen Gründen war ich so intensiv mit Übersetzungen beschäftigt, dass für das eigene Schreiben kaum Zeit geblieben ist. Das hat sich geändert, seit ich 1999 das Übersetzen von Belletristik (von einigen Stories für Nova abgesehen) aufgegeben habe und mein Geld als Texter für Industrie und Werbung verdiene. Nachdem ich in den letzten Jahren gewissen Erfolg mit meinen längeren Erzählungen hatte, möchte ich jetzt einen Schritt weitergehen und arbeite an mehren Romankonzepten, darunter einem Wissenschaftsthriller, der sich mit Künstlichem Leben in zukünftigen Datennetzwerken beschäftigt, außerdem einer modernen Space Opera in Zusammenarbeit mit Arno Behrend und einem satirischen Mainstreamroman, der einige Auswüchse der Industriegesellschaft auf die Schippe nimmt.

 

 

FantasyGuide: Mir persönlich hat Rubikon nicht gefallen, dagegen gefielen "Hinter den Mauern der Zeit" und "Ich fürchte kein Unglück". Liegt es am jeweiligen Thema oder ist es die Weiterentwicklung des Autoren Michael K. Iwoleit, die den Unterschied ausmacht?

 

Michael K. Iwoleit: "Rubikon" habe ich Alter von 22 geschrieben, und ich hoffe doch sehr, dass ich mich seitdem weiterentwickelt habe. Fast alle Autoren bekommen Bauchschmerzen, wenn sie auf ihre früheren Veröffentlichungen zurückblicken, und mir geht es dabei nicht anders. Ich glaube, dass ich mich erst seit "Wege ins Licht" als einen nennenswerten Autor der zeitgenössischen deutschen SF betrachten darf. Neben einer Verbesserung meiner erzählerischen Qualitäten war es vor allem eine menschliche Dimension, die hinzugekommen ist. Es ist mir erst in jüngster Zeit gelungen, Figuren zu schildern, die im Gedächtnis des Lesers haften bleiben.

 

 

FantasyGuide: Du betreust bei NOVA, das Magazin für Sience Fiction und Spekulation, den Bereich Artikel und sorgst für das Layout. Berichte doch mal, wie diese Arbeit aussieht? Wie viele Zusendungen bekommst du für die Sparte Artikel?

 

Michael K. Iwoleit: Anders als die Story-Sparte hat die Essay/Artikel-Rubrik in Nova etwas Zeit gebraucht, um Autoren anzulocken. Um die Sache in Schwung zu bringen, habe ich von Anfang an Autoren gezielt angesprochen und Themenvorschläge unterbreitet. Im Falle unserer ausländischen Kollegen, die ich um Beiträge über die SF ihrer Heimatländer gebeten habe, hatte das den interessanten Nebeneffekt, dass Originalbeiträge, die ohne die Anregung der Nova-Redaktion nicht zustande gekommen wären, in ihren Ursprungsländern nachgedruckt wurden. Inzwischen haben deutsche SF-Theoretiker Nova aber auch von sich aus als eine neue Veröffentlichungsmöglichkeit entdeckt, und ich kann mich über einen Mangel an guten Beiträgen nicht mehr beklagen.

 

 

FantasyGuide: In NOVA 6 erscheint wieder eine Geschichte aus deiner Feder. Was dürfen wir erwarten?

 

Michael K. Iwoleit: Es wird eine Überarbeitung meiner Story "Die letzten Tage der Ewigkeit" sein, die schon einmal online bei sf-fan.de erschienen ist, eine Zeitreisegeschichte, die auf einer Idee in James Blishs berühmter Kurzgeschichte "Common Time" beruht. Außerdem ist eine neue Novelle fertiggestellt, die wahrscheinlich in Nova 8 erscheinen wird, in naher Zukunft spielt und sich mit gefälschten Erinnerungen und psychischer Manipulation beschäftigt.

 

 

FantasyGuide: In NOVA 3 erschien dein Artikel über Alfred Besters Werk. Generell las ich, dass du an sekundärliterarischen Artikel über diverse Autoren arbeitest. Was hast du da alles geplant? Auch oder gerade über den nichtenglischsprachigen Teil.

 

Michael K. Iwoleit: Wie hier und dort schon zu lesen war, arbeite ich an einer internationalen Literaturgeschichte der Science Fiction, die die SF vornehmlich als Story-Genre betrachten und dabei hoffentlich einige Lücken in der gängigen SF-Geschichtsschreibung schließen wird. Fast alle Essays, die ich für die nächste Zeit vorgesehen habe, werden als Teilstücke in diese "Geschichte der Short Science Fiction" eingehen. Mein Essay über J.G. Ballard im letzten SF-Jahr bei Heyne hat soviel Interesse hervorgerufen, dass mich Sascha Mamczak eingeladen hat, fürs nächste SF-Jahr einen Aufsatz über Philip K. Dick, wiederum mit einem Schwergewicht auf seine Kurzgeschichten, zu schreiben. Außerdem arbeite ich gerade, in Zusammenarbeit mit Marcus Weible, an einer detaillierten Analyse von Gene Wolfes "The Fifth Head of Cerberus", die in einer der nächsten Ausgaben des Quarber Merkur erscheinen wird. Daneben stehen Essays über Brian Aldiss und Lucius Shepard auf meiner Liste. Es ist nahe liegend, dass die angloamerikanische Tradition der SF-Kurzgeschichte den Ausgangspunkt meines Projekts bildet. In letzter Zeit hat sich mein Interesse aber immer mehr auf die Vielfalt der internationalen Science Fiction außerhalb des angloamerikanischen Sprachraums verlagert. Ich konnte dabei zu meiner eigenen Überraschung feststellen, dass die SF zu einer globalen Ausdrucksform geworden ist, die in praktisch allen geographischen Regionen der Welt hervorragende Autoren hervorgebracht hat. Von einigen Ausnahmen in Osteuropa abgesehen, nehmen die meisten SF-Leser – und SF-Kritiker! – solche Autoren nicht einmal zur Kenntnis, was darauf hinausläuft, dass das Bild, der wir uns von der SF machen, nicht nur unvollständig, sondern vielleicht rundheraus falsch ist. Wer sich vornimmt, dieses Bild zu korrigieren, steht allerdings vor einem enormen Problem: Der Sprachbarriere. Ich werde deshalb nicht daran vorbeikommen, weitere Sprachen lesen zu lernen. Meine Beschäftigung mit der internationalen SF hat übrigens zu einem weiteren Projekt geführt: Ab März 05 wird eine internationale Ausgabe von Nova erscheinen, die vornehmlich SF außerhalb der angloamerikanischen Sprachraums, natürlich auch aus Deutschland, veröffentlichen wird.

 

 

FantasyGuide: Dein Roman zur Titanserie ist meines Wissens ein Novum. Sind denn weitere Serienromane geplant oder war das eine Ausnahme? Und wie ist das so, an einer Serie mit zu schreiben?

 

Michael K. Iwoleit: "Am Rande des Abgrunds" war ursprünglich als eigenständiger Roman geplant. Weil es zu dieser Zeit keine andere Veröffentlichungsmöglichkeiten gab, habe ich einige lose Verbindungen zur Titan-Serie hergestellt, damit das Buch in dieser Reihe erscheinen konnte. Laut der Verlagsleitung von Blitz ist dies bei den Lesern nicht so gut angekommen, und ein geplanter Zweiteiler, zu dem ich bereits ein Expose geschrieben habe, ist nicht zustandegekommen. Die Erfahrung mit Titan hat meinen Eindruck bestätigt, dass bei der Serienleserschaft der alte SF-Provinzialismus und die Scheu vor etwas Neuem noch weit verbreitet zu sein scheint, und ich bezweifle, dass ich mich noch einmal auf dem Gebiet der SF-Serien betätigen werde – auf dem ich ohnehin nur ein Gast war.

 

 

FantasyGuide: Auf dem PaltineCon konnte man dich über Kurzgeschichten referieren hören. Für alle, die nicht anwesend waren: Welche Tipps kannst du dem Nachwuchs der Autorenriege mit auf den Weg geben?

 

Michael K. Iwoleit: Ich tue mich schwer mit Tipps, weil ich mich selbst längst noch nicht als einen Meister der kurzen Form betrachte und es in der deutschen SF sicher Berufenere gibt, die etwas zu diesem Thema sagen könnten. Als Mitherausgeber von Nova bin ich nun aber in der Situation, dass ich gelegentlich (um Ronald Hahn zu entlasten) Stories beurteile und mit Autoren korrespondiere. Meine wichtigste Erkenntnis war dabei, dass kein SF-Autor darauf verzichten sollte, seinen Horizont möglichst weit über die SF-Szene hinaus zu erweitern, sich möglichst vielen kulturellen und literarischen Einflüssen auszusetzen, um ein Gefühl für die Möglichkeiten der Sprache und des Erzählens zu bekommen. Allzu viele Autoren, von denen wir Angebote erhalten, erwecken den Eindruck, als hätten sie etwas anderes als Science Fiction – und oft nicht einmal die beste – gelesen, und sind deshalb auch nicht in der Lage, die SF um neue Nuancen zu bereichern.

 

 

FantasyGuide: Abschließend, was wünschst du dir für die Zukunft? Als Autor und als Mensch?

 

Michael K. Iwoleit: In wirtschaftlich schwierigen Zeiten wie heute neigt man dazu, auf solche Fragen eine eher düstere Antwort zu geben. Ob und wie es freiberuflichen SFlern, sofern sie nicht gerade Bestsellererfolge feiern, in den nächsten Jahren gelingen wird, sich mit Schreiben über Wasser zu halten, ist noch völlig offen. Aber in welchen Nischen die deutsche SF diese eisigen Zeiten auch überwintern mag – für jeden Autor sollte das wichtigste Ziel darin bestehen, seine erzählerischen Fähigkeiten zu verbessern und seine Ausdrucksmöglichkeiten zu erweitern. Das ist auch mein wichtigstes Ziel, das für die nächsten Jahre in meinem Leben die höchste Priorität haben wird – ungeachtet aller äußeren Umstände. Eine enorme menschliche Bereicherung waren die zahlreichen Kontakte zu ausländischen Kollegen von Lateinamerika bis Asien, die ich in jüngster Zeit geknüpft habe. Meiner Meinung nach gibt es heute, fünfzehn Jahre nach dem Ende des kalten Krieges, nichts Wichtigeres für einen denkenden Menschen, als sich anderen Kulturen zu öffnen und nicht unreflektiert an neuen Grenzziehungen in der Welt zu beteiligen. Gerade für die SF, die sich immer mit dem Fremden, Anderen befasst hat, ist das eine wichtige Persperktive, und ich hoffe, auf diesem Weg möglichst weit zu kommen. Ich kann nicht ausschließen, dass ich meine Arbeit irgendwann im Ausland fortsetzen werde.

 

 

FantasyGuide: Wir bedanken uns für den freundlichen Kontakt und wünschen Michael K. Iwoleit für die Zukunft alles Gute.

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Erstellt: 18.04.2005, zuletzt aktualisiert: 16.10.2023 21:13, 72