Jojo Rabbit (Kino)
 
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Jojo Rabbit

Filmkritik von Torsten Scheib

 

Umtriebig ist ja, der Taiko Waititi. Ist kein Beinbruch, falls man mit dem Namen des 44jährigen Neuseeländers momentan nicht unbedingt was anfangen kann. Bei Teil(en) von Waititis künstlerischem Konvolut klingelt es garantiert: Green Lantern (2011 – als Kumpel des Titelhelden), 5 Zimmer Küche Sarg (2014 – Regie, Drehbuch, eine der Hauptrollen), Wo die wilden Menschen jagen (2016 – Regie und Drehbuch), Thor – Tag der Entscheidung (2017 – Regie und Nebenrolle), The Mandalorian (2019 – Regie, eine Folge).

 

Umtriebig eben. Dazwischen, aus dem Blauen, ein Film, der scheinbar so überhaupt nicht zu den Vampir-Wohngemeinschaften, jugendlichen Ausreißern, knalligen Comicwelten und weit entfernten Galaxien passt. Oder – vielleicht gerade deswegen. Die herrlich belebende komische Ader, die Waititis Werke nahezu vollständig durchzieht, die damit einhergehende Inkongruenz und Überhöhtheit, beides kann als Stemmeisen fungieren, beides kann es ermöglichen, zum wahren Kern der Dinge vorzudringen und auf dem Wege dorthin durchaus auch das eine oder andere Tabu brechen. Etwa wenn ein kleiner Junge im Deutschland des Dritten Reiches auf einen imaginären Freund namens Adolf Hitler zählen kann.

 

Da wären wir wieder. Die alte Frage. Darf man sich über den größten Psychopathen und Massenmörder der Menschheitsgeschichte lustig machen? Verhöhnt man dadurch nicht automatisch das unsägliche Leid und die Millionen Opfer, die auf das Konto des kleinen Mannes aus Braunau gehen?

 

»Mit der Kraft der Comedy können wir Hitler um dessen posthume Macht berauben«, ist beispielsweise Altmeister Mel Brooks überzeugt. Ein Jude übrigens. Wie auch Waititi mütterlicherseits. Und ganz gewiss muss es sich durchaus wunderbar anfühlen, als vermeintliches Hassobjekt eines Monorchen (sic!) auf dessen kranke(n) Ideologie(n) herumzutrampeln, mit der Gewissheit, noch immer da zu sein. So sollte es uns allen gehen, unabhängig der Konfession. Ergo erhob Waititi den Film zusätzlich zur ›Anti-Hass-Satire‹ – und was, bitteschön, soll daran falsch sein; besonders in diesen Zeiten?

 

Geschichte ist durchaus eine Abfolge von Wiederholungen und wer meint, dass die Spezies Mensch dazugelernt hat – gaaanz kalt. Untermalt von der deutschen Fassung von I Want To Hold Hour Hand von den Beatles, knallt Jojo Rabbit bereits mit dem Vorspann die Karten auf den Tisch. Nazis als Popstars, Personenkult aus dem Massenhysterie und abschließend blinder Gehorsam wird. Das muss man den Spinnern lassen: raffinierte Taktik, wie leicht man dem Konzept in die Falle geht, erschreckend. Erleben wir nicht ähnliches gegenwärtig mit einer Partei, die sich als ›Alternative‹ ausgibt?

 

Freilich muss ferner zusätzlich der Nachwuchs gebunden werden; insbesondere, wenn es an der Front nicht rosig ausschaut. Nur nicht den Terminus ›Kanonenfutter‹ verwenden! Nein, das Jugendlager der Hitlerjugend ist – jedenfalls aus männlicher Sicht – der reinste Traum, da darf man mit Fahrtenmesser hantieren, erlernt Hinterhalttechniken, verbrennt Bücher und sprengt hemmungslos Dinge in die Luft. Okay, die Lektionen von Fräulein Rahm (Rebel Wilson) über die Dämonen, die in jüdischen Körpern hausen und ausgemerzt gehören, sind etwas trocken, aber sonst? Töfte Sache. Finden auch Johannes Betzler (Roman Griffin Davies) und sein bester Freund, Yorki (Archie Yates). Bis diese eine Sache mit dem Hasen zu einer noch übleren Sache führt und Johannes – Jojo – im Hospital landet. Mit Narben und einem kaputten Bein, unbrauchbar für den Krieg. Ein entstellter, unfähiger Krüppel, wie Jojo findet. Nicht so dessen resolute Mutter Rosie (Scarlett Johansson), der das Herz bricht ob Jojos Minderwertigkeitsgefühle und des zunehmend dominanter werdenden Fanatismus ihres Sohnes. Als wäre das Leben einer alleinerziehenden Mutter, insbesondere in solchen Zeiten nicht bereits schwer genug. Doch Rosie stemmt sich dagegen, nicht zuletzt mit ihrem Stolz und einer beeindruckenden inneren Stärke, die auch kein Problem damit hat, Offizier Klenzendorf (Sam Rockwell), also jenem Mann, der mitverantwortlich für Jojos langwierigen Krankenhausaufenthalt ist, mit Schmackes einen Tritt ins Gemächt zu verpassen; auch, weil sie ihren Sohn immer weniger erreicht, er anstelle von Liebe arische Tugenden beherzt und lieber auf Buddy Adolf hört – der ganz gewiss auch einen Rat für die Geister hat, die da oben, im ersten Stock, hinter den Wänden umherwuseln. Dumm nur, dass es keine Spukgestalten sind, sondern die abgemagerte, ausgezehrte Elsa (Thomasin McKenzie), eine junge Jüdin. Da ist guter Rat mehr als teuer. Das Mädchen verraten und damit die eigene Mutter ausliefern? Oder lieber doch gute Miene zum bösen Spiel, entgegen der eigenen Überzeugungen – und denen des Führers?

 

Ja, es hätte ordentlich in die Hose gehen können. Hätte. Doch Waititi ist ein kluger Mensch. Wenn Nazis und Faschisten Hass als Waffe einsetzen, dann kontert er mit klugem, sehr fein dosiertem Humor, den die rechte Bagage noch nie leiden respektive begreifen konnte. Fein dosiert, aber kein einziges Mal ins Lächerliche, Absurde abdriftend. Dafür gleichsam unglaublich scharfsinnig und entlarvend, was die Absurdität der Nazis anbelangt. Wenn das nicht eine Einladung zu satirischem Treiben ist! Gleichwohl ist der Grat zwischen Lachen und Weinen mitunter ungemein fragil; es ist dieses dünne Band namens ›Leben‹. Auch das vergisst Waititi nicht. Und erdrückende Verluste wie harte Wahrheiten schmerzen womöglich besonders intensiv, wenn sie eben von einem kleinen Jungen wahrgenommen werden – und zumeist zum ersten Male. Dies, aber auch die gemischten Gefühle, die Ratschläge der eigenen Mutter und der Nazi-Ideologie gegenüber, werden von dem 12jährigen Roman Griffin Davies sensationell dargestellt. Jojo ist ein Junge, der im Kampf mit sich selbst steht, der durchaus bewusst ist, dass das schlechte Gewissen eigentlich das richtige Gewissen ist, es aber nicht eingestehen will – und auf dem Wege wohl auch der imaginäre Hitler entstand. Ergo ist der Führer auch nichts weiter als ein verzogener, arroganter Rotzlöffel, der es rein zufällig an die Spitze der Nationalsozialisten geschafft hat. Eine Paraderolle für Waititi, dem historische Details schnurzpiepegal sind und einen Spaß hat, Hitler und dessen Hybris durch die braune Kloake zu schleifen – auch zum Spaß und zur Genugtuung des Publikums. Damit reiht sich Waititi in die Ränge eines Chaplin und Brooks.

 

Doch der Film lebt nicht nur von Jojo und seinem Kumpel, er ist nicht nur Humor. »Jojo Rabbit« erwärmt durch Herz und Seele und Scarlett Johannson trägt ungemein viel dazu bei. Wie ihre Rolle, ist auch sie eine Mutter und die Liebe zum eigenen Kind überträgt die Amerikanerin bisweilen herzergreifend auf Rosie. Auch die Beziehung zu Elsa ist tragisch-melancholisch und weist auf, warum Rosie nie ihre Menschlichkeit für eine Ideologie aufgab. Für sie ist Tanzen der Inbegriff der Freiheit, das Überstehen aller Schrecken und Unmenschlichkeiten, der Weg zum Menschsein. Nach ihren, freilich überzeugenden, Ausflügen ins Action-Metier, ist es wie eine frische Brise, diese Rückkehr zu ihren Wurzeln. Man erinnert sich an frühere Rollen, wie Das Mädchen mit dem Perlenohrring (2003) oder, noch mehr, Lost in Translation (2004). Mit einem Unterschied: die Scarlett Johannson von damals hätte diese Rolle nie und nimmer zu stemmen vermocht. Ein Beweis, wie sehr die Gute in knapp 16 Jahren gereift und gewachsen ist; künstlerisch wie menschlich, ein Prozess, der hoffentlich noch lange anhält. Mag Johannsons Spielzeit überschaubar sein, ihre Oscarnominierung war absolut legitim.

 

Gilt ferner auch für die anderen fünf. Jou, kein Schreibfehler. Eine Komödie mit Hitler im Mittelpunkt war für ein halbes Dutzend Oscars vorgeschlagen; einschließlich für die Königsklasse, ›bester Film‹. Lack gesoffen? Hype? Weder noch. Handwerklich wie narrativ ist da etwas Beeindruckendes entstanden und Waititis Vorgehen, aus der sehr nüchternen Romanvorlage Caging Skies der Schriftstellerin Christine Leunens eine völlig anderen Anstrich zu verpassen, ist schlicht genial, demzufolge der Oscar für das ›beste adaptierte Drehbuch‹ mehr als verdient. Wenn die leichten, bisweilen unbeschwingten Passagen den Gräuel und der Seelenlosigkeit weichen, ist die erzielte Wirkung noch intensiver und nachhaltiger. Wie auch Kleinigkeiten, etwa Yorkis (Archie Yates ist DER Szenenstehler) ehrliche Freundschaft zu Jojo, ausgedrückt in langen Umarmungen der Dankbarkeit.

 

Was bleibt? Die Tatsache, dass »Jojo Rabbit« einer der besten Filme seit langem ist; ein klug-humoristisches und ja, auch arg freches Statement gegenüber Hass, Ausgrenzung, Ignoranz. Ein Beitrag, der auf das Podest zu Der Große Diktator und Sein oder Nichtsein rauf darf. Eine Empfehlung, für Eltern, für Lehrer, für einfach jeden. Ein Film, der diese bisweilen sehr triste Welt mit Hoffnung erfüllt und vielleicht auch den einen oder anderen Jojo von heute nachdenklich macht.

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Kino:

Jojo Rabbit

Originaltitel: Jojo Rabbit

USA 2019

Regie: Taika Waititi

Drehbuch: Taika Waititi

Produktion: Taika Waititi, Carthew Neal und Chelsea Winstanley

Musik: Michael Giacchino

DarstellerInnen:

  • Roman Griffin Davies

  • Scarlett Johannson

  • Thomasin McKenzie

  • Taika Waititi

  • Sam Rockwell

  • Rebel Wilson

  • Alfie Allen

  • Stephen Merchant

  • Archie Yates


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Erstellt: 05.03.2020, zuletzt aktualisiert: 07.12.2023 15:55, 18369